# taz.de -- Gerichtsprozess zu Verbrechen in Syrien: Das Rädchen im Foltergetriebe
       
       > Eyad A. soll dem syrischen Geheimdienst beim Foltern geholfen haben. Seit
       > April steht er in Koblenz vor Gericht, jetzt endeten die Pladoyers.
       
 (IMG) Bild: Soll bei Verbrechen in Syrien eine Rolle gespielt haben: Eyad A. im Gerichtssaal
       
       Koblenz taz | Seltsam unbeteiligt sitzt Eyad A. da, fast so, als gehe ihn
       das Geschehen im Saal nichts an. Sein Körper, der in einem verwaschenen
       bordeauxroten Sweatshirt und einer ähnlich farbigen Hose steckt, die er
       während des Prozesses immer trägt, ist leicht vorgebeugt, das Gesicht zum
       großen Teil hinter einer FFP2-Maske versteckt, die Augen starren geradeaus.
       Auf seinen Ohren sitzt ein Kopfhörer. Darüber hört er, ins Arabische
       übersetzt, wie Oberstaatsanwalt Jasper Klinge am späten Mittwochvormittag
       in Saal 120 des Koblenzer Oberlandesgerichts zum großen Bogen ausholt.
       
       Am 17. Dezember 2010 habe der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi sich in
       Tunesien in Brand gesteckt, um auf die Missstände in seinem Land aufmerksam
       zu machen, so beginnt der Vertreter der Bundesanwaltschaft sein Plädoyer.
       Dies sei der Beginn des Arabischen Frühlings gewesen. „In Syrien ging das
       Regime von Beginn an mit massiver Gewalt und Brutalität gegen die
       Demokratiebewegung vor.“
       
       Schon nach wenigen Minuten ist klar: Hier wird es in den kommenden Stunden
       nicht nur um die Vergehen des Angeklagten Eyad A. gehen. Klinge und seine
       Kollegin Claudia Polz werden ein Plädoyer gegen die Verbrechen des
       syrischen Regimes von Baschar al-Assad insgesamt vortragen.
       
       In dessen „gut geölter, bestens funktionierender Foltermaschinerie“, wie
       sie es nennen, war Eyad A. wohl nur ein kleines Rädchen. Doch ohne Rädchen
       wie ihn, so wird Klinge später sagen, hätten die Verbrechen vielleicht
       überhaupt nicht, mit Sicherheit aber nicht in diesem Ausmaß stattfinden
       können.
       
       Zuvor hatte das Gericht am Morgen den Prozess gegen Eyad A. vom
       Hauptverfahren abgetrennt. Gegen den Hauptangeklagten Anwar R., der wohl
       ein deutlich größeres Rad im Getriebe des Assad-Regimes gewesen ist, wird
       weiter verhandelt.
       
       Mit Anwar R. und Eyad A. müssen sich seit Ende April 2020 erstmals weltweit
       [1][zwei mutmaßliche syrische Folterknechte vor Gericht verantworten]. Nach
       dem Weltrechtsprinzip im Völkerstrafgesetzbuch können in Deutschland
       Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann verfolgt werden, wenn weder
       Täter noch Opfer Deutsche sind.
       
       Es ist ein Freitag im September oder Oktober 2011, der Eyad A. konkret zur
       Last gelegt wird. In Douma demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen
       das Regime, etwa tausend Sicherheitsleute sollten das verhindern. Plötzlich
       stieg Hafez Makhlouf, der Chef der berüchtigten Unterabteilung 40 des
       Allgemeinen Geheimdienstes, aus dem Auto und schoss grundlos mit einem
       Maschinengewehr auf die friedlichen DemonstrantInnen.
       
       Mindestens drei Menschen waren sofort tot, mindestens zwei weitere erlagen
       später ihren Verletzungen. Makhlouf forderte seine Mitarbeiter auf, es ihm
       gleichzutun und Jagd auf fliehende DemonstrantInnen zu machen.
       
       ## Büro sei nicht seine „Sache“
       
       Makhlouf, bekannt für seine Brutalität, ist ein Cousin mütterlicherseits
       von Assad, Mitglied im engsten Machtzirkel des Regimes – und damals Eyad
       A.s Chef. Mit Kollegen setzte dieser 30 DemonstrantInnen fest, schaffte sie
       in Kleinbusse und verfrachtete sie in die Al-Khatib-Abteilung, wo sie
       brutal gefoltert wurden.
       
       „Der Angeklagte wusste, dass Folter systematisch angewendet wird“, sagt
       Klinge. Auch habe A. gewusst, dass Menschen an den Folgen starben. „Auch
       dies war ihm bekannt, auch dies akzeptierte er.“ Eyad A. ist der Beihilfe
       zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.
       
       Eyad A. ist heute 44 Jahre alt, seine Frau und die sechs Kinder leben in
       Zweibrücken. Mit 20 ging er zum syrischen Geheimdienst. Dort trainierte er
       zunächst Rekruten, im Februar 2010 wechselte er in die Abteilung 251, auch
       Al-Khatib-Abteilung genannt, die für die Sicherheit in Damaskus und
       Umgebung zuständig ist. Er spionierte Moscheen und Imame aus, dann wurde er
       in die Region Zabadani versetzt, etwa 30 Kilometer von Damaskus entfernt.
       
       Doch dort gefiel es ihm nicht. „Ich wollte den Job verlassen, weil die
       Büroarbeit nicht so meine Sache ist“, sagte A. im Mai 2018 bei seiner
       Anhörung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz Bamf. So hat es
       der zuständige Mitarbeiter vor Gericht ausgesagt. A. selbst schweigt im
       Prozess. Das Bamf machte das Bundeskriminalamt auf A. aufmerksam, das ihn
       wenige Monate später verhörte. Auf diese beiden Aussagen stützt sich die
       Anklage gegen A. in großen Teilen.
       
       ## Schläge mit Eisenstangen
       
       Im Juli 2011, der Aufstand in Syrien war bereits einige Monate im Gang und
       die Brutalität des Regimes nahm zu, wechselte A. zur Unterabteilung 40, die
       er selbst „gefährlich“ genannt hat. „Wenn man einmal drin ist, kann man
       nicht mehr ausscheiden, es ist wie eine mafiöse Vereinigung.“
       
       Auch erzählte A. den Beamten von den Geschehnissen in Douma – und dass die
       Gefangenen, die sie gemacht hätten, in der Abteilung 251 von Wärtern mit
       Metallstangen geschlagen worden seien. Er habe dort Gefangene vor Schmerzen
       schreien und weinen hören.
       
       Die Angehörigen der Unterabteilung 40 würden gezielt ausgewählt, sagt
       Oberstaatsanwalt Klinge. Grundlage sei neben körperlicher Fitness die
       unbedingte Loyalität zum Regime. Eyad A. habe gewusst, dass es sich um eine
       „brutale Abräum- und Schlägertruppe“ unter Führung des für seine
       Gewalttätigkeit bekannten Makhlouf gehandelt habe. Und trotzdem sei er von
       seinem Bürojob an die Front gewechselt.
       
       Auch habe A. von der systematischen Folter Kenntnis gehabt. Die
       AnklägerInnen fahren in ihrem Plädoyer noch einmal all die Beweise auf, die
       der Prozess bislang für den systematischen Angriff des Regimes auf die
       eigene Bevölkerung zusammengetragen hat. Die Aussagen der Opferzeugen, die
       berichteten, welch unfassbar brutale Gewalt sie in dem Folterkeller der
       Abteilung 251 erfahren haben und wie sie noch heute unter den Folgen
       leiden.
       
       ## Bilder des Schreckens
       
       Sie schilderten die sogenannten Willkommenspartys, bei denen sie bei
       ihrer Ankunft mit Tritten und Schlägen malträtiert wurden. Sie berichteten
       von Elektroschocks, Übergüssen mit Wasser, herausgerissenen Fingernägeln,
       einer Vergewaltigung und davon, wie sie an den Händen stundenlang an der
       Decke aufgehängt wurden, so dass nur die Fußspitzen den Boden berührten.
       
       Von Foltermethoden wie „Dulab“, bei dem der Häftling in einen Autoreifen
       gezwängt und mit Schlägen und Tritten malträtiert wird. Oder „Falaka“, bei
       der das Opfer immer wieder auf die besonders empfindlichen Fußsohlen
       geschlagen wird.
       
       Klinge und Polz führen [2][die sogenannten Caesar-Files] an, Tausende
       Fotos, die ein ehemaliger syrischer Militärfotograf von getöteten
       Gefangenen gemacht und aus dem Land geschleust hatte. Dazu die Analyse
       eines Rechtsmediziners, der von systematisch beigebrachten Misshandlungen
       sprach, die zum Tod geführt hätten.
       
       So entstehen die furchtbaren Bilder von den Geschundenen im Kopf der
       ZuhörerInnen wieder neu. Die AnklägerInnen erinnern an die Aussagen von
       ehemaligen Mitarbeitern des Regimes, [3][die riesige Massengräber
       geschildert hatten], in denen die vielen Toten verscharrt wurden, und
       daran, wie die Leichen stanken. Für die AnklägerInnen steht fest: Es
       handelt sich hier um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die das Regime
       von Baschar al-Assad begangen hat. Und dazu hat Eyad A. Beihilfe geleistet.
       
       ## Hatte der Angeklagte eine Wahl?
       
       Auch zwei Verwandte von A., ein Schwager und ein Cousin, bestätigten, dass
       A. beim Geheimdienst gearbeitet hat. Doch das Bild, das sie von Eyad A.
       zeichnen, ist ambivalenter als das der Bundesanwaltschaft. Sie berichten
       davon, dass A. jemanden vor dem Geheimdienst versteckt habe. Dass er
       Oppositionelle gewarnt und ihnen geholfen hat. Dass er der unschuldigen
       Zivilbevölkerung nicht schaden wollte.
       
       Eyad A. selbst hat beim BKA ausgesagt, dass er den Befehl bekommen habe,
       Zivilisten zu töten. „Ich wollte meine Landsleute nicht töten“, sagte er,
       deshalb sei er im Januar 2012 desertiert und habe mit seiner Familie das
       Land verlassen. Im April 2018 reiste sie im Zuge der
       Familienzusammenzuführung nach Deutschland ein. Die Eltern hatten den
       ältesten Sohn alleine auf den Weg zu Verwandten nach Deutschland geschickt.
       
       Am 19. Februar 2019 ist Eyad A. in Zweibrücken verhaftet worden. Da war der
       Vorwurf noch deutlich umfassender. Doch weil die Beamten des BKA ihm nicht
       klarmachten, dass er nicht mehr nur als Zeuge galt, konnte seine Aussage
       zum Teil nicht verwendet werden; die Anklage musste reduziert werden. Jetzt
       wird ihm die Beihilfe zur Folter von 30 Menschen zur Last gelegt. Dafür
       fordert Oberstaatsanwalt Klinge am Mittwochnachmittag fünfeinhalb Jahre
       Haft.
       
       Am Donnerstagvormittag hat im Saal 120 die Verteidigung das Wort.
       Rechtsanwalt Matthias Schuster, Eyad A.s Verteidiger, zeichnet ein anderes
       Bild von seinem Mandanten. Dieser sei in die Unterabteilung 40 versetzt
       worden, aktiv beworben habe er sich nicht. Auch habe sich Eyad A. vom
       Regime abgewandt, sei desertiert, habe bei den deutschen Behörden
       umfassende Aussagen gemacht und nach der Analyse der Caesar-Fotos per Brief
       sein Entsetzen zum Ausdruck gebracht. Der Versuch der Bundesanwaltschaft,
       Eyad A. als Überzeugungstäter hinzustellen, sei falsch.
       
       Entscheidend in Schusters Argumentation ist etwas anderes. Er bezieht sich
       auf den sogenannten entschuldigenden Notstand im Strafgesetzbuch. Danach
       darf jemand, der eine rechtswidrige Tat begeht, weil er anders Gefahr für
       Leib und Leben von sich selbst oder von Angehörigen nicht abwenden könne,
       nicht bestraft werden.
       
       Genau dies, so Schuster, sei bei Eyad A. der Fall: „Er hatte nur zwei
       Alternativen“, sagt der Rechtsanwalt. Die DemonstrantInnen in die Abteilung
       251 zu bringen oder den Befehl zu verweigern und zu desertieren. Letzteres
       aber hätte nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Familie bedroht.
       „Der Angeklagte ist freizusprechen, der Haftbefehl aufzuheben“, fordert
       deshalb der Verteidiger.
       
       Letzte Worte zu sprechen, schlägt Eyad A. aus. Er habe den Ausführungen der
       Verteidiger nichts hinzuzufügen, sagt er auf Arabisch, ein Dolmetscher
       übersetzt. Dann starrt er in den Saal. Das Urteil wird am kommenden
       Mittwoch erwartet.
       
       18 Feb 2021
       
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