# taz.de -- Berliner Radiofestival trotzt Corona: Gut zu hören
       
       > Musik ist immer auch eine Formatfrage. Wer Neue Musik will, muss sich
       > beim Ultraschall-Festival für das Radio entscheiden.
       
 (IMG) Bild: Schickes Radio macht Radiohören noch schöner
       
       Das Medium und die Botschaft: muss man immer mal darüber nachdenken. Dass
       zum Beispiel Vinyl weiter und wieder ein begehrter Grundstoff ist, [1][um
       Musik festzuhalten], ist doch vermehrt zu lesen. Die Schallplatte, ein
       tolle Sache. Aber das Medium hat eben seine Beschränkungen. Etwa zwanzig
       Minuten Spielzeit passen bei einer Langspielplatte auf die eine Seite, und
       dann muss man halt aufstehen, die Platte umdrehen, wenn man weiterhören
       will. Oder muss. Weil man vielleicht gerade eine Sinfonie ausgewählt hat,
       sagen wir etwa was von Beethoven.
       
       In diesem Zusammenhang mag man an die Audio-CD erinnern, auch als Nachklapp
       zum vor Kurzem zu Ende gegangenen [2][Beethoven-Jahr zum 250. Geburtstag]
       (das Corona dem Jubilar aber gehörig verhagelt hat). Die handelsübliche
       Spieldauer der CD hat man, so heißt es, deswegen auf 74 Minuten festgelegt,
       damit die Neunte von Beethoven komplett draufpasst, und zwar selbst in der
       etwas schleppender angegangenen Version von Wilhelm Furtwängler.
       
       Musik hören sollte ganz neu auch ohne das Aufstehen zwischendurch
       funktionieren.
       
       Mit Formatfragen und medialer Präsenz – und wie die prägen – muss man sich
       natürlich momentan gerade deswegen auseinandersetzen, weil sich da ja krass
       was verschoben hat und die Präsenz eine zweifelhafte geworden ist.
       Zusammenfassen lässt sich die Problemlage in einem schönen Satz, der diese
       Woche in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war: „Vieles ist zu ersetzen,
       der Blick über die Schulter in den Zuschauerraum nicht.“ Der Satz findet
       sich in einem Text von Marie Schmidt über den sozialen Raum, der in
       Konzerten, Kinos oder dem Theater aufgemacht wird. Und der derzeit bis auf
       Weiteres aus den bekannten pandemischen Gründen geschlossen ist.
       
       So kann man auch bei dem am Mittwoch startenden Ultraschall-Festival nicht
       schauen, ob sich da bei den Konzerten wieder die Gesichter einfinden, die
       dem Festivalgänger über die Jahre zu flüchtigen Bekannten geworden sind.
       Obwohl die Konzerte im Heimathafen, Radialsystem und dem Großen Sendesaal
       des rbb stattfinden, wie gehabt. Nur halt nicht mit Publikum im Saal.
       
       Veranstaltet wird Ultraschall, die Plattform für Neue Musik und deren
       aktuelle Entwicklungen, von Deutschlandfunk Kultur und rbbKultur. Seit je
       ist es damit ein hybrides Festival, mit den Konzerten als Werbung für die
       Sender und als Sendematerial. Was in den Konzertsälen beim Festival
       passierte, wurde auch gesendet. Diesmal ist das Radiogerät eben der einzige
       Kanal für das Festival.
       
       Bei rbbKultur schalten laut Media-Analyse täglich etwas über 100.000
       Menschen in Berlin und Brandenburg ein, bei Deutschlandfunk Kultur sind es
       knapp über eine halbe Million. Welche Sendungen dabei aber gehört werden,
       weiß man nicht so genau. Da fehlen differenzierte Zahlen. So lässt sich
       nicht sagen, wie viele Neue-Musik-Fans bei den vergangenen
       Ultraschall-Ausgaben jeweils zeitgleich bei den Liveschalten vor dem Radio
       saßen, wenn sich etwa im Großen Sendesaal einige Hundert Hörer zum Konzert
       eingefunden hatten. Nur einzelne? Oder doch Tausende?
       
       Das Radio selbst, als Medium, findet sich nicht wieder im Programm, auch
       wenn es durchaus Thema oder Gegenstand in der avancierten und
       experimentellen Musik geworden ist. In Soundart-Kompositionen und
       -Installationen zum Beispiel, die musikalisch den Umstand nutzen, dass man
       mit dem Radio einen prima Weltempfänger mit den unterschiedlichsten
       Frequenzen und Ausrichtungen hat. Sendet alles rund um die Uhr.
       
       Solche radioreflexiven Besonderheiten sind auch deswegen bei dem
       Radiofestival nicht zu hören, weil es ja keineswegs als Radiofestival
       geplant war. Da ist der Vorlauf bei der Programmgestaltung für so einen
       Konzertreigen schlicht zu lang, da wurde in Zeiten konzipiert, als man noch
       auf Konzerte mit Publikum in den Sälen setzte.
       
       Im Programm des Festivals für aktuelle Musik, die gern als Uraufführung
       gehört werden darf, findet sich auch gleich beim Auftaktkonzert am Mittwoch
       wieder ein Wink in die fernere Vergangenheit mit „O Ecclesia“ von Hildegard
       von Bingen, der mittelalterlichen Mystikerin. Dem türkischen Komponisten
       Emre Dündar, derzeit Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, ist ein
       Porträtkonzert gewidmet und dem aus der Schweiz stammenden und in Berlin
       lebenden Komponisten Stefan Keller, der auch Tabla spielt.
       
       Das alles und noch viel mehr ist zwar nicht zu sehen in diesem Jahr, aber
       zu hören. Man muss nur die Radiogeräte einschalten. So sitzt man doch noch
       gemeinschaftlich quasi vor der Bühne, auch wenn man die anderen Besucher
       aus den Augen verloren hat. Ein allerdings schon sehr
       zusammengeschrumpfter sozialer Raum.
       
       Was das mit dem Musikhören macht und den je besonderen Wahrnehmungen, wird
       bestimmt noch untersucht werden. Könnte doch sogar sein, dass man das
       Konzertformat mit dem ganzen Drumherum und den MusikerInnen auf der Bühne
       und dem Publikum davor irgendwie zu verlernen droht und nur mehr bequem und
       in Pantoffeln sich auch die Livemusik per Stream (da ist das
       Ultraschall-Radio doch schon eine Abwechslung) ins Haus holt.
       
       Aber es gibt ja durchaus unterschiedliche Beharrlichkeiten: Schließlich hat
       die im Schallplattenzeitalter eingeübte Disruption (Aufstehen, Platte
       umdrehen) auch nicht dafür gesorgt, dass man beim Sinfoniehören immer und
       überall den Impuls verspürt, sich zwischendurch mal die Füße vertreten zu
       müssen.
       
       20 Jan 2021
       
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