# taz.de -- Rassismus in Großbritannien: Bericht wirbelt in London Staub auf
       
       > Eine von der Regierung in Auftrag gegebene Untersuchung stößt auf teils
       > heftige Kritik. Berater von Premier Johnson kündigt Rücktritt an.
       
 (IMG) Bild: London: 10 Downing Street hat bereits eingeräumt, alles sei ein Versehen gewesen
       
       London taz | Samuel Kasumu, der Berater des britischen Premierministers
       Boris Johnsons für Rassismusfragen, hat seinen Rücktritt angekündigt. Das
       wurde am Donnerstag bekannt. Diese Ankündigung fällt zusammen mit der
       Veröffentlichung eines lang erwarteten Berichts über Unterschiede zwischen
       britischen Minderheiten und der weißen Bevölkerungsmehrheit, der am
       Mittwoch veröffentlicht worden war.
       
       Genaue Gründe für den Rücktritt sind nicht bekannt. Jedoch wollte Kasumu
       bereits [1][im Februar das Handtuch werfen], nachdem die britische
       Gleichberechtigungsministerin Kemi Badenoch sich, seiner Meinung nach,
       unangemessen gegenüber einer jungen schwarzen Journalistin verhalten haben
       soll. Damals überredete ein anderes Kabinettsmitglied Kasumu dazu, im Amt
       zu bleiben.
       
       Simon Woolley, der ehemalige Chef der von Johnsons Vorgängerin Theresa May
       ins Leben gerufenen Prüfstelle für Ungleichheiten (Race Disparity Unit)
       behauptete, der Rücktritt wäre wohl Kasumus einzige Möglichkeit gewesen, um
       auf den „schlampigen und Uneinigkeit stiftenden Bericht“ zu reagieren.
       
       In der Tat hatte Kasumu selber in seiner ersten Rücktrittserklärung
       behauptet, dass die Konservative Partei eine spalterische Politik betreibe.
       Ein in der britischen Tageszeitung The Guardian zitierter Freund Kasumus
       hält den Bericht als Begründung für den Rücktritt jedoch für
       unwahrscheinlich.
       
       ## Ein dummes Versehen
       
       Unterdessen haben zwei Personen, die im Bericht als Interessenvertreter
       genannt werden, angegeben, sie hätten überhaupt nichts mit dem Dokument zu
       tun. 10 Downing Street hat bereits eingeräumt, es sei ein Versehen gewesen,
       dass einer der beiden, der schwarze Historiker und Aktivist S.I. Martin,
       dort aufgeführt worden sei. Martin gab an, er halte es für wahrscheinlich,
       dass sein Name den Bericht habe schmücken sollen. Die andere Person,
       Stephen Bourne, ein bekannter Autor und Historiker, sei erwähnt worden,
       weil sie sich an einer Veranstaltung zu dem Thema beteiligt hätte.
       
       Der Bericht wurde von Boris Johnson nach den Black-Lives-Matter-Protesten
       in Auftrag gegeben. Zwei der Hauptpersonen hinter dem Bericht – der
       schwarze Erziehungswissenschaftler Dr. Tony Sewell und Munira Mirza,
       Tochter pakistanischer Einwanderer, Oxford-Absolventin und langjährige
       politische Beraterin Boris Johnsons, hatten bei zahlreichen
       Beobachter*innen aus dem antirassistischen Lager jedoch von Anfang an
       die Frage aufgeworfen, ob dieser Bericht die Interessen von Minderheiten
       angemessen berücksichtige oder politisch motiviert sei. Sowohl Sewell und
       Mirza sind beide dafür bekannt, Argumente für einen institutionellen und
       systematischen Rassismus abzulehnen.
       
       Der 264-seitige Bericht, von dessen elf Verfasser*innen nur eine Person
       nicht einer britischen Minderheit angehört, kommt zu 24 Empfehlungen. Er
       behauptet, dass zu viele Aktivist*innen „in progressiven und
       antirassistischen Bewegungen zu zurückhaltend in ihrer Anerkennung der
       Fortschritte für ethnische Minderheiten im Vereinigten Königreich seien.“
       
       Rassismus sei nicht der Grund für alle Probleme, die Menschen hätten, heißt
       es. Stattdessen seien soziale, geografische, kulturelle familen-dynamische
       Faktoren miteinzubeziehen oder hauptverantwortlich dafür, ob etwa ein Kind
       mit bangladeschischem Hintergrund in London gut in der Schule sei oder im
       Norden des Landes, genau wie seine weißen Freunde, kaum voran komme. In
       manchen Bereichen hätten britische Minderheiten die weiße Mehrheit sogar
       überholt.
       
       ## Pessimistische Narrative
       
       Andererseits wendet sich der Bericht gegen die angeblich „pessimistischen
       Narrative“ bezüglich Minderheiten und die wachsende Bedeutung von
       Identitätspolitik.“ Begriffe wie BAME, die alle möglichen unterschiedlichen
       Minderheiten zusammen fassten, hätten kaum Nutzen. Denn es gebe große
       Unterschiede beim Erfolg an Schulen und Universitäten zwischen Kindern mit
       afrikanisch-karibischen Hintergrund und afrikanischen
       Migrationshintergrund.
       
       Zudem fordert der Bericht Maßnahmen, um Jugendliche weniger zu
       kriminalisieren. So sollen bei minderen Drogendelikten Jugendliche nur an
       Jugendprogramme statt an das Justizsystem weitergeleitet werden. Der Umgang
       mit Minderheiten in Großbritannien sei aufgrund der Fortschritte ein
       Leitbild für Europa und die Welt, heißt es in dem Bericht.
       
       Vor allen bei schwarzen britischen Aktivist*innen stößt der Bericht auf
       massive Kritik – nicht zuletzt, weil er Menschen, die an
       Black-Lives-Matter-Protesten teilgenommen hatten, als idealistisch
       beschreibt. Immer nur auf weißen Privilegien hinzuweisen, würde wenig zum
       Verständnis der Umstände in Großbritannien beitragen. In Vergleichen mit
       den USA versucht der Bericht zu beweisen, dass die Situation im Vereinigten
       Königreich besser sei. Bei Personen afrikanisch-karibischen Hintergrunds
       solle deren einzigartige Kultur gefeiert werden, statt nur auf die
       Sklaverei hinzuweisen und die Geschichte des Empires und des Commonwealth
       positiv dargestellt werden.
       
       Michael Hamilton, Programmdirektor der britisch schwarzen Organisation
       Ubele sagte auf einer Veranstaltung der Denkfabrik Runnymede Trust am
       Mittwochabend, es sei seltsam, dass die Regierung einen Bericht verfasst
       habe, der die Entwicklungen zurückschraube. Und das zu einem Zeitpunkt, an
       dem endlich viele Unternehmen aufgrund der Proteste ihn und andere um Hilfe
       gebeten hätten, wie sie gegen [2][Rassismus] vorgehen könnten.
       Struktureller Rassismus liege vor, wenn Kräfte zusammen kämen, die schwarze
       Menschen entmachteten und ihnen Chancen nehmen würden.
       
       ## Kein Bezug zur Realität
       
       Patrick Vernon, Fürsprecher für Brit*innen mit karibischem Hintergrunds
       kritisierte die Botschaft des Berichts sei. Das Mantra, dass, wer hart an
       sich arbeite, vorankomme, habe mit der Realität vielfach nichts zu tun.
       Simon Woolley behauptete, das der Adressat des Berichts die weiße
       Arbeiterklasse sei, um dort bei den bevorstehenden Regionalwahlen Stimmen
       zu gewinnen.
       
       Tatsächlich verneint der Bericht keineswegs Diskriminierung und soziale
       Benachteiligung. So spricht er offen schlechtere Arbeitsplätze und Gehälter
       von Minderheiten an. Was die Gesundheit betreffe, seien viele Minderheiten
       sogar gesünder als die weiße Mehrheit. Es gebe jedoch Ausnahmen unter
       schwarzen Brit*innen – etwa höhere Raten von Diabetes und Todesraten von
       Müttern bei der Geburt.
       
       Dennoch ist auffällig, dass die Nennung von Rassismus als Grund für diese
       Missstände vermieden wird. Oft ist nur von Benachteiligung die Rede.
       Beispielsweise erwähnt der Bericht Covid-19-Todesfälle unter ethnischen
       Minderheiten. Diese hingen nicht mit dem Hintergrund dieser Menschen
       zusammen, sondern damit, dass sie als Pflegekräfte der Seuche eher
       ausgesetzt gewesen seien. Weshalb aber Menschen ethnischer Minderheiten
       eher in diesen Bereichen arbeiten, darüber schweigt der Bericht.
       
       1 Apr 2021
       
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