# taz.de -- Zum Tod von Ruth Klüger: weiter leben: bis zum Schluss
       
       > Die US-österreichische Schriftstellerin und Shoa-Überlebende Ruth Klüger
       > ist tot. Unser Autor erinnert sich an seine letzte Begegnung mit ihr.
       
 (IMG) Bild: Gedichte als Überlebensstrategie: Ruth Klüger überlebte Ausschwitz und schrieb darüber
       
       Tun wir es an diesem traurigen Tag, an dem die Nachricht vom Tod der
       Schriftstellerin und Germanistin Ruth Klüger die Runde macht, wie sie es
       selbst getan hat, denken wir uns das Leben also in Siebenjahresschritten.
       7, 14, 21, dann gelangt man irgendwann zur 84. Ruth Klüger rechnete damit,
       dass sie 84 Jahre alt werde, so sagte sie es mir, [1][als ich sie 2012 am
       Rande des Jüdischen Filmfestivals in Wien zum Gespräch traf.] Das müsse so
       sein, diese Abschnitte bestimmten ihr Leben.
       
       Sieben Jahre Kindheit in ihrer Geburtsstadt Wien, sie erzählte vom
       Himbeersaft, den sie gerne trank und mit dieser Zeit in Verbindung bringt;
       die sieben Jahre unter den Nazis, die Isolation als jüdisches Mädchen im
       Wien nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938, die Deportation ins KZ
       Theresienstadt, die Zeit in Auschwitz und Groß-Rosen, die Flucht auf dem
       Todesmarsch nach Bergen-Belsen – sieben Jahre, die man sich nicht
       vorzustellen vermag.
       
       Sieben Jahre darauf, in denen sie in die USA emigriert, in New York und
       Berkeley ihr Studium abschließt. Sie heiratet den aus Berlin stammenden
       Historiker Werner Angress und bekommt zwei Söhne.
       
       84 Jahre also, glaubte Ruth Klüger, werde sie, und insofern ist es
       vielleicht ein kleiner Trost, dass sie noch ein paar Jahre weiterleben
       konnte, ehe sie nun, mit 88 Jahren, gestorben ist. Weiterleben wollte sie,
       auch wenn da so viel Düsternis war.
       
       ## Eindrucksvolles Zeitzeugnis
       
       [2][„weiter leben“, so heißt auch die Biografie ihrer Jugend, die 1992
       erschien.] Das Buch wurde ein Welterfolg, was sie verblüfft hat. Es sollte
       doch nur ein Buch für Göttingen sein, wo sie, die im kalifornischen Irvine
       lebte, eine Gastprofessur versah und einen zweiten Lebensmittelpunkt fand.
       
       „Den Göttinger Freunden“ ist es gewidmet mit dem Zusatz „ein deutsches
       Buch“, und nie hätte Ruth Klüger gedacht, es werde über diese Stadt hinaus
       Wirkung haben.
       
       Aber weil es in einer so nüchternen – Klüger’schen – Art dieses Leben
       erzählt, musste es größere Kreise ziehen. Es gehört zum Eindrucksvollsten,
       was uns als Zeugnis der Nazizeit bleiben wird.
       
       Entstanden ist es nach einem weiteren, späten Bruchpunkt. 1988 hatte sie
       als Fußgängerin an einer beschaulichen Straßenecke in Göttingens Altstadt
       einen schweren Unfall erlitten, ein Radfahrer muss sie übersehen haben. Sie
       rang mit dem Tode, sie besiegte ihn und war nun überzeugt davon, ihre
       Geschichte festhalten zu müssen. Wie gut, dass sie das getan hat.
       
       ## Formen des Sterbens
       
       2012 kreiste unser Treffen in Wien um die Frage, was ihr die Kraft gegeben
       hat, immer weiterzuleben. Ruth Klüger bekannte, sie habe in jeder Stadt, in
       die sie neu kam, überlegt, „wie bringe ich mich hier am besten um?“. Das
       kam so beiläufig und zeigte, wie sehr der Tod dieses Leben umspielte.
       
       In den Konzentrationslagern hat sie Gedichte verfasst oder sie, wenn es an
       Stift und Papier mangelte, auswendig gelernt und später aufgeschrieben. Sie
       sagt, diese Gedichte hätten ihr das Leben gerettet.
       
       In der Nacht vom 5. auf den 6. Oktober ist Ruth Klüger im Kreise ihrer
       Familie in Kalifornien gestorben.
       
       7 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Erinnerung-an-Ruth-Klueger/!5718983
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 (DIR) Felix Zimmermann
       
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