# taz.de -- Olaf Scholz auf SPD-“Debattencamp“: Vorglühen für den Wahlkampf
       
       > Beim SPD-“Debattencamp“ skizziert Olaf Scholz, wie seine Partei die Macht
       > erobern will: mit der Wiederentdeckung des Truckers und 12 Euro
       > Mindestlohn.
       
 (IMG) Bild: Der Wahlkampf ist eröffnet: Olaf Scholz beim Debattencamp der SPD am Samstag
       
       BERLIN taz | Olaf Scholz steht auf einer Bühne im Willy Brandt Haus, weißes
       Hemd, dunkler Anzug, offener Kragen und spricht eine halbe Stunde. Seine
       Hände sind unablässig in Bewegung, er breitet die Arme aus, ballt auch mal
       die Fäuste, faltet die Hände, bewegt sie werbend auf uns zu. Wir sehen hier
       am Samstag nicht den Vizekanzler, der gern neutral und mit versteinerter
       Miene Sachverhalte darlegt, sondern den Wahlkämpfer Scholz.
       
       Frank-Walter Steinmeier war 2009 eine Fehlbesetzung, weil ihm die
       Verwandlung vom Technokraten in den Volkstribun-Darsteller auf den
       Marktplätze misslang. Man wird sehen, ob Scholz der Rollenwechsel besser
       gelingt. Manchmal bricht noch die schwer ausrottbare Neigung zu
       Schachtelsätzen mit wenig Verben hervor.
       
       „Wir Sozialdemokraten halten uns nicht für etwas Besseres“, sagt er. Dieser
       Satz verweist auf einen Missstand. Offenbar war das nicht immer so. „Auch
       wer im Warenlager fleißig arbeitet oder ein Truck fährt oder Handwerkerin
       wird, verdient Anerkennung. Das ist in unserer Gesellschaft ein wenig
       durcheinander kommen“ sagt Scholz. Das wird der Sound der SPD 2021,
       verdichtet im Wort Respekt, den gerade jene verdienen, die wenig Geld
       verdienen. Respekt war allerdings auch schon ein Schlüsselbegriff
       gescheitertem Wahlkampf von Martin Schulz 2017.
       
       ## SPD sucht mit Debattencamp Hipness
       
       Das SPD-Debattencamp, ein bunter Strauß parallel stattfindender Formate,
       findet virtuell statt. Es geht um Mitbestimmung und „Querdenker“, die
       Wirtschaft nach Corona und Digitales. Die Podien sind divers besetzt, jung
       und alt, MigrantInnen und GewerkschafterInnen, Bekannte und Unbekannte,
       Minister und Aktivistinnen wie Luisa Neubauer. Die SPD will einigermaßen
       hip rüberkommen. Was die digitale Technik angeht, ist noch Luft nach oben.
       Manche Debatte verliert sich nicht metaphorisch, sondern buchstäblich in
       Echoschleifen.
       
       Das [1][Debattencamp 2018 mit Andrea Nahles] lebte von dem Offenen,
       Unvorhersehbaren. Online lässt sich das Vitale nur begrenzt simulieren. Das
       Camp 2020 hat zudem einen etwas anderen Charakter. Es ist nicht nur
       diskursive Selbstverständigung, sondern auch Bühne für den Kandidaten
       Scholz. Vorglühen für den Wahlkampf.
       
       Bei den Debatten ist viel beharrliche Arbeit im Steinbruch
       sozialdemokratischer Programmatik zu beobachten. Fetzen fliegen selten.
       Beispiel: Tut die SPD genug für die Kultur in Coronazeiten? Amelie
       Deuflhardt, Intendantin von Kampnagel in Hamburg, lobt, dass es viel Geld
       für die Kultur in der Krise gibt. Dass die Politik Kultur „nicht für
       systemrelevant“ hält, empfindet sie eher als Auszeichungen: Man will ja
       lieber Sand als Öl im Getriebe sein. Der Disput mit Carsten Brosda,
       SPD-Kultursenator in Hamburg, fällt aus. Brosda kann einem bedingungslosen
       Grundeinkommen für KünstlerInnen nichts abgewinnen. Dann müsste der Staat
       ja amtlich definieren, wer das sei und wer nicht. Hätte man AktivistInnen
       von AlarmstufeRot geladen, hätte es Streit gegeben, ob Hartz IV als
       Absicherung reicht. So ist es eher gemütlich.
       
       ## Lohnabhängige im Fokus – oder auch Soloselbständige?
       
       Die Frage, ob die SPD letztlich nur [2][Lohnabhängige im Fokus] hat oder ob
       sie sich für Soloselbständige öffnet, ist nicht banal. Auf dem Debattencamp
       diskutiert man mit Hingabe und Kompetenz ein neues Mitbestimmungsgesetz –
       was die SPD für Prekäre und den digitalen Kapitalismus im Angebot hat, ist
       weniger klar.
       
       Der Autor Sascha Lobo reißt diese Debatte mal kurz und scharf an und fragt,
       ob die SPD wirklich den Sprung aus dem 20. Jahrhundert schafft oder fixiert
       auf die Welt der Angestellten bleibt. Die Digitalpolitikerin Saskia Esken
       fordert: „Regulieren wir die Plattformen, ehe sie uns regulieren.“ Lobo
       merkt dazu kritisch an, dass die Idee der Regulierung und der heiße Wunsch
       nach einem europäischen Facebook einen klassischen Zielkonflikt ergibt.
       Esken ernennt Lobo zu ihren „Lieblingskolumnisten“. Um den Dissens
       auszutragen, ist leider keine Zeit mehr.
       
       Klimax und Finale des Camps ist das Gespräch zwischen Olaf Scholz und dem
       Harvard Moralphilosophen Michael Sandel (dessen Simultanübersetzung leider
       kaum zu verstehen ist). Sandels Buch „Vom Ende des Gemeinwohls“ ist eine
       subtile, hintergründige Analyse der Bedingungen von Trumps Aufstieg, die
       der Philosoph als Antwort der Nichtakademiker auf die Verachtung durch die
       gebildeten Eliten deutet. Scholz findet das Buch „unglaublich faszinierend“
       und sagt: „Bildung ist nicht die Antwort auf jede Frage.“
       
       Das ist für die SPD eine neue Erkenntnis. Denn die Ersetzung von Gleichheit
       durch Chancengerechtigkeit in der Bildung – die es allerdings auch nicht
       gab – war lange das Mantra der SPD-Pragmatiker, deren Denken um den Markt
       und das Individuum kreiste.
       
       ## 12 Euro Mindestlohn wäre erste Tat eines SPD-Kanzlers Scholz
       
       Scholz schwebt nun vage ein großes Wir der Arbeit vor. „Ich rede von Wir.
       Wir Handwerkerinnen, wir Altenpfleger, wir Lebensmittelverkäufer, wir
       Trucker und wir Rechtsanwälte.“ Von dem mitfühlenden Konservativismus der
       Tories trennt die SPD dabei, dass sie auch über Geld redet. Der Mindestlohn
       von 12 Euro wäre eine der erste Taten des Bundeskanzler Scholz. Was die
       kulturelle Anerkennung für die nicht-akademische Arbeit wäre, bleibt
       diffus.
       
       Sandel kritisiert freundlich, aber deutlich, dass auch die Mitte-Links
       Parteien auf jene herabgeschaut haben, die den Aufstieg durch Bildung nicht
       geschafft haben. Auch die Mitte-Links Parteien hätten einen Anteil daran,
       dass die Arbeiter sie „als Teil der Verachtung der Eliten für die unten
       identifizieren“. Scholz überhört diese Töne geflissentlicht und träumt
       lieber von einem künftigen Bündnis der umfassenden Würde der Arbeit, in dem
       die Theaterleiterin und der Müllmann an einem Strang ziehen. Ob das etwas
       anderes ist als die recht verwitterte Volksparteiidee, nur hübsch neu
       kostümiert, wird man sehen.
       
       „Auf SPD-Parteitagen habe ich immer viele getroffen, die als erste in ihrer
       Familie einen guten Beruf ergriffen haben“, sagt Scholz. Hatten deren
       Eltern, die Arbeiter und Nicht-Akademiker, also schlechte, minderwertige
       Berufe? Die alte sozialdemokratische Erzählung vom Aufstieg und das neue
       Narrativ von der allumfassenden Würde der Arbeit passen noch nicht so recht
       zusammen. Man wird sehen, wie sich die Hinwendung der SPD zu den
       Nichtakademikern mit dem Aufstieg durch Bildung und der Doktrin
       lebenslangen Lernens verträgt.
       
       13 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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