# taz.de -- Frankfurter Buchmesse 2020: Frankfurt ist ein globales Dorf
       
       > Marshall McLuhan ist der Patron der Frankfurter Buchmesse. Auch wenn die
       > Messehallen leer sind und ab elf Zapfenstreich – gelesen wird trotzdem.
       
 (IMG) Bild: Mitarbeiter der Deutschen Bundespost beim Ausrichten einer beweglichen Richtfunkanlagen
       
       Frankfurt taz | Jedes Jahr ist es aufs Neue faszinierend zu sehen, wie im
       Verlauf einer Oktoberwoche Autorinnen, Agenten, Verleger,
       Öffentlichkeitsarbeiterinnen und Journalisten aus der ganzen Welt gemeinsam
       mit hessischen Cosplayerinnen das Wimmelbild Buchmesse erzeugen. Tagsüber
       lässt es sich in den Messehallen, abends in Lesungen in der ganzen Stadt
       und nachts auf Empfängen, Verlagspartys und an der Bar des Frankfurter Hofs
       betrachten.
       
       Keiner will was verpassen, weswegen nur wenig geschlafen, aber umso mehr
       getrunken und geraucht wird. Doch das alles war gestern, heute ist
       Pandemie. [1][„The Hof“ heißt nun eine von ungezählten
       Messeveranstaltungen], die nur im Netz stattfinden, während Frankfurt in
       einen tiefen Schlaf versunken scheint. In der Innenstadt herrscht
       Maskenpflicht. Bars müssen um 23 Uhr schließen. Nachts sind die Straßen
       leer.
       
       Und doch sind ein paar Residuen des realen Kontakts geblieben. Ich beginne
       meine Messetage mit dem Besuch der Ausstellung über Marshall McLuhan im
       Museum für Kommunikation. Das scheint doppelt passend. Denn McLuhan war
       erstens Kanadier und Kanada ist das diesjährige Gastland der Messe.
       Zweitens ist vieles, was McLuhan, einer [2][der radikalsten Denker des 20.
       Jahrhunderts], über Radio und Fernsehen sagte, immer noch richtig.
       
       Er hat in seiner Analyse auch unsere schöne neue Welt des Internets
       vorweggenommen. Ihn hätte der Wahnsinn von Facebook, Instagram und Twitter
       nicht überrascht.
       
       ## Planetarische Stammesgesellschaft
       
       Seine wichtigste These: Die elektronischen Medien haben uns in eine
       planetarische Stammesgesellschaft verwandelt. Das „globale Dorf“ ist kein
       Idyll, sondern wie jedes Dorf ein Ort, an dem sich Gerüchte in
       Lichtgeschwindigkeit verbreiten: „Je näher man sich kommt, desto mehr mag
       man einander? Dafür gibt es in keiner Situation, von der wir jemals gehört
       haben, einen Beweis. Wenn Menschen einander näherkommen, werden sie immer
       unzivilisierter und ungeduldiger“, meinte McLuhan.
       
       In der von dem in Berlin lebenden Kanadier Baruch Gottlieb so liebevoll wie
       kenntnisreich zusammengestellten Ausstellung „Global Warning! – Marshall
       McLuhan and the Arts“, in der TV-Interviews, Bücher, Broschüren McLuhans
       mit technikhistorischen Fotos aus dem Fundus der Museumsstiftung für Post
       und Telekommunikation und Arbeiten unter anderem von Joseph Beuys und
       [3][Salvador Dalí] in einen Dialog treten, findet sich ein weiteres
       McLuhan-Zitat: „Alle Nachrichten sind gefälscht, sie sind Pseudoereignisse,
       geschaffen durch die Medien.“
       
       Wenn die „Lügenpresse“-Krakeeler nicht so selbstverliebt wären, wüssten
       sie, was an ihrer Wahrnehmung und an McLuhans Diktum richtig ist – und was
       nicht.
       
       Die „Gutenberg-Galaxie“ war für den Denker aus Toronto der Ort des
       wohlbegründeten Arguments, weswegen er der denkbar beste Patron dieser
       Buchmesse ist. Auch in diesem Jahr finden die vom Kulturamt Frankfurt
       organisierten Lesungen der Reihe „Open Books“ statt. Sie sind gut besucht,
       auch wenn die Reihen coronabedingt gelichtet sind.
       
       ## Mit Maske durchs Dorf
       
       Am Donnerstagnachmittag darf man die Maske am Platz noch abnehmen, als
       [4][Michael Kleeberg] sein neues Buch über seinen Vater, „Glücksritter“
       vorstellt, das unter anderem von dessen Imprägnierung als Kind durch die
       Nazi-Ideologie handelt, deren Echos der Autor noch an sich selbst
       beobachten kann. Dabei habe er beim Schreiben gar nicht vorgehabt, „Dinge
       über mich zu erfahren“, wie er im Ratskeller sagt.
       
       Abends in der St. Katharinenkirche findet die heimliche Buchpremiere von
       [5][Kathrin Rögglas] Essay „Bauernkriegspanorama“ statt, das vielleicht
       besser als Langgedicht über die in ihren Echokammern hohldrehenden Menschen
       der „Mitte“ beschrieben ist. Die Bücher sind frisch aus der Druckerei
       gekommen. Und wenn sich nun schon wieder die Regeln geändert haben, und der
       Mund-Nasen-Schutz aufbehalten werden muss, so stellt sich trotzdem ein
       Hauch von Messefeeling ein. Man ist dabei, wenn was passiert.
       
       18 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.buchmesse.de/digitale-buchmesse/networking-events/hof
 (DIR) [2] /Eine-Aphorismenexegese-in-sechs-Teilen/!5115884
 (DIR) [3] /Dali-Freud-und-der-Faschismus/!5364577
 (DIR) [4] /Michael-Kleebergs-neuer-Roman/!5556722
 (DIR) [5] /Schriftstellerin-ueber-Protest-gegen-die-AfD/!5506439
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Gutmair
       
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