# taz.de -- Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung: Nur statistisch genesen
       
       > Viele Menschen leiden auch noch, nachdem sie Covid-19 überstanden haben.
       > Demenzielle Schäden und Organversagen sind Folgen. Ein Besuch in der
       > Reha-Klinik von Bad Lippspringe.
       
       Wenige Tage vor seinem 65. Geburtstag war Frank Reinhard aus dem Koma
       aufgewacht, Mitte November war das. „Ich hab mich im Spiegel gesehen und
       gedacht: Wer is dat?“, sagt der pensionierte Berufsfeuerwehrmann aus
       Oberhausen. „Dat war nich ich. Ich sah meine Mutter auf dem Sterbebett.“
       
       Eingefallenes Gesicht, gezeichnet von der Krankheit, 17 Kilo abgenommen,
       von kräftigen 85 auf spargelige 68. Die Folgen von vier Wochen
       Überlebenskampf nach Coviderkrankung und zehn Tagen künstlicher Beatmung.
       „Gucken Sie hier, da is gar nix mehr inne Hose.“ Frank Reinhard schlackert
       mit seiner Jeans um die Beine.
       
       Jetzt ist Reinhard in der Rehaklinik [1][Martinusquelle] im
       ostwestfälischen Bad Lippspringe, hat zusammengepuzzelt, was alles geschah,
       und kann wieder einordnen. „Es ging ganz schnell. Fieber, Erbrechen,
       Notarzt, Krankenhaus, Intensivstation, künstliches Koma. Das Ergebnis des
       Covidtests habe ich schon nicht mehr wach erlebt.“ Risikopatient,
       Vorerkrankung? „Nichts. Ich bin ein Naturmensch, war immer gesund, viel
       Sport.“
       
       Reinhard sagt, nach dem Aufwachen konnte er „nichts mehr, nicht gehen,
       nicht essen oder trinken, nicht mal schlucken. Das hat mir erst eine
       Logopädin wieder beigebracht: Wasser lange kauen, Kopf runter und zurück,
       loslassen. Ich musste wie ein Kleinkind aufs Klo gesetzt werden, das war
       echt erniedrigend.“ Wieder zu Hause „war ich nach kurzem Zähneputzen
       richtig fertig, völlig luftlos“.
       
       Seit knapp zwei Wochen ist er jetzt hier: „Ich mach alle Maßnahmen sehr
       intensiv, manchmal mehr, als auf dem Programm steht, auch wenn das stressig
       ist.“ Vorher, sagt er, „wusste ich gar nich, wat Reha übahaupt is“.
       
       ## Der Chefarzt: „Wir lernen jeden Tag dazu“
       
       Chefarzt Prof. [2][Ralf-Dieter Schipmann], 61, lobt seinen Patienten. „Das
       Entscheidende bei allen ist der Wille, wirklich mitmachen zu wollen.“ Der
       Internist und Pneumologe sagt, nahezu jede Coviderkrankung sei wieder ein
       Stück anders. „Wir lernen jeden Tag dazu.“ Früher war sein Haus am Rande
       lauschiger lippischer Wälder bekannt für die Behandlung von
       Steinstaublungen, einer Krankheit, die vor allem Bergleute befällt, heute
       ist es eine der größten Lungenrehakliniken Deutschlands, dazu
       Weiterbildungsstätte für Rehabilitationsmedizin. Jetzt sei man am Limit:
       „Mit der zweiten Welle ist es noch schlimmer geworden, als wir nach dem
       Frühjahr befürchtet hatten.“
       
       Damals waren insgesamt gut hundert PatientInnen hier. Derzeit sind es schon
       wieder 65. Die Tendenz geht steil nach oben. „Das Schlimme ist:
       Normalerweise, wenn ein Mensch krank wird, helfen wir mit Wissen und
       Erfahrung.“ Bei Covid gebe es noch so viele Fragezeichen, „dazu kommt die
       ständige Ansteckungsangst. Alle arbeiten absolut am Anschlag. Und es
       sterben fast 50 Prozent derer, die künstlich beatmet werden. Das ist
       ultrabitter.“
       
       Ist Ihnen Covid unheimlich, Herr Professor? „Unheimlich wäre übertrieben.
       Aber vieles liegt noch im Verborgenen, wir müssen Daten ohne Ende weiter
       entschlüsseln. Vieles kann man nachvollziehen wie bei anderen
       Viruserkrankungen, aber wir sind manchmal immer noch hilflos, weil eine
       richtige Therapie fehlt. Diese Hilflosigkeit setzt einem zu.“ Schipmann
       zögert einen Moment: „Aber so makaber das ist, wenn nicht so viele sterben
       würden, wären wir in den Rehakliniken längst völlig überfordert.“ Ja,
       solche Gedanken müsse man „wirklich erst mal verstoffwechseln“.
       
       Die Rehapatienten treffen sich im Erdgeschoss der Klinik beim „Freien
       Sequenztraining“. Der lichthelle Raum mit einem Dutzend Trainingsgeräten
       sieht aus wie eine kleine Muckibude, abgesehen von der putzigen Reihe der
       gleichen leuchtend grünen Stoffbeutel an der Wandgarderobe. Da sind die
       Physio-Unterlagen drin. Und: Hier ziehen viele PatientInnen ihre kleinen
       Sauerstoffgeräte hinter sich her, wenn sie sich zu ihren vorsichtigen
       Fitnessübungen aufmachen. Manche lächeln, wenn sie kleinste Gewichte
       schaffen. Die TrainerInnen loben. Ashti Marben hat heute erstmals 85 Watt
       auf dem Ergometer geschafft. Sie pustet.
       
       ## Die Lehrerin: „Ich bin ein anderer Mensch geworden“
       
       Ashti Marben, 56, aus Hannover, studierte Lehrerin, kam vergleichsweise gut
       durch die Infektion, aber danach: Kreislauf, das Herz, Atemprobleme,
       andauernde Erschöpfung. Im Gespräch jetzt ist sie erst sehr zurückhaltend:
       „Nach Covid“, sagt sie nachdenklich, „bin ich ein anderer Mensch geworden.“
       
       Die gebürtige Irakerin hat eine gewisse Prominenz: Nach ihrer Flucht Anfang
       der 90er Jahre schrieb sie ein Buch „[3][Mein Leben im Irak]“, 2003
       erschienen. Es geht um ihre erste Faszination für Saddam Hussein als
       Jugendliche, wie der Diktator sie sogar einmal empfangen hatte, wie sie
       später sein Schreckensregime verstand, vom Geheimdienst verfolgt wurde und
       schließlich das Weite suchte.
       
       In Hannover arbeitet Marben in einem Kindergarten. „Jetzt schaffe ich Dinge
       nicht mehr, die ich vorher mit den Kindern gemacht habe:
       Konzentrationsübungen, Bewegung, Theater.“ Kurze Pause: „Ich habe jeden Tag
       nur geweint.“ Sie beginnt auch hier zu weinen.
       
       Marben gibt sich Schuld an der Erkrankung ihrer 89-jährigen Mutter. „Ich
       habe mir das Virus wohl bei der Arbeit geholt und dann, als ich noch keine
       Symptome hatte, meine Mutter angesteckt. Es kann niemand anderes gewesen
       sein, nur ich.“ Die Mutter hatte kaum Symptome, ist aber seitdem geschwächt
       und bettlägerig. „Das macht mir so zu schaffen. Sie war noch so mobil. Ich
       habe so ein schlechtes Gewissen“, schluchzt Ashti Marben. „Jetzt ist sie
       nur noch im Bett, hilflos. Und sie kann sonntags nicht mehr in die Kirche,
       dabei sind wir sehr gläubige Christen“ – assyrische Kaldäer, erzählt sie
       später. Der Name Ashti ist kurdisch und bedeutet Frieden.
       
       Marben hatte wegen der Erkrankung ihrer Mutter zunächst gar keine Zeit für
       eine Reha. Da, erzählt sie, kam ihr die verrückte Idee: Die Schwester aus
       Bagdad müsse kommen, um die Mutter zu versorgen. „Und sie hat sich ins
       Flugzeug gesetzt, voller Sorge, bloß gesund anzukommen. Beim Zwischenstopp
       in Istanbul hat sie fünf Stunden gestanden, weil sie Angst hatte, sich auf
       einem Sitz zu infizieren.“ Jetzt konnte Ashti Marben vorübergehend
       loslassen und zwei Monate verspätet die Reha starten. Nach drei Wochen gehe
       es auch schon so viel besser, sagt sie, die Lunge arbeite wieder
       zuverlässiger, „nur die Seele braucht etwas länger“.
       
       Auch Therapiegespräche gehören fest zum Rehaprogramm. Professor Schipmann
       sagt, „mindestens jeder zweite Postcovidpatient braucht dringend
       psychologische Hilfe. Fast alle treibe um: „Was wird aus mir? Wen habe ich
       womöglich angesteckt …“ Viele sagten: „Ich erkenne mich gar nicht wieder.
       Das ist natürlich sehr beunruhigend und bedrückend.“
       
       Schipmann vergleicht die Lage mit anderen medizinischen Fällen: „Ich war 15
       Jahre lang Notarzt. Da wusste ich, man kann vielen helfen, manchen halt
       nicht mehr. In der Reha sind wir gewohnt, auch schwer erkrankte
       Lungenpatienten mit viel Wissen und Erfahrung wieder auf die Beine zu
       kriegen. Bei Covid erlebst du 30-Jährige, die erst nach vielen Wochen so
       glücklich sind, wenn sie die ersten Schritte gehen können. Du arbeitest mit
       einer 21-Jährigen am Rollator und bringst einem 38-jährigen Marathonläufer
       wieder das richtige Atmen bei.“ Und, sagt er, „hier sind alle plötzlich
       gleich: Zurzeit haben wir eine Obdachlose hier und einen sehr erfolgreichen
       Firmeninhaber aus Düsseldorf.“
       
       Frank Reinhard und Ashti Marben sind vergleichsweise schnell genesende
       Patienten, beide auf gutem Weg in die Normalität, die vielleicht, nach den
       Wochen hier, auch wieder zu Gesundheit wird. Ralf-Dieter Schipmann sagt, es
       sei „so schade, dass man nur in Ausnahmefällen etwas hört, wie es den
       Menschen nach der Reha bei uns weiter ergangen ist“.
       
       ## Der Rentner: „Ich lag da wie ein Brett“
       
       Da können wir ihm helfen! Rolf Müller aus Aachen war einer seiner ersten
       Patienten: Der hat uns schon vor ein paar Monaten erzählt, wie froh er sei,
       dass er wieder mit dem Rollator gehen kann und in der Wohnung sogar schon
       ohne! Schipmann freut sich: „Ach, wie schön zu hören.“ Müllers Ansteckung
       war da ein halbes Jahr her und dann ist der Rollator ein Erfolg – „ja“,
       sagt Schipmann, „mit so kleinen Dingen können Menschen zufrieden sein.
       Manche sind irre froh, wenn sie nach Wochen wieder drei Schritte schaffen.“
       
       Rolf Müller, 67, pensionierter Produktingenieur, war am 2. März, wie jeden
       Montag, bei der Probe seines Hobbychores Cantabile. „22 Leute wie immer,
       meine Frau Atty war auch dabei“, erzählte er in seinem Häuschen in Aachens
       Voreifelvorort Walheim. „Die Meldungen aus dem Kreis Heinsberg, 40
       Kilometer entfernt, über die ersten beiden Coronafälle waren fünf Tage her.
       Niemand sprach darüber, das war kein Thema. Hier doch nicht!“ Nach der
       Probe waren 18 der 22 SängerInnen infiziert, im Anschluss auch viele
       Partner und Partnerinnen.
       
       Eine Woche danach wurden Atty und Rolf krank, Husten, Fieber, Unwohlsein
       zuerst. Atty hatte nur zwei Tage Halsschmerzen. Rolf Müller brach am 11.
       März zweimal zusammen, es folgten Ohnmacht, rapide steigendes Fieber,
       Atemprobleme, Rettungswagen. Erste Diagnose im Krankenhaus: Verdacht auf
       Herzinfarkt. „Mir ging es immer schlechter. Das ist so ziemlich das Letzte,
       woran ich mich erinnern kann.“
       
       Sechseinhalb Wochen war er im künstlichen Koma, wurde intubiert, alles
       mittlerweile im Uniklinikum. „Als ich wieder aufgewacht war, konnte ich
       nichts, mich nicht zur Seite drehen, nichts. Ich lag da wie ein Brett.“
       Nach zehn Tagen ging es nach Bad Lippspringe, „zum Aufbehandeln hieß das“,
       erst in einer Art Vorklinik, um überhaupt rehafähig zu werden. In
       Schipmanns Klinik Martinusquelle habe er „wieder sitzen gelernt und stehen.
       Nach zehn Wochen durfte ich nach Hause, Anfang August, genau fünf Monate
       nach der Chorprobe.“
       
       Seine Frau Atty berichtete, sie habe damals in Lippspringe Leute getroffen,
       die keine Masken aufsetzen wollten. Sie hat denen dann kurz Rolfs
       Geschichte erzählt. „Da haben die gefragt, sind Sie sicher, dass das
       wirklich Corona war? Nee, habe ich geantwortet, wissen Sie was, mein Mann
       wollte nur mal sechs Wochen ausschlafen.“
       
       Manche im Chor, berichtet Rolf Müller, habe es „fürchterlich erwischt“.
       Einer habe bis heute Herzprobleme und komplettes Nierenversagen, andere
       monatelang Niedergeschlagenheit, dauerhafte Müdigkeit. Wer das Virus
       unwissentlich angeschleppt hat, blieb offen. „Wir wollen es aber alle auch
       nicht wissen. Auch wenn ich es wüsste, ich würde niemandem einen Vorwurf
       machen.“
       
       Müller sagt: „In den Statistiken zähle ich vielleicht als genesen. Aber die
       körperliche Verfassung wird nicht mehr werden wie vorher. Meine Lunge ist
       schwer angeschlagen, die Vernarbungen bleiben. Richtig gesund werde ich
       nicht mehr, aber, so haben das die Ärzte in der Reha genannt, ich werde
       mich bestenfalls wieder gesund fühlen können. Wieder ein bisschen
       Gartenarbeit wäre toll. Ich werde keine Bäume mehr ausreißen können, aber
       vielleicht ein Bäumchen pflanzen.“
       
       Mittlerweile ist der Rollator aussortiert, das geliehene Sauerstoffgerät
       gehe noch vor Weihnachten zurück. Nur Autofahren klappt noch nicht, weil
       der rechte Fuß vom wochenlangen Liegen im Koma noch nicht in Ordnung sei.
       Aber gehen ginge wieder, etwa zur Eisdiele im Ort, die tatsächlich
       „Gelateria Corona“ heißt.
       
       Viele PatientInnen berichten von langfristigen Folgen. Covid-19 kann alles
       – auch bei schlimmer Erkrankung ein schnelles gutes Ende nehmen: Koma,
       wochenlang Beatmung, überleben, nach weiteren Wochen ist alles fast wie
       vorher. Aber viele, auch mit harmloserem Verlauf, sind nur für die
       RKI-Statistik genesen. Jüngste Studien zeigen: Jeder Vierte, der die
       Beatmung überlebte, klagte noch zwei Monate später über postcovidale
       Symptome. Bei manchen bleiben Schäden absehbar für den Rest des Lebens.
       
       Und die Liste möglicher Folgen ist lang. Sie liest sich wie eine
       aktualisierte Neuausgabe des Pschyrembel: Da ist zuerst die andauernde
       Kurzatmigkeit – trainierte Bergsteiger kommen mit zerfressener Lunge auch
       Monate danach kaum zwanzig Treppenstufen hoch. Dazu kommen
       Schwindelgefühle, mal dauerhaft, mal als Attacke, Muskelschmerzen und
       massive Konzentrationsprobleme, die mit der Zeit manchmal noch zunehmen.
       Und diese starke andauernde Müdigkeit, das „Fatigue-Syndrom“. Bis zu 20
       Prozent leiden daran, sagt Professor Schipmann, manchmal Wochen, manchmal
       Monate. Auch für ihn „ein Phänomen“.
       
       Manche können kaum duschen, weil die Haut wie ein Höllenfeuer brennt oder
       exzessiv juckt. Andere haben Haarausfall, kein Gleichgewichtsgefühl mehr,
       sind mit Nierenausfall zeitlebens Dialysepatient oder haben jetzt ein
       geschädigtes Herz. Die Folge: Angstzustände und Depressionen.
       
       Und dann gravierende neurologische Störungen, ganz ähnlich demenziellen
       Schäden, weil das Virus manchmal auch Wege ins Hirn findet. Da gibt es
       Gedächtnislücken und Wortfindungsstörungen, und das alles auch bei
       PatientInnen im internistisch jungen Alter von 30 oder 40. Ein Unternehmer
       erzählte dem Spiegel: „Es kommt immer was Neues hinzu. Erst kämpft man mit
       der Atmung, dann kommt das Nächste. Ich vergesse alles. Hier gucke ich
       50-mal auf meinen Therapieplan, wo eigentlich nur sieben Punkte am Tag
       draufstehen. Ich kriege es nicht auf die Kette.“ Eine Bekannte berichtete,
       sie hätte im Gespräch manchmal einen Satz fertig im Kopf, aber sie kriege
       ihn dann nicht ausgesprochen. Als fräße das Virus ihn unterwegs weg.
       
       Viele sind von der akuten Infektion genesen, aber nicht gesund: Das sind
       die Schattenopfer. Covid-19, die Lungenkrankheit, kann zum
       Multisystemleiden werden. Alle Organsysteme können befallen werden, auch
       das Immunsystem. Es kann Schlaganfälle geben und Lähmungen.
       
       ## Frank Reinhard: „Ich habe so viel Unsinn erzählt“
       
       Viele müssen auch mit ihren massiven Albträumen während des Komas fertig
       werden. Rolf Müller war „eingeschlossen in einem ganz engen Raum, immer
       wieder. Alle Covidpatienten, mit denen ich später gesprochen habe, hatten
       sehr schlimme Albträume, alle.“ Ein Mann aus Jülich berichtete der
       Lokalzeitung: „Ich habe geträumt, dass ich in einem Container gefangen war,
       der von einem Kran in den Rhein runtergelassen wurde, und ich fast
       ertrunken wäre.“ Ein anderes Mal habe er von innen gegen seinen Sarg
       geklopft, um zu signalisieren, dass er nicht tot ist.
       
       Auch Frank Reinhard, der Oberhausener Feuerwehrmann, hat Albträume
       durchlebt: „Ich hab nach dem Koma so viel Unsinn erzählt. Zum Beispiel, ich
       bin überfallen worden und mit dem Hubschrauber aus Holland zurückgebracht
       worden.“ Aber, erzählt er mit trotzigem Stolz, gleich nach dem Aufwachen
       habe er seiner Frau „die PIN-Nummer für mein leeres Handy sagen können und
       die Nummer für die Beihilfe“.
       
       Frank Reinhard kramt sein Handy raus: ein Filmchen, Enkel Thiago, vier,
       sein ganzer Stolz, vor dem neuen Auto, einem T-Roc. „Der kann ihn schon per
       Funk öffnen, Opa kennt das Auto nur vom Bild.“ Eigentlich wollte Reinhard
       den Klein-SUV „selbst in Wolfsburg abholen, „bei einem Erlebniswochenende
       mit 5-Sterne-Übernachtung“. Zum Termin lag er schon im Koma.
       
       Jetzt, kurz vor der Dämmerung, hat Frank Reinhard einen anderen Weg vor
       sich. Er zieht sich dick an, hängt sich die Schläuche in die Nase und
       verlässt mit seinem kleinen Ziehkarren für das Sauerstoffgerät das
       Klinikgebäude: „Ich will heute das erste Mal bis in die Stadt gehen. Mein
       erster Ausflug ohne Rollator.“ Fast ein Kilometer ist die Lippspringer City
       entfernt. Raus aus dem persönlichen Klinik-Lockdown, rein in den neuen
       Shutdown draußen, der an diesem Mittwoch begonnen hat. „Gut so. Man muss
       diese Pest doch stoppen.“ Weihnachtseinkäufe? „So was von egal.“
       
       Und Frank Reinhard kann auch wieder lachen. „Vielleicht darf ich sogar am
       24. wieder nach Hause“, sagt er verschmitzt. Dann macht er sich langsam auf
       den Weg.
       
       21 Dec 2020
       
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