# taz.de -- Wahl in Baden-Württemberg: Der schwarze Grüne
       
       > Winfried Kretschmannn ist der Erfolgsgarant der Ökopartei im Südwesten:
       > Immer mittig und fast wie Merkel. Doch was in Stuttgart funktioniert,
       > würde in Berlin scheitern.
       
 (IMG) Bild: In Baden-Württemberg kann man jetzt doch noch mal Merkel wählen
       
       Winfried Kretschmann schaut den WählerInnen auf dem Plakat ernst in die
       Augen. Staatsmännische Pose. „Sie kennen mich“, steht daneben. Exakt mit
       demselben Satz hat Angela Merkel 2013 die Bundestagswahl gewonnen. Ist
       Kretschmann das Vorbild für die Grünen im Bund? Führt seine Strategie ins
       Kanzleramt? Die Antwort ist nicht so einfach, wie es scheint.
       
       Baden-Württembergs Ministerpräsident hat geschafft, wovon Robert Habeck und
       Annalena Baerbock träumen. Wenn man irgendwo von grüner Hegemonie sprechen
       kann, dann im Südwesten. Kretschmanns Partei ist die moderne Volkspartei.
       Als die Grünen 2011 nach Fukushima ins Amt kamen, stellte die CDU das noch
       als Unfall hin.
       
       Inzwischen wirkt sie verzweifelt und aus der Zeit gefallen. [1][Selbst die
       Mehrheit der CDU-Anhänger wünscht sich, dass Kretschmann im Amt bleibt.]
       Der Wechsel der Vormachtstellung in dem konservativ grundierten Land ist
       von Dauer. Doch bei der Übertragung des Modells Kretschmann auf Deutschland
       ist Vorsicht angebracht. Sein Erfolg überstrahlt Schwächen, die in einer
       Bundeskoalition problematisch wären.
       
       Habeck und Baerbock haben sich einiges bei Kretschmann abgeschaut. Sie
       pflegen einen versöhnlichen Gestus und wenden sich nicht nur an die eigene
       Fankurve, sondern auch an Leute, die mit den Grünen bisher wenig am Hut
       hatten.
       
       Aber da enden auch schon die Parallelen. Manche von Kretschmanns
       Eigenschaften taugen nicht für den Aufbruch, den die Grünen im Bund
       versprechen. So ist Kretschmann ein schlechter Verhandler.
       
       Manche Grüne sagen, er suche zu schnell den Konsens, nicht nur in
       Stuttgart, wo er der CDU viel Raum gibt, sondern auch im Bundesrat. Weil
       Kretschmann als einziger grüner Ministerpräsident die grüne
       Verhandlungsstrategie bestimmt, bliebe die Partei unter ihren
       Möglichkeiten. Diese Sanftheit dürfen sich die Grünen im Bund als
       Juniorpartner der Union nicht leisten. Sie würde ihnen das Genick brechen.
       
       ## Zu weich, zu vorsichtig, zu mittig
       
       Die Grünen gingen zuletzt dazu über, ihn mit anderen Leuten einzurahmen.
       Den Einstieg für den CO2-Preis, den Kretschmann stolz als Erfolg preist,
       hat er mit dem linken Grünen Anton Hofreiter verhandelt. [2][Kretschmann
       allein hätte noch weniger als die (viel zu niedrig angesetzten) 25 Euro pro
       Tonne CO2 herausgeholt.]
       
       Aber ist die Fähigkeit zum Kompromiss nicht die Essenz der Demokratie? Und
       würden allzu schnelle Veränderungen die Gesellschaft nicht überfordern? Der
       Autokonzern Daimler etwa, so ein Argument, brauche Zeit, um sich auf die
       Umstellung auf E-Mobilität vorzubereiten. Nötig sei Moderation statt
       Disruption. An beiden Argumenten ist etwas dran.
       
       Aber sie greifen zu kurz – und werden von Grünen gerne als Ausflucht
       verwendet. Denn oft sind die Spielräume größer. Die Gesellschaft ist der
       Politik voraus. Für die ökologische Wende muss angesichts der Dramatik der
       Klimakrise beinhart gekämpft werden, in Verhandlungen über eine Koalition,
       aber auch von einem grünen Ministerpräsidenten.
       
       ## Grüne Autopolitik: viel Geld für Straßen
       
       Kretschmann, der die Mitte zusammenhalten will, agiert oft zu weich und
       vorsichtig. Wäre dies bei Themen wie der Flüchtlingspolitik – siehe sichere
       Herkunftsstaaten – oder der Verteilungsgerechtigkeit – siehe
       Erbschaftsteuer – für die Grünen noch taktisch vernachlässigbar, weil sie
       ihren Markenkern nicht berühren, geht eines bestimmt nicht: zu wenig
       Konfrontationsbereitschaft beim grünen Herzensanliegen, dem ökologischen
       Umbau der Industriegesellschaft.
       
       [3][Kretschmanns Eintreten für eine Kaufprämie für große
       Verbrennerlimousinen während der Coronapandemie war schlicht falsch.] Der
       Plan hätte ein fossiles Geschäftsmodell mit viel Steuergeld verlängert.
       Daimler, BMW und VW ließen sich schon durch das Kurzarbeitergeld vom Staat
       bezuschussen und schütteten trotzdem Milliardendividenden an ihre Aktionäre
       aus. Ganz nebenbei konterkarierte Kretschmann wieder einmal die Position
       der eigenen Partei.
       
       Das Ja zur Kaufprämie steht Pars pro Toto. Kretschmann sieht auch die neue
       EU-Abgasnorm 7 skeptisch, weil sie Verbrenner in arge Probleme brächte. Er
       hält ein fixes Ausstiegsdatum für die Autoindustrie für falsch. Überall
       setzt er lieber auf freundlichen Dialog als auf harte ordnungsrechtliche
       Maßnahmen. Das Ergebnis: Autopolitik im „Autoland“ Baden-Württemberg. Zu
       viel Geld fließe immer noch in den Straßenbau, kritisiert der BUND die
       grün-schwarze Bilanz. Das bedeute mehr Verkehr, mehr CO2-Emissionen, höhere
       Luftbelastung und mehr Flächenverbrauch.
       
       ## Kretschmann als Merkel zwei
       
       Natürlich ist das Bild ambivalenter. Kretschmanns grün-schwarze Regierung
       machte beim Umweltschutz Schritte nach vorn und legte mehr Biodiversität
       gesetzlich fest. Aber das baden-württembergische Klimaschutzgesetz, noch
       ein Kern grüner Politik, nennen die AktivistInnen von Fridays for Future
       „völlig ambitionslos“, weil es sich nicht am Pariser Klimaschutzabkommen
       orientiere, sondern an überholten Zielen der Bundesregierung.
       
       Kretschmanns Weg führt in die richtige Richtung, aber es reicht nicht.
       Baerbock und Habeck stecken deshalb in einem Dilemma. Kretschmann liefert
       die Blaupause, um der Union in der bürgerlichen Mitte den Rang abzulaufen.
       Aber solch behutsame Modernisierung ist angesichts der eskalierenden
       Klimakrise viel zu langsam, ja, sie bliebe sogar unter einer Orientierung
       an Paris, dem Minimalziel einer grünen Regierungsbeteiligung.
       
       Schließen Baerbock und Habeck die Kluft zwischen behaupteter und
       tatsächlicher Radikalität? Diese Frage haben sie noch nicht beantwortet.
       Gleichzeitig führt der Frust der Grünen in Stuttgart über die CDU allen die
       Grenzen dieser Koalitionsoption vor Augen. Selbst mit einem Grünen an der
       Spitze liefert sie nicht den Aufbruch, den das Land dringend bräuchte. Als
       Slogan für diese bedächtige Status-quo-Anpassung passt Merkels „Sie kennen
       mich“ eigentlich ganz gut.
       
       9 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.sueddeutsche.de/politik/landtagswahl-kretschmann-eisenmann-baden-wuerttemberg-1.5201132
 (DIR) [2] /Gruene-und-das-Klimapaket/!5626897
 (DIR) [3] /Autolaender-verlangen-Kaufpraemien/!5682923
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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