# taz.de -- Widerstand in Pandemie-Zeiten: Radikale Rücksicht
       
       > Wer momentan durch öffentlichkeitswirksame Aktionen politisch etwas
       > bewegen will, muss sich gut überlegen, wie er dabei andere nicht
       > gefährdet.
       
 (IMG) Bild: Auch ein Weg: Politisches Spruchband „Black Lives Matter“ über einer Häuserschlucht gespannt
       
       Wer etwas bewirken will, muss sich unterscheiden. Im Englischen „to make a
       difference“ sind diese beiden Aspekte vereint. Linke, die etwas bewirken
       möchten, müssen sich entscheiden und unterscheiden, gerade jetzt nach dem
       Jahreswechsel, gerade jetzt in der Krise. Das griechische krínein bedeutet
       ja genau dies: unterscheiden, entscheiden. Krise und Kritik haben in diesem
       Wort ihren gemeinsamen Ursprung.
       
       Einen Unterschied zu machen gilt es momentan schlicht dadurch, dass mensch
       auf alle Kontakte und Reisen verzichtet, die nicht sein müssen. Nicht weil
       der Staat solches diktiert, sondern aus Einsicht und radikaler Rücksicht.
       Während die Bürgerlichen das „Erlaubte“ ausreizen und auf Kosten der
       Verletzlichen überreizen, wissen Progressive zu unterscheiden zwischen
       ihrem Ego und dem Richtigen.
       
       Ja, es kann sogar ein widerständiger Akt gegen konservativ-liberale
       Coronakompromisse sein, das Shopping Shopping sein zu lassen und die
       eigenen Beziehungen und politischen Netzwerke übers Telefon zu pflegen. Von
       zu Hause aus lassen sich zum Beispiel Briefe und Emails an die jeweiligen
       Abgeordneten auf Landes- und Bundesebene schreiben, in denen mensch die
       Evakuierung der Geflüchtetenlager in Bosnien und Griechenland fordert. Ja,
       Emails und Briefe.
       
       ## Umgestaltung des Gesundheitswesens
       
       Als Rücksichts-Fundis den Maß-und-Mitte-Realos entgegenzutreten, den
       bürgerlichen Konsens moralisch zu überholen, damit die strukturelle Kritik
       umso glaubwürdiger und kräftiger wirkt. Das wäre doch etwas. Strukturelle
       Kritik übt etwa das Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite regelmäßig
       vor dem Bundesgesundheitsministerium.
       
       „Personaluntergrenzen im Krankenhaus wurden aufgehoben und die
       Maximalarbeitszeit ausgeweitet. Das führt uns vor Augen, dass das
       Gesundheitswesen auf Kante genäht ist. Der Krisenfall einer Pandemie zeigt
       einmal mehr die Anfälligkeit dieses Systems. Jetzt ist der richtige Moment,
       um eine grundlegende Umgestaltung des Gesundheitswesens einzuleiten!“,
       heißt es im Aufruf des Bündnisses, dass sich jede Woche zur Kundgebung im
       Freien mit Abstand und Maske trifft (mittwochs, 16 Uhr, Friedrichstr. 108).
       
       Einen Unterschied zum bürgerlichen Spendenverhalten müssen Linke auch in
       der Obdachlosenhilfe machen. Während in den Notübernachtungen vor
       Weihnachten die Kleiderkammern überquellen, weil in den privaten Schränken
       Platz für die neuen Weihnachtsklamotten geschaffen wurde, lässt die
       Nächstenliebe nach dem Jahreswechsel schnell nach. Am Besten fragt ihr bei
       einer Einrichtung in eurer Nähe nach, was gerade gebraucht wir. Eine Liste
       der Berliner Kältehilfe-Einrichtungen findet ihr auf
       [1][kaeltehilfe-berlin.de/angebote].
       
       Wenn ihr vermutet, dass eine Person auf der Straße unter Kälte und
       Witterung leidet, sprecht sie höflich an und fragt, ob sie etwas braucht
       oder ob sie Hilfe annehmen will. Besonders im Winter kann es
       lebensgefährlich werden, auf der Straße zu schlafen. Seht nicht weg, wenn
       ihr denkt, dass die Person Gefahr läuft, zu erfrieren.
       
       Ab 18 Uhr könnt ihr den Wärmebus des Roten Kreuzes anrufen, ab 21 Uhr den
       Kältebus der Berliner Stadtmission (Wärmebus: 030 600 300 1010; Kältebus:
       0178 523 5838; Hilfe Hotline für Obdachlose: 0157 80 59 78 70;
       Kältehilfetelefon: 030 81 05 60 425; KARUNA Sub – Buslinie für obdachlose
       Menschen: 01578 66 05 080).
       
       ## Antirassistische Kampagne
       
       Und schließlich darf auch die Debatte um Rassismus und Polizeigewalt, die
       im vergangenen Jahr sogar im bürgerlichen Lager Flammen geschlagen hat,
       kein emotionales Strohfeuer gewesen sein. Die Initiative in Gedenken an
       Oury Jalloh und das Bündnis für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş
       rufen gemeinsam auf zu einer Gedenkkundgebung für den im rechtswidrigen
       Polizeigewahrsam [2][mutmaßlich ermordeten Oury Jalloh] (7. 1.,
       Landesvertretung Sachsen-Anhalt, Luisenstr. 18, 14 Uhr).
       
       Diese Kundgebung ist Teil einer bundesweiten antirassistischen Kampagne,
       die zum dezentralen und sicheren Protest mit Abstand und Mund-Nasenschutz
       aufruft. Leute, die durch das Virus besonders gefährdet sind, können sich
       online mit Beiträgen unter den Hashtags #WeNeverForgetOuryJalloh,
       #BreakTheSilence, #NoJusticeNoPeace, #AmandlaEwethu, #SayTheirNames,
       #BlackLivesMatter, #OuryJalloh und #KeinEinzelfall beteiligen.
       
       Denn, wo wir uns bewusst dafür entscheiden, auf die Straße zu gehen, weil
       es nicht anders geht, gilt es sich deutlich von den Schwurbler-Demos zu
       unterscheiden: durch radikale Rücksicht.
       
       6 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://kaeltehilfe-berlin.de/angebote
 (DIR) [2] /Aufarbeitung-des-Falls-Oury-Jalloh/!5710603
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Hunglinger
       
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