# taz.de -- Nach dem Sturm auf das Kapitol: Unsere Bananenrepublik
       
       > Ein alter rassistischer Begriff taucht wieder auf. Er ist eine hochmütige
       > Metapher für Momente, die nicht in das eigene Selbstbild passen.
       
 (IMG) Bild: Bananenrepublik: Ausdruck für Abhängigkeit von korrupten Unternehmenspraktiken im frühen 20. Jh
       
       Zum Entsetzen gehört offenbar immer ein obskurer sprachlicher Vergleich.
       Nach dem [1][Sturm von Trump-Anhängern auf das Capitol] in Washington war
       schnell zu hören, es herrschten in den USA Zustände wie in einer
       „Bananenrepublik“. Ex-Präsident George W. Bush baute sein entrüstetes
       Statement auf dieser Vokabel auf: [2][„So werden Wahlergebnisse in einer
       Bananenrepublik angefochten.“]
       
       Aber auch hierzulande wurde der Begriff ausgiebig gebraucht, so etwa
       ZDF-Journalist Elmar Theveßen bei Markus Lanz: „Das hier hat mehr etwas von
       einer Bananenrepublik als von einer funktionierenden Demokratie“. Mit
       diesem Vergleich war offenbar das äußerste Maß an Besorgnis ausgedrückt.
       
       Wo liegen aber diese Bananenrepubliken? Welche Länder sind damit gemeint?
       Oder ist die Namenlosigkeit ein Synonym für das Fremd-Unheimliche
       schlechthin? Der rhetorische Trick, der hier wirkt, funktioniert so: Das
       aktuelle Drama in den USA ist ein Ausnahmefall, nur ein Ausschnitt der
       Realität in fernen, uns unvertrauten Ländern, in denen es wirklich schlimm
       zugeht. Ein Ausrutscher, dieser Sturm aufs Kapitol, bizarr, aber exotisch;
       das eigentliche Chaos herrscht nicht bei uns, sondern in den
       „Bananenrepubliken“. Die Banane als Symbol für wilde chaotische Topografien
       und ihre Bewohner:innen ist eine altbekannte Vokabel in verschiedenen
       rassistischen Kontexten.
       
       Die ursprünglich aus dem Englischen stammende Bezeichnung „banana republic“
       ist pikanterweise eine ureigene Vokabel aus der US-amerikanischen
       Wirtschafts- und Kulturhistorie. Die 1899 gegründete Firma United Fruit
       Company, die heutige [3][Chiquita Brands International], erwarb im frühen
       20. Jahrhundert in zahlreichen Ländern Mittelamerikas Land und
       kontrollierte das Transportsystem von Südfrüchten, vor allem von Bananen.
       Länder wie Honduras, Guatemala, Nicaragua, Panama und Costa Rica wurden
       abhängig von den Geldern und Netzwerken des Unternehmens. Sie firmierten
       daher als „Bananenrepubliken“.
       
       Der Name war mehr ein mitleidiger Ausdruck für die Abhängigkeit von
       korrupten Unternehmenspraktiken als eine Beschreibung der jeweiligen
       politischen Kultur in diesen Ländern. Es gibt beeindruckende Beispiele für
       den Widerstand gegen die Dominanz der Vereinigten Staaten, wie etwa den
       „Great Banana Strike“ in Costa Rica 1934. Organisiert wurde der Streik von
       lokalen Initiativen, welche für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen
       kämpften.
       
       Lateinamerikanische Journalist:innen bezeichneten Unternehmen wie die
       United Fruit Company immer wieder als „Oktopus“. Wie ein vielarmiges Tier
       griffen die Manager in das politische Geflecht der Staaten ein. Durch
       Bestechung, Förderung von Paramilitärs und Einflussnahme auf die örtlichen
       Regierungen versuchten sie, geringe Steuern auf den Fruchtexport und
       dauerhaft niedrige Löhne durchzusetzen. Es gab viele lokale Akteure aus den
       „Bananenrepubliken“, die gegen das verwilderte System kämpften.
       
       Die mafiösen Strukturen innerhalb des Geschäfts mit Südfrüchten, an dem die
       US-amerikanische Wirtschaftspolitik, Unternehmen und örtliche Regierungen
       beteiligt waren, sind tief in der ökonomischen Logik der USA des 20.
       Jahrhunderts verwurzelt. Wenn westliche Politiker:innen und
       Journalist:innen heute von einer Bananenrepublik sprechen, müssten sie
       konsequenterweise ergänzen: Unsere Geschichte kehrt zurück. Und nicht: Die
       Strukturen der anderen zeigen sich überraschenderweise auch bei uns.
       
       Die „Bananenrepublik“ ist auch eine Schöpfung der US-amerikanischen
       Literatur: Der Schriftsteller O. Henry, eigentlich William Sydney Porter,
       hatte Ende des 19. Jahrhunderts eine Zeit lang in Honduras gelebt und 1904
       das Buch „Kohlköpfe und Caballeros“ (Cabbages and Kings) veröffentlicht, in
       dem er die fiktive zentralamerikanische Republik Anchura erfand. Er
       bezeichnete sie als „Bananenrepublik“, als Ort, der sich gegen die
       Knebelverträge der großen Unternehmen wehrte.
       
       In den folgenden Jahren wurde die Metapher dann zu einem abschätzigen Wort
       für unterentwickelte Länder und mafiöse Regierungsstrukturen. In den
       achtziger Jahren gewann das Wort im Westen für verschiedene Länder Afrikas
       und Lateinamerikas an Popularität. Auch wenn die betreffenden Länder gar
       keine Bananen vertrieben, die Metapher sollte den Leser:innen im Westen
       einen distinktiven Schauer über den Rücken jagen: Das ist das Andere, das
       Unwägbare und Chaotische, von dem wir uns absetzen müssen. Die Erkenntnis,
       dass möglicherweise das Chaos in der eigenen Kultur tief verankert sein
       könnte, war und ist selten.
       
       Politische Rhetorik muss bildhaft sein. Sie will provozieren und
       Aufmerksamkeit erregen. Sie wird jedoch dann problematisch, wenn sie
       suggestiv andere Kulturen und Systeme abwertet. Die Bananenrepublik ist die
       hochmütige Metapher für Ereignisse, die nicht in das eigene
       Selbstverständnis passen.
       
       Dass nun ausgerechnet die USA, das große Symbol für eine selbstbewusste
       westliche Demokratie, zeitweise in Gewalt und Chaos versinken, soll nichts
       mit den inneren Widersprüchen an sich zu tun haben. Fast alle Statements
       europäischer Regierungen präsentieren diese Lesart: Die starken Kräfte der
       Demokratie werden sich durchsetzen. Das sind nicht unsere USA. Das ist
       nicht amerikanisch.
       
       Wäre es aber nicht ehrlicher und demokratiefördernder zu fragen: Ist das
       aktuelle Chaos nicht eine Folge der amerikanischen Politik und der
       gesellschaftlichen Verhältnisse im Land? Eine Diagnose sollte an die Wurzel
       der Probleme gehen. Eine dieser Wurzeln ist die Sprache, der wir im
       politischen Raum vertrauen und die wir verwenden. Es geht nicht um Bananen
       und Zustände „wie woanders“. Es geht um einen klaren analytischen Blick auf
       die Voraussetzungen für solche Gewaltphänomene in der westlichen Kultur.
       Mit der Sprache zu beginnen, mit der Geschichte der Begriffe, die wir
       verwenden, ist dabei ein verlässlicher Schritt zur Selbsterkenntnis.
       
       Gernot Wolfram ist Autor und Kulturwissenschaftler. Er lehrt Kultur- und
       Medienmanagement an der Macromedia-Hochschule in Berlin und an der
       Universität Basel. Zuletzt erschien von ihm der Essay „Kontinentpfade. Eine
       kurze Anleitung, Europa lieben zu lernen“ (Verlag Hentrich & Hentrich).
       
       12 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Chaos-in-Washington/!5742460
 (DIR) [2] https://www.nbcnews.com/news/world/george-w-bush-others-criticized-comparing-capitol-unrest-banana-republics-n1253251
 (DIR) [3] /Harte-Jahre-von-Mario-Vargas-Llosa/!5691628
       
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