# taz.de -- Dokumentarfilmer über Proteste in Bulgarien: „Mehr Druck aus Brüssel“
       
       > Christo Bakalski rechnet mit einem Rücktritt der bulgarischen Regierung.
       > Doch das Problem geht tiefer. Alte Seilschaften aus der Vorwendezeit
       > wirken weiter.
       
 (IMG) Bild: Protestaktion am Donnerstag in Sofia
       
       Herr Bakalski, seit Tagen gehen die Menschen in Sofia und anderen Städten
       Bulgariens auf die Straße. Was ist der Hauptgrund für diese Proteste?
       
       Christo Bakalski: Es gibt nicht den einen Grund, jeder der
       Demonstrant*innen hat wohl eigene Beweggründe, um sich an den Protesten zu
       beteiligen. Interessant ist, dass bei den Kundgebungen vor allem Rufe nach
       einem Rücktritt der Regierung laut werden. Das war bei Protesten
       vergangener Jahre anders, da war das Spektrum der Forderungen größer.
       
       Wer demonstriert da eigentlich? 
       
       Das ist eine ganz bunte Mischung, von extrem links bis extrem rechts.So
       etwas habe ich früher nie gesehen. Da sind ganz viele junge idealistische
       Menschen dabei. Sie haben bisher nichts anderes als Regierungen unter
       [1][Bojko Borissow] kennen gelernt und deshalb ja auch keinen Vergleich.
       Sie wünschen sich Veränderungen und hoffen auf Verbesserungen. Dabei
       übersehen sie, dass es auch noch schlimmer werden kann.
       
       W as genau meinen Sie damit ? 
       
       Da muss ich ein wenig in die Geschichte zurück gehen. Das sozialistische
       System, das bis zur Wende 1989 in Bulgarien existierte, war eigentlich ein
       neo-feudales System. Die damals herrschenden Familien haben ihre Macht
       behalten. Nachfolger sind in gewisser Weise die Sozialistische Partei und
       die Bewegung für Rechte und Freiheiten DPS, die die Interessen der
       türkischen Minderheit vertritt. Dazu gehört auch der jetzige Präsident
       Rumen Radew, den die Sozialisten und die DPS unterstützen. Sie alle sind
       pro-russisch, weswegen die jetzige Situation auch im Interesse Moskaus ist.
       
       Wie würden Sie den Zustand der Oppositionsparteien beschreiben, die sich in
       dem Bündnis „Demokratisches Bulgarien“ zusammen gefunden haben? 
       
       Da gibt es einige vielversprechende Politiker. Zum Beispiel Christo Ivanov.
       Mit dem Video über seinen vergeblichen Versuch, einen öffentlichem Strand
       zu betreten, hat er ja die Proteste ausgelöst. Doch die Opposition hat ein
       massives Problem. Selbst wenn sie bei der nächsten Wahl an Stimmen zulegen
       würde, wird sie keine Möglichkeiten haben, eine Koalition zu bilden. Da
       blieben wieder nur die Sozialisten oder Borissows Partei. Das wäre die
       schlechteste Lösung und genau davor habe ich Angst.
       
       Was den Kampf gegen Korruption angeht, belegt Bulgarien in der EU den
       letzten Platz…. 
       
       Da müssen wir unterscheiden. Nehmen wir den Alltag der ganz normalen Leute.
       Das hat sich einiges verbessert, zum Beispiel bei der Verkehrspolizei. Da
       war es früher normal einen Schein heraus zu ziehen. Das gibt es jetzt nicht
       mehr. Die [2][Korruption] ist jedoch nach wie vor ganz oben angesiedelt.
       Wenn es um die Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen geht, ist das immer
       besonders gut zu beobachten.
       
       Woran liegt es, dass sich an dieser Situation nichts ändert?
       
       Das sind die alten Seilschaften von vor 1989, von denen ich bereits
       gesprochen habe. Sie wirken weiter fort. Das ist jetzt so eine Art der
       gegenseitigen Absicherung mächtiger Menschen, von denen einige für die
       Bevölkerung unsichtbar sind. In diesem Geflecht hat auch der jetzige
       Generalstaatsanwalt Iwan Geschew seine Rolle. Nicht umsonst fordern die
       Demonstrant*innen auch seinen Rücktritt.
       
       Glauben Sie, dass die Regierung zurück treten wird? 
       
       Ein Rücktritt ist zu erwarten, um die Proteste zu beruhigen. Doch das wirft
       für Borissow einige Probleme auf. Sollte eine Expertenregierung ernannt
       werden, hätte da auch der Präsident ein Wörtchen mitzureden. Das aber will
       Borissow auf jeden Fall vermeiden. Hinzu kommt, dass unter einer
       Expertenregierung so mancher versucht sein könnte, noch schnell etwas für
       sich zu regeln. Und das angesichts ausgehungerter Menschen wegen der
       Corona-Pandemie und einer Wirtschaftkrise, die sich in ihrem ganzen Ausmaß
       erst im Herbst zeigen wird.
       
       Wie beurteilen Sie den Kurs der EU gegenüber Bulgarien? 
       
       Ich würde mir mehr Druck aus Brüssel wünschen – vor allem was die Bereiche
       Transparenz und Gewaltenteilung angeht. Das ändert aber nichts daran, dass
       wir unsere Probleme selbst lösen müssen. Das kann nicht von außen
       geschehen.
       
       18 Jul 2020
       
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