# taz.de -- Debatte um Sterbehilfe: Wenn Leben nur noch Leiden ist
       
       > Der ärztlich assistierte Suizid muss in Notlagen möglich werden. Zwei
       > neue Gesetzentwürfe zeigen brauchbare Wege, wie das gehen kann.
       
 (IMG) Bild: Gesetzesentwürfe zum ärztlich assistierten Suizid: Die Diskussion um die Sterbehilfe ist hochaktuell
       
       Der 90-Jährige wohnte nach dem Tod seiner Frau alleine in einer
       Seniorenresidenz. Altersgebrechen und die Einsamkeit quälten ihn. Ein
       Mitarbeiter eines Sterbehilfevereins brachte ihm den Medikamentencocktail
       vorbei, mit dem der Mann in dem Heim seinem Leben ein Ende setzte.
       
       Die Diskussion um die Sterbehilfe ist hochaktuell, nicht nur wegen Fällen
       wie diesem. Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie und zwei TheologInnen
       [1][haben in einem Beitrag] in der FAZ gefordert, in kirchlich-diakonischen
       Häusern „abgesicherte Möglichkeiten eines assistierten Suizids“ zumindest
       zuzulassen. In der taz [2][warnte dagegen der evangelische Pfarrer und
       Theologe Hans Bartosch]: „Finger weg vom assistierten Suizid, auf jeden
       Fall in kirchlichen Häusern“.
       
       Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem wegweisenden Urteil vom Februar
       2020 das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ betont, auch mit der
       Freiheit, dabei von Dritten „Hilfe in Anspruch“ zu nehmen. Der Gesetzgeber
       soll nun Regeln für den Umgang mit dem assistierten Suizid entwickeln. Zwei
       Gesetzentwürfe von Bundestagsabgeordneten liegen jetzt vor. Die Gemengelage
       aus dem Recht auf Selbstbestimmung, der Berufsordnung der Ärzte und
       moralischen Bewertungen der Suizidhilfe ist kompliziert.
       
       Keine Ärztin und kein Arzt kann dazu verpflichtet werden, bei einem Suizid
       zu assistieren, das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Aber
       einige MedizinerInnen sehen extreme Notlagen ihrer PatientInnen und wollen
       helfen. Wird die Berufsordnung der Ärzte, die in einigen Bundesländern den
       assistierten Suizid verbieten, liberalisiert, stehen die MedizinerInnen in
       der Praxis vor der Frage, wer genau von den PatientInnen mit Sterbewunsch
       denn nun von dem Arzt oder der Ärztin ein tödliches Mittel verschrieben
       bekommen sollte – und wer nicht.
       
       Sehr liberal ist man bereits in den Niederlanden und ein Blick in den
       dortigen [3][Jahresbericht 2019 der Regionalen Kontrollkommissionen für
       Sterbehilfe zeigt,] was diese Liberalisierung in der Praxis bedeuten
       könnte. In den Niederlanden ist nicht nur die Hilfe zum Suizid, sondern
       auch ärztliche Tötung auf Verlangen erlaubt, was in Deutschland verboten
       ist. In den meisten Fällen wird Sterbehilfe von HausärztInnen geleistet,
       wobei mindestens eine weitere ÄrztIn konsultiert werden muss.
       
       ## Wenn kein anderer Ausweg bleibt
       
       In der Statistik des Berichts über die geleistete Sterbehilfe finden sich
       zum größten Teil unheilbar Krebskranke, die ihr Leiden beenden wollten.
       Aber es gibt darin auch Menschen im Frühstadium einer Demenz, die das
       spätere Stadium des Verfalls nicht erleben wollten. Ein Mann wiederum hatte
       nach der Diagnose Alzheimer eine Patientenverfügung verfasst, laut der er
       im späten Stadium der Demenz vom Arzt die einschläfernde Spritze bekommen
       wollte. Die Tötung wurde vollzogen in einer Phase, in der der Patient
       selbst keinen expliziten Sterbewunsch mehr äußern konnte.
       
       Ein weiterer Schwerkranker, der Sterbehilfe bekam, hatte den Entschluss
       aufgrund seiner Erblindung getroffen. Ein psychisch Kranker hatte sich den
       Tod gewünscht und dies mehrfach geäußert, weil sein schweres Leiden auch
       nach jahrelangen Therapieversuchen nicht zu bessern war.
       
       Was an diesen Fällen berührt, ist das extreme Leiden der PatientInnen und
       die Ausweglosigkeit, die jede Bewertung ihrer Situation durch Außenstehende
       vermessen erscheinen lässt. Die KritikerInnen der liberalisierten
       Sterbehilfe verweisen auf deren gesellschaftliche Nebenwirkungen und das
       Risiko, dass die Schwelle zum Suizid abgesenkt und die Akzeptanz von
       Pflegebedürftigkeit schwinden könnte.
       
       ## Konkretes Leid, abstrakte Sorgen
       
       Aber wenn der wichtigste Maßstab für ethisches Handeln das konkrete Leid
       und dessen Linderung sein sollte, dann muss die – empirisch nicht belegbare
       – Sorge vor irgendeinem Wertewandel zum Schlechten durch Suizidhilfe
       hintenanstehen.
       
       Das Anliegen, die Sterbehilfe an ein Beratungsnetzwerk von ÄrztInnen und
       anderen Fachleuten zu binden, wie es in den Niederlanden der Fall ist,
       findet sich auch in den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen zur
       Suizidassistenz in Deutschland. Und das ist zu begrüßen.
       
       [4][Der interfraktionelle Entwurf der Bundestagsabgeordneten Katrin
       Helling-Plahr (FDP), Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (Linke) fordert]
       beim ärztlich assistierten Suizid eine Pflicht zur vorgeschalteten
       Beratung, ähnlich wie im Abtreibungsrecht. Ein Arzt oder eine Ärztin
       sollten nur dann einem Suizidwilligen das tödliche Medikament verschreiben
       dürfen, wenn diese oder dieser eine Bescheinigung einer unabhängigen
       dritten Stelle vorlegt, an einer Beratung teilgenommen zu haben – wobei die
       Beratung keinesfalls über ein Ja oder Nein entscheiden darf. Suizidwillige
       müssen voll zurechnungsfähig sein.
       
       ## Gesundheitsminister Spahn bremst
       
       Ein Weg, solche Verfahren durchzusetzen, könnte sich aus der
       Medikamentenfrage ergeben. Das wirksamste Mittel zum Suizid,
       Natrium-Pentobarbital, ist in Deutschland bei Menschen verboten und nur für
       die Einschläferung von Tieren zugelassen.
       
       Die Aufhebung dieses Verbotes im Betäubungsmittelgesetz wird in den
       Gesetzentwürfen von Helling-Plahr et al. und im Gesetzentwurf der
       Grünen-Abgeordneten [5][Renate Künast und Katja Keul gefordert.] Diese
       Freigabe könnte man daran binden, dass ÄrztInnen den PatientInnen dieses
       Mittel eben nur nach einer Beratung durch eine unabhängige Stelle und nach
       der Konsultation einer zweiten ÄrztIn verschreiben dürfen.
       
       Dass die Gesetzesentwürfe eine Mehrheit im Bundestag finden, ist derzeit
       eher nicht zu erwarten. [6][Von Gesundheitsminister Spahn (CDU) kommt kein
       Gesetzesvorschlag]. Passiert nichts, sind die Betroffenen nach wie vor auf
       Sterbehilfevereine angewiesen, die Gebühren bis zu 10.000 Euro für ihre
       Dienste verlangen und mit eigenen Mischungen aus legalen Medikamenten
       arbeiten. Gegner des assistierten Suizids fördern so indirekt die
       Sterbehilfevereine, die sie an anderer Stelle gerne dämonisieren. Schräger
       geht’s nicht.
       
       11 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://zeitzeichen.net/node/8772
 (DIR) [2] /Debatte-um-Sterbehilfe/!5745233
 (DIR) [3] https://deref-web.de/mail/client/48Doduwq2i8/dereferrer/?redirectUrl=https%3A%2F%2Fwww.euthanasiecommissie.nl%2Fbinaries%2Feuthanasiecommissie%2Fdocumenten%2Fjaarverslagen%2F2019%2Fapril%2F17%2Findex%2FJahresbericht%2B2019.pdf
 (DIR) [4] https://www.helling-plahr.de/files/dateien/210202%20Interfraktioneller%20Entwurf%20eines%20Gesetzes%20zu%20Regelungen%20der%20Suizidhilfe_final.pdf
 (DIR) [5] https://www.renate-kuenast.de/images/Gesetzentwurf_Sterbehilfe_Stand_28.01.2021_final_002.pdf
 (DIR) [6] /Debatte-um-Sterbehilfe/!5724744
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ärztlich assistierter Suizid
 (DIR) Niederlande
 (DIR) Sterbehilfe Deutschland
 (DIR) Jens Spahn
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
 (DIR) Sterbehilfe Deutschland
 (DIR) Schluss jetzt
 (DIR) Sterbehilfe Deutschland
 (DIR) Sterbehilfe
 (DIR) Sterbehilfe Deutschland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte über Sterbehilfe in Frankreich: Im Dickicht der ethischen Fragen
       
       Frankreichs Regierung legt ein von Präsident Macron gebilligtes Gesetz zur
       Sterbehilfe vor. Doch wer bestimmt, ab wann ein Leiden unerträglich ist?
       
 (DIR) Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe: Erstmal zum Psychiater
       
       Es gibt diverse Gesetzesvorschläge für die Suizidassistenz, die aber von
       Sterbehilfevereinen abgelehnt werden. Am Mittwoch debattiert der Bundestag.
       
 (DIR) Palliativmedizin und assistierter Suizid: Noch mal einen Schluck Whiskey
       
       Jede krankenversicherte Person in Deutschland hat Anspruch auf
       Palliativversorgung. Das wissen nur leider die Wenigsten – und das ist
       nicht gut.
       
 (DIR) Debatte um Sterbehilfe: Jedes Leben ist lebenswert
       
       Der assistierte Suizid wird kommen. Doch in evangelischen Einrichtungen
       sollte er nicht möglich sein. Auch aufgrund der deutschen Geschichte.
       
 (DIR) Urteil zu Sterbehilfemedikament: Andere Optionen möglich
       
       Das Medikament Natrium-Pentobarbital darf vorerst nicht zur Selbsttötung
       erworben werden. So urteilte das Bundesverfassungsgericht am Freitag.
       
 (DIR) Debatte um ein würdiges Ende: Wer darf beim Sterben helfen?
       
       Brauchen wir ein neues Gesetz zur Sterbehilfe? Nein, sagt Roger Kusch, der
       einen Sterbehilfe-Verein führt. SPD-Politiker Lauterbach sieht Bedarf.