# taz.de -- Plädoyer im Lübcke-Prozess: Der rätselhafte Markus H.
       
       > Stachelte er den Attentäter an oder war gar Mittäter? Im Lübcke-Prozess
       > bestreiten die Anwälte des Mitangeklagten die Vorwürfe und fordern
       > Freispruch.
       
 (IMG) Bild: Verteidiger Björn Clemens (l.) und sein Mandant, der Mitangeklagte Markus H. (r.) am 14.01.2021
       
       Frankfurt/Main taz | Seine Rolle ist das große Rätsel im Prozess zur
       [1][Tötung von Walter Lübcke]: Markus H. ist der Beihilfe zum Mord
       angeklagt. Der Rechtsextremist soll seinen einstigen Freund, den
       Hauptangeklagten Stephan E., in dessen Mordplan am Kasseler
       Regierungspräsidenten bestärkt haben. Die Opferfamilie sieht H. gar als
       Mittäter, der bei der Tat mit auf der Terrasse stand.
       
       Und Markus H.? Der schweigt zu den Vorwürfen in dem Prozess, der seit Juni
       2020 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main über die Tötung von Walter
       Lübcke verhandelt und kurz vor dem Urteil steht. Dafür aber machen am
       Dienstag H.s Verteidiger Björn Clemens und Nicole Schneiders, zwei
       Szeneanwälte, in ihrem Plädoyer klar, was sie von den Vorwürfen halten:
       nichts.
       
       „Er sitzt hier zu Unrecht“, sagt Clemens. „Er hat nichts zu bereuen, er war
       schlichtweg nicht beteiligt.“ Schneiders spricht von einem Exempel, dass an
       Markus H. statuiert werden soll. Die Forderung der Anwälte: Freispruch und
       Haftentschädigung.
       
       Tatsächlich hatte das Gericht Markus H. bereits im Oktober [2][aus der
       U-Haft entlassen] und erklärt, ein dringender Tatverdacht liege nicht mehr
       vor. Die Anklage fordert dagegen neun Jahre und acht Monate Haft für den
       44-jährigen Waffennarr. Die Hinterbliebenen von Walter Lübcke wollen als
       Nebenkläger [3][gar lebenslange Haft].
       
       ## AnwältInnen mit einschlägiger Vergangenheit
       
       Markus H. habe den Hass auf Lübcke losgetreten, als er ein Video mit einem
       Ausschnitt der Bürgerversammlung von 2015 hochlud, auf welcher der
       CDU-Politiker rechte Störer zurechtwies. Er habe Stephan E. mit
       Schießübungen und Teilnahmen an AfD-Demos aufgestachelt. Und er habe
       auffällig schnell nach dem Mord alle Chats mit Stephan E. gelöscht.
       
       Clemens und Schneiders – er einst bei den Republikanern aktiv, sie bei der
       NPD – wischen die Vorwürfe weg. Die Teilnahme an AfD-Demos heiße noch keine
       Radikalisierung. Was bei den Schießtrainigs geschah, sei ungeklärt. Chats
       zu löschen heiße gar nichts, wenn man die Inhalte nicht kenne. Auch sei
       Stephan E. seit jeher Rechtsextremist, habe selbst Arbeitskollegen agitiert
       – eine Radikalisierung von außen sei gar nicht nötig gewesen.
       
       Zudem, so betonen die Anwälte, gebe es bis heute keinen handfesten
       Nachweis, dass Markus H. etwas von E.s Mordplan gewusst habe. Schon gar
       nicht, dass er auf Lübckes Terrasse stand. Vielmehr sei das Handy von
       Markus H. in der Tatnacht in einer Funkzelle fernab von Lübckes Wohnhaus
       eingeloggt gewesen.
       
       Tatsächlich gibt es von Markus H., anders als von Stephan E., keine
       DNA-Spur am Tatort. Aber sein früherer Kumpel beteuerte an mehreren
       Prozesstagen, H. sei dabei gewesen. Und auch der Anwalt der Lübckes listete
       30 Indizien auf, die für H.s Mittäterschaft sprächen.
       
       ## Musterbeispiel „legaler Lebensführung“?
       
       Clemens spricht von einem „herzlichen Einvernehmen“ zwischen Opfern und
       Täter, beide versuchten Markus H. in die Tat reinzuziehen. Dabei sei es
       doch sehr bemerkenswert, dass die Familie die Verteidiger von Stephan E. im
       September 2020 sogar auf ihr Anwesen ließ, um den Tatort zu inspizieren.
       Schneiders legt noch unverhohlener nahe, dass die Lübckes an einem
       „Stockholm-Syndrom“ litten.
       
       Die Aussagen von Stephan E. tun die Verteidiger ab. Dieser sei ein
       notorischer Lügner, schiebe die Schuld stets auf andere. Markus H. lebe
       dagegen straffrei, besitze seine Waffen legal. Der ebenfalls erhobene
       Vorwurf eines Waffenverstoß sei daher haltlos, auch hier müsse es
       Freispruch geben. „Er ist ein Musterbeispiel einer ganz legalen
       Lebensführung“, sagt Clemens über seinen Mandanten. Eine kühne Beschreibung
       für einen, bei dem Ermittler reihenweise NS-Devotionalien und eine
       Zyklon-B-Dose als Stifthalter fanden.
       
       Aber die Verteidiger holen politisch noch weiter aus. Clemens stellt den
       Mord an Lübcke in eine Reihe mit den RAF-Morden, tut das Lübcke-Video von
       Markus H. als „Kontrolle der Macht“ ab. Medien wirft er eine
       Vorverurteilung vor, imitiert gehässig eine Fernsehjournalistin. Und er
       widerspricht, dass das Urteil im Fall Lübcke ein Signal gegen Rechtsterror
       sein müsse: Der Staat tue bereits genug gegen rechts, mit „schier
       unzähligen Maßnahmen“.
       
       Schneiders wiederum verteidigt die Ideologie des Angeklagten. Minutenlang
       doziert sie über einen angeblich drohenden „Volkstod“ und eine „Umvolkung“
       – gängige rechtsextreme Narrative. Für die Anwältin sind dies keine
       Wahnvorstellungen, wie es die Ankläger nennen, sondern reale Bedrohungen.
       Und dagegen gebe es eine „Pflicht zur Identitätswahrung“.
       
       ## „Unanständiges Grinsen“
       
       Im Saal verfolgen die Witwe und Söhne von Walter Lübcke die Ausführungen
       mit starren Blicken. Sie tun dies auch, als die beiden Angeklagten ganz am
       Ende noch einmal das letzte Wort erteilt bekommen. Stephan E. wendet sich
       direkt an die Familie. „Ich möchte Ihnen nochmal, sagen, dass es mir sehr
       leid tut, was ich Ihnen angetan habe“, sagt er mit gedrückter Stimme. Er
       bereue die Tat „zutiefst“.
       
       Und E. belastet ein letztes Mal noch seinen früheren Kumpel. „Dass, was ich
       Ihnen hier gesagt habe, ist die Wahrheit.“ Das teils politische Plädoyer
       von Markus H. sei dagegen „genau das, wovon ich wegkommen wollte“.
       
       Auch Markus H. ergreift nun das Wort. Allerdings nur, um es bei einer
       Anmerkung zu belassen: „Nicht alles was gesagt wurde, hat zur Aufklärung
       beigetragen.“ Ansonsten schließe er sich seinen Anwälten an.
       
       „Schwierig und schmerzhaft“ sei der Prozesstag für sie gewesen, lassen die
       Lübckes im Anschluss durch ihren Sprecher erklären. Zwar hätten auch
       Angeklagte, die „diesen Staat verachten und bekämpfen“, das Recht auf eine
       angemessene Verteidigung. Das Plädoyer von Markus H. aber sei „im Stil
       unangemessen und in der Sache fehlerhaft“ gewesen. Noch dazu komme es von
       einem Angeklagten, der im Prozess „nichts, aber auch gar nichts“ zur
       Wahrheitsfindung beigetragen habe und stattdessen durch „unanständiges
       Grinsen“ provozierte.
       
       Ob Markus H. auch am Ende noch grinsen kann, wird sich am Donnerstag
       zeigen: Dann soll das Urteil fallen.
       
       26 Jan 2021
       
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