# taz.de -- Coronapolitik in Großbritannien: Johnsons Ex-Berater auf Rachekurs
       
       > Ex-Chefberater Cummings kritisiert die britische Regierung harsch für
       > ihren Umgang mit der Pandemie. Dabei war er selbst involviert.
       
 (IMG) Bild: Dominic Cummings am Mittwoch bei einer Befragung im Parlament
       
       London taz | „Am 13.März ließ die stellvertretende Kabinettsekretärin
       verlauten, dass wir voll abgefuckt seien und dass das Land in ein Desaster
       laufe.“ Mit diesen Worten beschrieb Dominic Cummings, der [1][ehemalige
       persönliche Berater des britischen Premiers Boris Johnson], am Mittwoch bei
       einer Befragung durch den Gesundheits- und Wissenschaftsausschuss im
       Parlament den Beginn des Märzwochenendes letzten Jahres, an dem die
       Regierung begann, sich ernsthaft um die anrollende Coronapandemie zu
       kümmern.
       
       Nach diesem Wochenende wurden am 16. März 2020 die ersten Distanzregeln
       aufgestellt und am 23. März der erste Lockdown ausgerufen – mindestens eine
       Woche zu spät, wie Kritiker seitdem angemerkt haben.
       
       Cummings’ Auftritt war mit Spannung erwartet worden. Er hat sein Amt Ende
       2020 [2][im Streit] verlassen. Bereits am Tag vor der Befragung hatte
       Cummings auf Twitter mit seiner Anklage begonnen. Eine der neuen
       Anschuldigungen gegen Boris Johnson: Als es im Herbst 2020 um einen
       möglichen zweiten Lockdown ging, habe Johnson das abgelehnt mit der
       Begründung, dass ja nur 80-Jährige draufgehen würden. Schon vorher
       schweifte das bereits von Johnson dementierte Zitat herum, dass der Premier
       damals gesagt haben soll, er würde lieber Leichen stapelhoch sehen, als
       einen neuen Lockdown auszurufen.
       
       Cummings erzählte dem Ausschuss, dass im Januar und Februar 2020 die
       Regierung davon ausging, dass Covid-19 keine ernst zu nehmende Krankheit
       sei. Erst in der zweiten Februarhälfte, während Johnson sich im Urlaub
       befand, habe man sich auf eine drohende Pandemie konzentriert.
       
       Zentrale Annahme der Regierung sei ein erwarteter Höhepunkt der
       Erkrankungen im Juni 2020 gewesen, den man aussitzen könne. Das Konzept
       einer Herdenimmunität sei Politik gewesen. Erst als Mitte März Echtdaten
       aus britischen Krankenhäusern vorlagen, sei klar geworden, dass das
       Gesundheitssystem des Landes kollabieren könnte.
       
       ## „Ich bin selber nicht schlau“
       
       Zum gleichen Zeitpunkt erwiesen sich Vorbereitungen auf die Pandemie als
       nichts Weiteres als Power-Point-Präsentationen, behauptete Cummings und
       bemängelte fehlende Transparenz. Am meisten rügte Cummings
       Gesundheitsminister Matt Hancock. Der habe über ausreichende Schutzkleidung
       und medizinische Versorgung gelogen, und hohe Beamte hätten das bestätigt.
       Er selbst, so Cummings, habe immer wieder gefordert, Hancock zu entlassen,
       damit nicht noch mehr Menschen sterben. „Zehntausende von Menschen sind
       gestorben, die nicht hätten sterben müssen“, sagte Cummings.
       
       Er nahm sich selbst von der Kritik nicht aus. Er habe nicht an den ersten
       Krisensitzungen teilgenommen und habe es versäumt, früh genug die
       Alarmglocken zu läuten. Er habe Angst gehabt, den Premierminister zu etwas
       zu zwingen, was sich später als falsch entpuppen könnte, sagte er zur
       Begründung und entschuldigte sich.
       
       Cummings wiederholte seine bekannten Standpunkte, dass die britische
       Regierung nicht die richtigen Leute habe, um qualitative Entscheidungen
       treffen zu können. „Ich bin selber nicht schlau“, gestand Cummings.
       
       Im Unterhaus wurde Boris Johnson am Nachmittag von
       [3][Labour-Oppositionsführer Keir Starmer] zur Rede gestellt. Johnson
       dementierte unter hörbaren Zwischenrufen aus den Reihen der Opposition alle
       Anschuldigungen von Cummings.
       
       Die Kontroverse erfolgt vor dem Hintergrund, dass Großbritannien zu Beginn
       der Pandemie mit Abstand am meisten Covid-19-Tote in Europa zählte. Noch
       heute liegt das Land mit über 127.000 Toten weit vorn.
       
       26 May 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Boris-Johnsons-Strippenzieher/!5728412
 (DIR) [2] /Konservative-in-Grossbritannien/!5768820
 (DIR) [3] /Grossbritannien-und-die-Labour-Partei/!5695300
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Großbritannien
 (DIR) Boris Johnson
 (DIR) Dominic Cummings
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Boris Johnson
 (DIR) Großbritannien
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Dominic Cummings
 (DIR) Boris Johnson
 (DIR) Lohnerhöhung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Party-Skandal von Boris Johnson: Ein zynisches Spiel
       
       Die Empörung der Tory-Rechten über Johnsons „Corona-Party“ ist
       scheinheilig. Es geht um Regeln, deren Einführung sie selbst bekämpft
       hatten.
       
 (DIR) Rechtsruck in Großbritannien: Eine illiberale Demokratie
       
       Wer Boris Johnson für einen Politclown hielt, hat sich getäuscht. Er
       verändert Großbritannien in eine autoritäre Richtung.
       
 (DIR) Rücktritt des Gesundheitsministers: Matt Hancock küsst sich aus dem Amt
       
       Eine Affäre mit Maske, aber ohne Kontaktbeschränkung: Dem britischen
       Gesundheitsminister fallen die eigenen Coronaregeln auf die Füße.
       
 (DIR) Konservative in Großbritannien: Donnergrollen in Downing Street
       
       Kaum ist die Pandemie eingedämmt, fliegen in London die Fetzen. Im Zentrum:
       Premier Johnson und sein Ex-Vertrauter Cummings.
       
 (DIR) Rassismus in Großbritannien: Bericht wirbelt in London Staub auf
       
       Eine von der Regierung in Auftrag gegebene Untersuchung stößt auf teils
       heftige Kritik. Berater von Premier Johnson kündigt Rücktritt an.
       
 (DIR) Britisches Krankenpersonal in der Coronakrise: Gerade mal 1 Prozent mehr Lohn
       
       In seinem Budget hat Finanzminister Rishi Sunak für die Pflegekräfte des
       staatlichen Gesundheitssystems nicht viel übrig.