# taz.de -- Schriftstellerin Ruth Klüger: „Menschen brauchen keine Heimat“
       
       > In jeder neuen Stadt überlegte sie: „Wie bringe ich mich hier am besten
       > um?“ Mittlerweile ist die Schriftstellerin Ruth Klüger 82. Ihr Buch heißt
       > „Weiter leben“.
       
 (IMG) Bild: Ihre Gedichte retteten sie aus den KZs der Nazis: Ruth Klüger 2008 auf der Frankfurter Buchmesse.
       
       Wenn die Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger an ihre Kindheit in Wien
       denkt, dann sind da Himbeersaft und Schlagobers, den es im Kaffeehaus gab,
       wenn sie dort mit ihren Eltern war. Oder der Liptauer, ein pikanter
       Frischkäse, zubereitet mit Paprika und Kümmel.
       
       „Eine kulinarische Köstlichkeit aus der Kindheit“, sagt Klüger im Gespräch
       mit dem taz-Wochenendmagazin sonntaz. Wien, kulinarisch; das Wien, das wir
       heute oft vor Augen haben, wenn von der österreichischen Hauptstadt geredet
       wird.
       
       Aber Klügers glückliche Kindheitserinnerungen brachen jäh ab, als Adolf
       Hitler 1938 auf dem Wiener Heldenplatz den „Anschluss“ Österreichs ans
       Deutsche Reich verkündete, eigentlich schon vorher, denn die Stadt war
       überlagert von Antisemitismus – unter dem das jüdische Mädchen schwer litt.
       „Schon im Alter von sechs Jahren wollte ich weg aus Wien. Ich bin dann
       weggekommen – in eine falsche Richtung“, sagt Klüger, die vor wenigen Tagen
       82 Jahre alt geworden ist.
       
       Was so lapidar klingt, führte Klüger an den Rand des Todes: Mit elf Jahren
       wurde sie an der Seite ihrer Mutter ins KZ Theresienstadt verschleppt, dem
       Vater, einem Frauenarzt, war zuvor die Flucht nach Frankreich gelungen, was
       ihn aber nicht vor dem Mord durch die Nazis bewahrte. Später wurden Klüger
       und ihre Mutter nach Auschwitz verlegt und nach Christianstadt, ein
       Außenlager des KZ Groß-Rosen. Auf dem Todesmarsch ins KZ Bergen-Belsen
       gelang beiden die Flucht.
       
       Ob Menschen eine Heimat brauchen? „Nein“, sagt Klüger. „Ich bin kein Baum,
       ich brauche keine Wurzeln.“ „Nicht nur eine Episode, sondern die Wurzel“
       nennt Klüger im Gespräch hingegen die Kindheit eines Menschen. Wie aber
       kann man weiterleben, wenn diese Wurzel so zerrissen ist? Klüger sagt, sie
       habe ihr Leben „auf Basis dieser Kindheit zusammengebastelt“, schließlich
       sei das ihre Kindheit gewesen. „Es gab keine andere.“
       
       Nach dem Krieg emigrierte Klüger in die USA, sie studierte in New York und
       im kalifornischen Berkeley – und in welche Stadt auch immer sie kam, kamen
       düstere Gedanken auf: „Wenn ich in eine neue Stadt gekommen bin, habe ich
       immer überlegt: Wie bringt man sich hier am besten um?“ Meistens habe sie
       dann durchgespielt, mit einem Auto mit voller Wucht gegen eine Wand zu
       fahren, „das, was man im Amerikanischen autocide nennt“.
       
       Ruth Klüger hat sich dann aber doch immer fürs Weiterleben entschieden,
       „weiter leben“ heißt auch ihr erfolgreiches Buch, in dem sie 1992 ihre
       Jugenderinnerungen aufschrieb.
       
       In der aktuellen sonntaz erzählt Ruth Klüger, warum sie mit ihrem aus
       Berlin stammenden Mann nie Deutsch sprach und dennoch Germanistik
       studierte, warum sie in Göttingen eine zweite Heimat gefunden hat und wie
       ihre Gedichte sie aus den KZs der Nazis retteten.
       
       2 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Zimmermann
 (DIR) Felix Zimmermann
       
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