# taz.de -- Klimabewegung und Kapitalismuskritik: Ein neues System, aber wie?
       
       > Marktwirtschaft, die alles in Konkurrenz stellt, ist keine gute Grundlage
       > für große Veränderungen. Ein Plädoyer für eine ganz neue
       > Gesellschaftsform.
       
 (IMG) Bild: System Change: eine große Forderung. Oder die größte
       
       Bagger besetzen, von einem Plenum ins nächste rennen, Telefonkonferenz um
       Telefonkonferenz. Unglaubliche Bewegungserfolge feiern. [1][Im Hambi unter
       Bäumen stehen, von denen alle dachten, sie wären längst gefällt]. In über
       400 Orten Klimagruppen. Die größte Demo der Nachkriegszeit. Und zeitgleich
       ein unglaublicher Stillstand der politischen Veränderung. Ein
       Kohleausstiegsgesetz, das eigentlich Kohleeinstiegsgesetz heißen sollte.
       Während Kipppunkte erreicht werden.
       
       Unsere Antwort darauf: mehr Bagger besetzen, mehr Plena, mehr
       Telefonkonferenzen, für größere Demos, um mehr Druck auszuüben. Um die
       Regierung zum Handeln zu bewegen, weil sie die einzige zu sein scheint, die
       unsere Anliegen umsetzen kann.
       
       Was, wenn ihre Untätigkeit nicht daran liegt, dass wir noch nicht genug
       Druck aufgebaut haben? Was, wenn unsere Demosprüche wahr sind und wir das
       Klima nicht im Kapitalismus retten können?
       
       Die Marktwirtschaft setzt Unternehmen und Staaten in Konkurrenz.
       Unternehmen wollen nicht nur Profit machen und wachsen, sie müssen es
       sogar, um gegen die Konkurrenz zu bestehen. Auch der Staat, an den wir
       appellieren, konkurriert mit anderen Staaten um Wachstum und Arbeitsplätze.
       Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass all die klimaschonenden und sozialen
       Forderungen, die wir stellen, umgesetzt werden. [2][Bei System Change geht
       es also nicht darum, wie einzelne Bereiche CO2-neutraler sein könnten]. Die
       technischen Lösungen sind da. Die Frage ist: Unter welchen
       gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind sie umsetzbar?
       
       ## Ist eine Öko-Weltinstitution die Lösung?
       
       Viele antworten mit internationalen Vereinbarungen oder gar einem
       Weltstaat. Nach 25 gescheiterten Klimakonferenzen scheint dies
       unwahrscheinlicher denn je, aber wäre es denn erstrebenswert? Eine
       Öko-Weltinstitution müsste enorm viel Macht bündeln, um sich gegen die
       Logik der Unternehmen durchzusetzen. Ein solch starker Staat wäre anfällig
       für autoritäre oder gar faschistische Neustrukturierung. Und wahrscheinlich
       würde auch die Ökologie bald in den Hintergrund geraten. In einer
       Gesellschaft, die nur funktioniert, wenn die Menschen für Lohn arbeiten.
       
       So wird die Politik sich durchsetzen, die gute Konsummöglichkeiten bietet.
       Das legt Politiker*innen nah, vor allem auf gute wirtschaftliche
       Rahmenbedingungen zu achten – um diese Politik dann grün anzupinseln. Ein
       starker Weltstaat würde wohl kaum ökologische, vor allem aber keine
       demokratisch-emanzipatorische Politik machen. Dafür wäre er in seiner Macht
       zu unabhängig von uns und zu abhängig von der Wirtschaft.
       
       ## Eine neue Gesellschaftsform
       
       Also müssen wir mutig genug sein, um zu sagen: Wir brauchen eine neue
       Gesellschaftsform. Wir müssen die Bedingungen, unter denen wir handeln,
       grundlegend verändern. Und das können wir. Denn auch diese Bedingungen, die
       uns so natürlich erscheinen, sind menschgemacht. Und veränderbar.
       
       Doch wie könnte eine politische Praxis aussehen, die nicht nur versucht,
       die Regierung zu zwingen, ein winziges Stückchen auf uns zu zugehen? Eine
       neue Gesellschaft fällt nicht vom Himmel. Sie entsteht im Alten, aus den
       Widersprüchen, Rissen und Ritzen, in denen das Leben lustvoll rebelliert.
       Sie schlummert als Keimform in dem, was wir alltäglich leben.
       
       Transformation lässt sich weder als ein Marsch durch die Institutionen
       vorstellen, weil bei dem letztendlich nichts grundlegend anderes
       herauskommen kann, noch wie eine Eroberung der politischen Macht und einer
       Umstrukturierung von oben, weil die Aufgabe nicht ist, den Staat zu
       verändern, sondern Autorität durch Demokratie zu ersetzen.
       
       Stattdessen geht es darum, in unseren Kämpfen und darüber hinaus das
       herauszubilden und zu betonen, was eine neue Gesellschaft ausmachen könnte.
       Unsere Bewegung weiter jenseits von Markt und staatlicher Autorität
       organisieren. Commons und solidarische Beziehungen aufbauen, füreinander
       sorgen, während wir miteinander kämpfen.
       
       Um dann im richtigen Moment, im Kairos der Veränderung, diese Praxen auf
       den gesamten gesellschaftlichen Raum auszuweiten.
       
       Dieser Systemwandel ist nicht nur das, was uns die Möglichkeit gibt, die
       Klimakrise aufzuhalten. Sondern er ist auch unsere Chance auf ein gutes
       Leben für alle.
       
       1 Oct 2020
       
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