# taz.de -- Familien in der Pandemie: Kinder haben einfach keine Lobby
       
       > Die Auswirkungen des Lockdowns werden im Umfeld unserer Autorin immer
       > deutlicher. Eltern sind am Limit, Kinder spüren, dass sie zur Belastung
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Permanente Doppelbelastung und fehlende Rückzugmöglichkeiten führen zu angespannten Situationen
       
       Noch nie habe ich so viel rumgeschrien wie im erneuten Lockdown. Getroffen
       hat das Geschrei meine Tochter. Dabei liebe ich sie über alles. Nach
       Monaten auf engstem Raum wurde es mir einfach zu viel, den ganzen Tag den
       Bedürfnissen einer anderen Person nachzukommen. Keine Zeit zum Arbeiten zu
       haben, schon gar keine Zeit für mich.
       
       Die Studien zur Kindeswohlgefährdung überraschen mich nicht. Beinahe jede
       Mutter in meinem Umfeld, das man als gebildet bezeichnen kann, glaubt, am
       Limit zu sein. Und gibt zu, vollkommen entnervt die Kinder anzuschreien.
       „Lass mich alleine! Hau ab!“, hat eine Freundin erst neulich in meinem
       Beisein ihren Siebenjährigen angeschrien. Dabei wollte er nur ein Stück
       Schokolade haben. Man muss dazusagen: Sie ist sonst eine besonders
       aufopfernde Mutter.
       
       Was es mit Kindern macht, wenn die Eltern am Limit und ihre anderen
       Kontakte eingeschränkt sind, zeigt eine Studie des Uni-Klinikums
       Hamburg-Eppendorf. „Fast jedes dritte Kind“, so hieß es darin, „leidet ein
       Jahr nach Beginn der Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten.“ Nun warnt
       auch Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks, [1][gerade
       Mütter seien durch mangelnde Betreuungsangebote am Anschlag]: „Und diesen
       Druck“, erklärte sie im Deutschlandfunk, „haben auch die Kinder, weil das
       ist ja eine Einheit, Mutter und Kind.“
       
       Beim Lesen des Interviews muss ich an den Münsteraner Oberbürgermeister
       denken, der am 9. Februar in der Talkrunde bei Lanz sagte: „Wir müssen
       gucken, dass Kinder eine Bereicherung sind. Sie dürfen keine Belastung
       werden. Das ist aus meiner Sicht ein Auftrag, den wir da haben.“
       
       Sie leiden unter der Belastung 
       
       Dass Kinder zur Belastung werden, das auch spüren und darunter leiden, war
       doch durch das Vereinenmüssen von Arbeit und Kinderbetreuung in den
       Lockdowns vorprogrammiert. Dabei wusste man aus dem ersten Lockdown
       bereits, dass Familien an ihre Grenzen geraten. Eine Freundin hat es
       neulich auf den Punkt gebracht: „Kinderkrankentage helfen gar nicht. Wenn
       ich mir wegen Kinderbetreuung freinehme, bleibt meine Arbeit an anderen
       hängen. Das kann ich nicht bringen.“
       
       Ich habe immer mehr das Gefühl: Kinder haben einfach keine Lobby. Erst als
       die ersten Studien über die langfristigen Folgen eines Lockdowns bei
       Kindern herauskamen, wurde deren psychisches Wohl überhaupt zur Kenntnis
       genommen. Plötzlich war von der Generation Lockdown die Rede. Passiert ist
       seither wenig. Freizeitangebote mit AHA-Regeln in kleinen Gruppen gibt es
       für Kinder und Jugendliche noch immer so gut wie nicht.
       
       Aber: Kinder lernen bei jedem Spielen. Sie orientieren sich an
       Altersgenossen, brauchen neue Eindrücke, mehr als Erwachsene, die bereits
       alle Synapsen entwickelt und einen Schatz an Erfahrungen haben, von dem sie
       zehren können. Zudem fühlt sich ein Jahr für Kinder ungleich länger an als
       für Erwachsene.
       
       Ich merke bereits die Auswirkungen der Lockdowns auf die Kinder in meinem
       Umfeld. Einige fallen in frühkindliches Verhalten zurück. Andere sind
       aggressiver. Besonders zu denken gegeben hat mir das Verhalten der immer
       fröhlichen fünfjährigen Tochter einer alleinerziehenden Freundin: Als ich
       zuletzt auf sie aufpasste, spielte sie nichts als Arbeit. Sie schichtete
       Sand auf, machte ihn wieder platt und schichtete ihn erneut auf. Über eine
       Stunde, in der meine Tochter vergeblich versuchte, mit ihr zu spielen.
       Irgendwann nahm sie einen Keks: „Pause.“ Als sie von meiner Tochter
       fotografiert wurde, rief sie: „Cheese! Hashtag bestie!“ Und: „Nicht stören.
       Bin busy!“
       
       22 Apr 2021
       
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