# taz.de -- Tag des Artenschutzes: Die Lage ist ernst
       
       > Die romantische Idee von ungestörter Natur verklärt die Wirklichkeit.
       > Artenschutz muss mehr sein, für manche kommt er sonst zu spät.
       
 (IMG) Bild: Wird es in Zukunft noch Feuersalamander geben?
       
       Das Bild, das sich Oliver Hofmann von der Unteren Naturschutzbehörde der
       Stadt Remscheid Ende Januar in einem Naturschutzgebiet im Bergischen Land
       an der Wupper bietet, erinnert an einen Horrorfilm. Auf einem gerade mal
       2,5 Kilometer langen Forstweg liegen 70 leuchtend schwarz-gelbe, aber tote
       Feuersalamander offen herum, übersät mit regelrechten Löchern in der Haut.
       Mitten im Wald.
       
       Kein Angreifer im Blutrausch war schuld, ausnahmsweise auch mal kein Auto –
       sondern ein Pilz. Kein Einzelfall: Allein in den ersten zwei Monaten des
       neuen Jahres wurden Outbreaks aus den Stadtgebieten von Herne, Solingen,
       Wuppertal, Dortmund und Bochum gemeldet.
       
       Amphibien plagen sich derzeit mit einer Seuche herum, gegen die Corona wie
       ein harmloser Schnupfen wirkt. Nach bisherigem Kenntnisstand stirbt jeder
       infizierte Salamander in wenigen Wochen. Der Pilz, der erst im Jahr 2013
       entdeckt worden war, bekam den bezeichnenden Namen Batrachochytrium
       salamandrivorans – Salamanderfresser.
       
       Die Infektion erfolgt nicht nur von Tier zu Tier, sondern auch über Boden
       und Wasser. Die Pilzsporen können sich lange in der Umwelt halten und
       beispielsweise auch Molche befallen, die daran aber nicht unbedingt sterben
       und fortan als Reservoir dienen, von wo aus die Seuche jederzeit neu
       zuschlagen kann. Ein einmal befallenes Biotop ist über viele Jahre,
       womöglich für immer, verloren für den Feuersalamander, da kann es noch so
       intakt aussehen und unter strengstem Naturschutz stehen.
       
       ## Sprung nach Bayern
       
       Ganze Feuersalamanderpopulationen sind seit dem ersten Auftreten des
       unheimlichen Gegners bereits ausgelöscht worden, und der Pilz arbeitet sich
       unaufhaltsam vor. Im letzten Jahr ist ihm ein Sprung über 500 Kilometer in
       den Steigerwald nach Bayern gelungen. Vielleicht im Profil des Schuhs eines
       Wanderers, mit dem Reifen eines BMX-Rads oder Forstfahrzeugs – wie man in
       den Wald hineingeht, so stirbt es heraus.
       
       Über eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht, warnte der
       Weltbiodiversitätsrat in seinem Lagebericht 2019, das sechste große
       Massensterben in der Geschichte des Planeten ist bereits in vollem Gang.
       Beim fünften hat es die Dinosaurier erwischt. Wenn die ökologischen Netze
       erst einmal zusammenbrechen, überlebt nur ein Bruchteil der Arten – dass
       der Mensch zu den Überlebenden gehören könnte, glaubt eigentlich niemand.
       Es geht also auch für uns ums nackte Überleben.
       
       Die Hauptursache für den Artenschwund ist noch immer der Lebensraumverlust.
       Klassischer Artenschutz setzt genau dort an: Das Einrichten von
       Schutzgebieten ist die wichtigste Gegenmaßnahme. Doch es nützt das schönste
       Schutzgebiet nichts, wenn ein Pilz, der vermutlich aus Ostasien über den
       Menschen nach Deutschland gelangt ist, seine Bewohner erledigt.
       
       Auch das Klima hält sich nicht an Schutzgebietsgrenzen. Viele Arten haben
       eine geringe Toleranz gegenüber Schwankungen. Kommt der Wandel zu schnell,
       können sie sich nicht anpassen. Wer oben auf einem Berg sitzt, lebt bereits
       am Ende der Fahnenstange. Steigt die Temperatur, ist Ausweichen
       ausgeschlossen. Dasselbe gilt, wenn im Nebelwald plötzlich die Wolken
       wegbleiben.
       
       ## Biologie ohne Romantik
       
       Der romantische Gedanke an eine „freie Wildbahn“ oder doch zumindest an
       eine ungestörte Natur, die man bloß wegsperren muss vor dem bösen Menschen,
       und schon sagen sich Fuchs und Hase liebevoll gute Nacht hinterm Zaun, ist
       immer noch weit verbreitet. Er hat mit der Wirklichkeit heute nichts mehr
       zu tun.
       
       Zwar bleibt die wichtigste Strategie der Erhalt von Lebensräumen. Aber
       damit allein werden viele Arten nicht mehr zu retten sein. Weil Krankheiten
       drohen, weil das Klima sich ändert, weil oft schlicht nicht mehr genug
       Tiere übrig sind. [1][Der Mensch hat’s kaputtgemacht,] nun muss er es
       richten.
       
       Im Fall des Feuersalamanders bildet sich gerade eine ungewöhnliche
       Koalition: Behörden, Zoos, Naturschutzverbände und private Tierhalter
       arbeiten gemeinsam daran, die Lurche sozusagen in Schutzhaft zu nehmen. Es
       ist wohl ihre einzige Chance.
       
       Will man das Verschwinden ganzer lokaler Vorkommen mit ihren oft
       einzigartigen Besonderheiten verhindern, muss man sie aus dem Wald holen
       und [2][womöglich über Jahrzehnte in menschlicher Obhut halten und
       züchten], denn ihr Lebensraum dürfte auf lange Zeit unbewohnbar sein. Eines
       Tages gibt es vielleicht eine Impfung für Feuersalamander. Oder eine
       Technik, den Wald vom Pilz zu befreien. Die Frage ist nur, ob es dann noch
       Feuersalamander geben wird, die dort wieder einziehen könnten.
       
       3 Mar 2021
       
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