# taz.de -- Gewalt in Jugendhilfe-Einrichtung: Gefahr in der Wohngruppe
       
       > In einer Wohngruppe vor Hamburg wurde ein Junge von einem anderen Kind am
       > Kopf verletzt. Die Erzieher kümmerten sich nicht um einen Arzt.
       
 (IMG) Bild: Tritt gegen den Kopf: Der Abdruck ist deutlich im Gesicht des siebenjährigen Jungen zu erkennen
       
       Hamburg taz | Mark Schmidt* ist erbost. Sein siebenjähriger Sohn David*
       wurde am Freitag, den 14. August, in seiner Wohngruppe von einem anderen
       Kind ins Gesicht getreten. „Sogar mehrfach. Er hat Prellungen am Kopf“,
       sagt der 36-Jährige, als er am Montag danach mit der taz spricht. Er war
       noch am Freitagabend mit seinem Sohn im Krankenhaus. Am Samstag stellten
       die Eltern Anzeige bei der Polizei.
       
       Den Vater empört, dass die Erzieher seinen Sohn nicht zum Arzt brachten,
       sondern Freitagnachmittag bei der Mutter abgaben – ohne die für Arztbesuche
       nötige Krankenkassenkarte.
       
       Die taz erfuhr Sonntag von dem Vorfall. Eine Informantin schickte Fotos.
       Neben dem linken Auge ist das Jochbein bläulich verfärbt, die Wange
       darunter mit roten Punkten überzogen. Wer näher hinguckt, erkennt die
       Rillen einer Sohle.
       
       Im Bericht der Klinik steht: „linker Gesichtsschädel oberflächliche
       Prellmarke im Sinne eines Schuhabdrucks über dem Jochbein und linke Stirn,
       ebenfalls Prellmarke rechts temporal“. Die Ärztin empfiehlt lokale Kühlung,
       Schonung, bei Bedarf Ibuprofensaft. Und eine Vorstellung in der
       Rechtsmedizin.
       
       Der Junge bleibt am Wochenende bei seiner Mutter. Die sei gesundheitlich
       beeinträchtigt und habe deshalb das Sorgerecht verloren, sagt der Vater.
       Seit gut einem Jahr lebt das Kind in einer Wohngruppe mit zehn Plätzen in
       einer Kleinstadt vor den Toren Hamburgs. Schmidt war mit der Mutter nicht
       verheiratet und hatte nie das Sorgerecht. Aber er durfte sporadisch seinen
       Sohn besuchen, zuletzt wegen Corona seltener.
       
       An besagtem Freitag habe ihn die Einrichtung angerufen. „Die haben mir das
       als Unfall verkauft“, sagt Schmidt. Es sei aber kein Unfall. Darin habe ihn
       die Polizei bestätigt, als sie am Samstag seine Anzeige wegen gefährlicher
       Körperverletzung aufnahm. Die Eltern geben eine zweite Anzeige auf zur
       Klärung der Umstände.
       
       Der Junge hatte bei der Polizei berichtet, dass er mit dem anderen Kind
       Playstation spielte und in Streit geriet. Der andere Junge soll dann die
       Tür zugehalten haben, worauf David gegen die Tür gebollert und um Hilfe
       geschrien habe. „Dann habe der ihn reingestoßen und ist auf ihn mit Schuhen
       los“, gibt der Vater den Bericht wieder. Die Polizei sagte den Eltern, der
       Gang zur Rechtsmedizin wäre nicht nötig. Der Klinikbericht genüge.
       
       Doch am Montag früh steht erst mal die Frage im Raum, was jetzt mit David
       passiert. Sein Sohn wolle nicht zurück, sagt Schmidt. „Wir würden es
       bevorzugen, wenn er erst mal bei der Familie bleibt.“ Auch die Mutter ist
       dieser Meinung. Man einigt sich mit Mitarbeitern des Jugendamtes und das
       Kind bleibt ein paar Tage zu Hause.
       
       Die Familie wohnt im Bezirk Hamburg-Mitte. Die taz fragt dort nach, was
       vorgefallen sei und was nun werden solle? Sprecherin Sorina Weiland
       erklärt, sie könne zu Einzelfällen keine Auskunft geben. Aber sie
       versichere, „dass seitens des Jugendamtes und des Trägers alle
       erforderlichen Schritte zur Aufklärung des Sachverhaltes und zur Lösung
       eingeleitet wurden“.
       
       Mark Schmidt wurde morgens bei einem Gespräch im Jugendamt allerdings erst
       mal vor die Tür gesetzt. Er hätte die Einrichtungsmitarbeiter am Telefon
       bedroht. „Ich war wütend geworden, als ich hörte, was mit meinem Sohn
       passiert war und dass dies als Unfall bezeichnet wird“, räumt er ein.
       Inzwischen habe er sich per Whatapp dafür entschuldigt. Trotzdem sucht er
       eine Beschwerdestelle für den ganzen Vorgang. Von einer Bekannten erhielt
       Schmidt eine Nummer der Heimaufsicht. Die wählt er, landet aber wieder nur
       bei der Sachbearbeiterin, die ihn vor die Tür setzte.
       
       Eine Woche später wird David zurück in die Wohngruppe gebracht. Die
       Vormundin vom Amt wollte es so, berichtet der Vater. Er weiß nichts über
       die Umstände und ist besorgt. „Wer garantiert mir, dass so etwas nicht
       wieder passiert?“
       
       Die taz hakt bei Sorina Weiland nach. Die erklärt, der Träger habe bereits
       „geeignete Maßnahmen getroffen, um zukünftig vergleichbare Eskalationen, in
       denen ein Kind zu Schaden kommt, vermeiden zu können“. Welche das sind,
       sollten wir den Träger fragen oder die Aufsichtsbehörde in Kiel.
       
       Astrid Berg*, der Leiterin der Einrichtung, sichern wir zu, dass wir ihren
       Namen ändern, ebenso wie wir die Namen der Familie ändern. Sie arbeite
       schon 25 Jahre in der Jugendhilfe, aber einen Vorfall, der „so doll und so
       blöd ist, habe ich noch nicht erlebt“. Berg selber war nicht vor Ort. „Wir
       haben einen Fehler gemacht. Wir hätten sofort einen Rettungswagen rufen
       sollen“, sagt sie. Künftig sei gesichert, dass das passiert. Das andere
       Kind sei nicht mehr in der Wohngruppe. „Das ist schade, weil es eigentlich
       integriert war.“ Es brauche eine andere Hilfe.
       
       ## Keine Auskunft zum Einzelfall
       
       An dem besagten Freitagnachmittag sei ein Kollege mit drei Kindern und zwei
       Jugendlichen in der Gruppe allein gewesen. Da die zwei 16 und 17 Jahre alt
       sind, wäre das vertretbar. Der Kollege habe kurz ans Telefon gemusst, als
       der Vorfall passierte. David hab sehr geweint und zur Mutter gewollt.
       „Deswegen haben die Kollegen ihn hingefahren.“
       
       Hamburg bringt [1][fast die Hälfte seiner Heimkinder außerhalb der Stadt
       unter]. „Die Kinder sind hier nicht so im Blick“, sagt Ronald Priess,
       Jugendreferent der Hamburger Linksfraktion. Die Sozialbehörde verweist denn
       auch mit allen Fragen nach Kiel. Das dortige Sozialministerium erhielt
       Meldung von dem Vorfall, äußert sich nicht zu Details. Nach den von der
       Trägerin übermittelten Daten gebe es „keinen Hinweis darauf, dass die
       Aufsichtspflicht zum entsprechenden Zeitpunkt nicht gewährleistet war“, so
       Sprecher Eugen Witte. Zu Ereignis und Konsequenzen könne man auch wegen
       „schutzwürdiger Interessen“ der Kinder nichts sagen.
       
       Die Polizei hat den Vorgang bereits an die Staatsanwaltschaft abgegeben.
       Dort liegt laut Sprecherin Nana Frombach nur die Anzeige gegen das Kind
       vor. Die Sache werde voraussichtlich eingestellt, „weil gegen Kinder nicht
       ermittelt werden darf“.
       
       Mark Schmidt hat inzwischen mit seinem Sohn telefoniert. „Es geht ihm gut“,
       sagt er. Und er hat einen Termin bei seiner Anwältin. Er will versuchen,
       das Sorgerecht zu bekommen.*Name geändert
       
       2 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Umstrittene-Heimbetreuung/!5251925/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
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