# taz.de -- Plädoyer im Lübcke-Prozess: Es soll nur Totschlag sein
       
       > Im Lübcke-Prozess plädieren die Verteidiger auf Totschlag statt Mord –
       > mit kühner Begründung. Für Stephan E. fordern sie einen Strafrabatt.
       
 (IMG) Bild: Der Anwalt Mustafa Kaplan und Stephan E. stehen am 12. Januar 2021 im Gerichtssaal in Frankfurt
       
       Frankfurt am Main taz | Es ist ein denkwürdiger Prozess. Seit Juni 2020
       wird vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/Main über den Mord an Walter
       Lübcke, dem Kasseler Regierungspräsidenten, verhandelt. [1][Dem ersten Mord
       an einem Politiker durch einen Rechtsextremen seit Jahrzehnten]. Ein
       Prozess mit gleich drei Geständnissen des Angeklagten. Mit einer völlig
       unklaren Rolle des Mitangeklagten Markus H. Einer Opferfamilie, die die
       Glaubwürdigkeit des Täters verteidigt. Und nun auch noch mit einem
       denkwürdigen Plädoyer.
       
       Die Verteidiger Mustafa Kaplan und Jörg Hardies halten es am Donnerstag für
       den Hauptangeklagten Stephan E. Und statt Mordes an Walter Lübcke fordern
       sie nur eine Verurteilung wegen Totschlags – ohne besondere Schwere der
       Schuld, ohne Sicherungsverwahrung. Eine kühne Forderung. Die Frage der
       Haftjahre lässt Kaplan offen. Er plädiert für ein „verhältnismäßiges, aber
       auch annehmbares Urteil“.
       
       Dass Stephan E. an der Tötung von Walter Lübcke beteiligt war, ist
       unstrittig. Von ihm fand sich DNA am Hemd des Opfers und an der Tatwaffe.
       Der Rechtsextremist gestand auch, Walter Lübcke am 1. Juni 2019 auf dessen
       Terrasse in Istha bei Kassel erschossen zu haben – aus aufgestautem Hass
       über dessen Kritik an Geflüchtetengegner auf einer Bürgerversammlung in
       Kassel 2015.
       
       Später aber widerrief Stephan E. sein Geständnis und beschuldigte den
       Mitangeklagten Markus H. als Schützen. Im Prozess dann Version drei: Er
       habe doch selbst geschossen, aber Markus H. sei mit am Tatort gewesen und
       habe ihn zuvor aufgestachelt.
       
       ## „Schmierentheater, der schlechtesten Sorte“
       
       Auch Verteidiger Kaplan spricht von einem „ungewöhnlichen Verfahren“. Die
       Schuld von Stephan E. stellt er nicht in Frage. Ja, dieser habe geschossen.
       Das „Geständniswirrwarr“ schiebt Kaplan auf E.s frühere Verteidiger, allen
       voran den Dresdner Frank Hannig. Der habe das zweite Geständnis schlicht
       erfunden, „ein Schmierentheater der schlechtesten Sorte“. Auch die
       Bundesanwaltschaft trage Verantwortung, da sie den Anwälten JVA-Besuche
       erlaubte, ohne dass Stephan E. dies erbeten hatte.
       
       Kaplan betont aber: Auch Markus H., ein früherer Kumpel von Stephan E. und
       ebenso Neonazi, sei mitverantwortlich für die Tat. Markus H. habe Stephan
       E. 2015 mit zu Lübckes Bürgerversammlung genommen. Er habe das Video mit
       einer verkürzten Aussage Lübckes online gestellt, das danach rechte
       Hasspostings auslöste. Er habe Stephan E. mit zu Schießtrainings genommen
       und sei bei Ausspähungen in Istha dabei gewesen.
       
       Und Markus H. sei auch mit auf der Terrasse von Walter Lübcke gewesen, so
       wie Stephan E. aussagte. H. sei vorne gekommen, Stephan E. von der Seite,
       die Männer hätten Lübcke bedroht, dann fiel der Schuss. Nur in dieser
       Konstellation seien die Schmauchspuren am Tatort zu erklären, sagt Kaplan.
       „Wir Verteidiger haben keinen Zweifel, dass Stephan E. die volle Wahrheit
       erzählt hat.“
       
       ## Anwalt verneint niedere Beweggründe
       
       Für Kaplan ist die Tat dennoch kein Mord. So fehle es am rechtlich nötigen
       Merkmal der Heimtücke. Zwar sei Lübcke wehrlos gewesen. Arglos überrumpelt
       aber wurde er nicht, weil er die Männer kommen sah. Und es fehle an
       niederen Beweggründen, da Stephan E. fälschlich davon ausging, im Sinne
       einer – asylfeindlichen – Allgemeinheit gehandelt zu haben. Dieser Glaube
       rühre daher, dass er sich zuvor in einer rein „rechtspopulistischen und
       rechtsextremen Blase“ bewegt habe.
       
       Und sollte das Gericht doch von einem Mord ausgehen, komme zumindest eine
       besondere Schwere der Schuld nicht in Betracht, erklärt Kaplan. Weil die
       Tat, mit nur einem Schuss, nicht brutaler war als andere Morde.
       
       Es sind gewagte Thesen. Die Bundesanwaltschaft jedenfalls hat keinen
       Zweifel, dass es ein Mord war: Die Tat sei lange geplant gewesen und habe
       mit dem Hass auf einen politischen Gegner ein niederes Motiv. Auch gehen
       die Ankläger davon aus, dass Stephan E.s erstes Geständnis stimmt und er
       sich allein auf die Terrasse schlich – also heimtückisch handelte. Ihre
       Forderung: [2][lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung].
       
       Auch die Familie Lübcke zweifelt nicht, dass es ein Mord war. Sie aber
       glaubt, dass tatsächlich beide Angeklagten am Tatort waren – und fordert
       für beide die Höchststrafe.
       
       ## „Alles getan, was er tun konnte“
       
       Die will Verteidiger Kaplan gerade nicht. Er verweist darauf, dass Stephan
       E. die Tat bereue und die Familie um Verzeihung bat. Dass E. umfassend
       aussagte und so eine Anklage gegen Markus H. erst ermöglichte. Dass er
       sogar seine Verteidiger partiell von der Schweigepflicht entband. Dass er
       mithilfe eines Aussteigerprogramms den Rechtsextremismus hinter sich lassen
       wolle. „Wann hat es jemals etwas Vergleichbares in einem
       Staatsschutzverfahren gegeben?“, fragt Kaplan. „Alles was Herr E. hätte
       machen können, hat er gemacht. Mehr geht nicht.“
       
       Kaplan bittet deshalb eindringlich um einen Strafrabatt für Stephan E.
       Überschwänglich lobt er dabei Richter Thomas Sagebiel: „Sie sind ein
       wunderbarer Vorsitzender.“ Und er erinnert Sagebiel daran, wie dieser zu
       Prozessbeginn an die Angeklagten appellierte, eine Aussage sei „Ihre beste
       Chance, vielleicht Ihre einzige Chance“. Dies müsse Sagebiel nun einlösen,
       so Kaplan. „Es braucht auch für andere ein Signal, dass es sich am Ende
       lohnt, auszusagen.“
       
       Auch bei der Familie Lübcke, die im Saal sitzt, bedankt sich der
       Verteidiger. Für deren „exzellentes“ Plädoyer, in dem sie sich für die
       Glaubwürdigkeit von Stephan E. aussprach und [3][30 Indizien für die
       Mittäterschaft von Markus H. aufführte]. Und dafür, dass die Familie ihn
       und Hardies im September 2020 zu sich auf die Terrasse ließen, um den
       Tatort anzuschauen. „Das war nicht selbstverständlich.“ Kaplan wendet sich
       zur Witwe: „Das zeigt, dass die Werte Ihres Mannes weiterleben.“ Am Ende
       verspricht er der Familie, dass Stephan E. auch nach dem Prozess ihre
       Fragen zur Tat beantworten werde. „Das gilt unbefristet und
       unwiderruflich.“
       
       Die Verteidiger von Markus H., zwei Szeneanwälte, kritisieren darauf in
       einer Erklärung das „herzliche Einvernehmen“ des Täters mit den Opfern.
       Gemeinsam werde versucht, Markus H. an den Tatort zu dichten. Dies aber
       werde man im eigenen Plädoyer am Dienstag „widerlegen“. Markus H. selbst
       schweigt zu den Vorwürfen.
       
       Welche Rolle Markus H. bei der Tat wirklich inne hatte, ist bis heute
       unklar. Schon im Oktober entließ ihn das Gericht aus der U-Haft, weil es
       die Aussagen von Stephan E. anzweifelte. Die Bundesanwaltschaft sieht nur
       die Beihilfe belegt und fordert neun Jahre und acht Monate Haft für ihn.
       
       ## Freispruch für Messerangriff?
       
       Stephan E. ist indes noch für eine zweite Tat angeklagt: für einen
       [4][Messerangriff auf den Iraker Ahmed I.] in Kassel, bereits am 6. Januar
       2016. Hinterrücks soll er den Geflüchteten nahe dessen Unterkunft
       niedergestochen haben. Stephan E. bestreitet die Tat. Und die Verteidiger
       halten die Beweise für nicht belastbar. Die DNA an einem bei Stephan E.
       gefundenen Messer, die der von Ahmed I. ähnelt, könne auch von jemand
       anderes kommen. Und dass E. berichtete, er habe just am 6. Januar 2016
       einen Migranten bedroht, meine einen anderen Vorgang.
       
       Die Verteidiger werfen der Bundesanwaltschaft vor, hier eine Verurteilung
       auf Biegen und Brechen erzwingen zu wollen, um eine Sicherungsverwahrung zu
       ermöglichen. Kaplan fordert dagegen einen Freispruch. Damit sei auch keine
       Sicherungsverwahrung mehr möglich, da diese nur bei mehreren schweren
       Straftaten verhängt werden kann.
       
       Ob es so kommt, wird nun das Gericht entscheiden. Am kommenden Donnerstag
       soll das Urteil fallen.
       
       21 Jan 2021
       
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