# taz.de -- Grüne und Linke zur Rolle der Opposition: „Nicht umklammern lassen“
       
       > In der Krise kommt es auf die Exekutive an? Stimmt nicht, sagen die
       > FraktionsmanagerInnen von Grünen und Linkspartei im Bundestag.
       
 (IMG) Bild: Mit Corona-Abstand: Jan Korte (Linke) und Britta Haßelmann (Grüne)
       
       taz: Frau Haßelmann, Herr Korte, ist Opposition in Zeiten der Pandemie
       schwieriger? 
       
       Jan Korte (Linke): Im März gab es den Kampf zwischen Exekutive und dem
       Parlament. Wir mussten immer wieder darauf insistieren, dass das Parlament
       das letzte Wort hat.
       
       Hatte es das wirklich? Die reale Macht lag doch bei der
       Ministerpräsidentenrunde und der Kanzlerin. 
       
       Britta Haßelmann (Grüne): Von vielen Seiten hieß es: Das ist die Stunde der
       Exekutive. Aber es war vor allem die Opposition, die dafür gesorgt hat,
       dass die parlamentarische Kontrolle auch in Krisenzeiten gesichert ist. Wir
       haben die Idee eines Notparlaments abgewehrt …
       
       … das wollte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble …
       
       Haßelmann: Wir haben eindeutig gesagt: Stopp. Man ändert nicht mal eben
       hoppla-hopp die Verfassung und richtet ein Notparlament ein. Wir haben die
       Geschäftsordnung zeitlich befristet geändert und so auf die Krisensituation
       angemessen reagiert. Das war ein Vorschlag der Grünen.
       
       Korte: Wir haben die Idee Notparlament abgebügelt, bevor eine Dynamik dafür
       entstehen konnte. Wir haben die Regierung dazu gebracht, nicht nur in der
       Bundespressekonferenz, sondern im Parlament detailliert zu begründen, was
       sie tut. Die berichten uns nur, wenn wir sie nerven und darauf beharren,
       dass das Parlament die erste Geige spielen muss. Olaf Scholz und Angela
       Merkel schweben manchmal gottgleich über den Niederungen des Parlaments.
       Das geht nicht.
       
       Hat das Parlament wirklich die erste Geige gespielt? Unionsfraktionschef
       Ralf Brinkhaus hat sich im April öffentlich darüber Sorgen gemacht, ob die
       Opposition noch gehört wird. Ungewöhnlich für den Chef einer
       Regierungsfraktion. Waren Grüne und Linksfraktion zu brav? 
       
       Haßelmann: „Brav“ ist keine Kategorie. Es waren doch Ralph Brinkhaus und
       die Union, die wollten, dass der Gesundheitsminister und die Regierung die
       epidemische Lage feststellen und das Parlament faktisch Zuschauer bleibt.
       Das haben die Fraktionsspitzen von Grünen, Linkspartei und FDP verhindert.
       National die epidemische Lage ausrufen kann jetzt nur der Bundestag. Das
       war ein Erfolg. Beim Infektionsschutzgesetz würde ich rückblickend sagen:
       Wir haben zu viel Raum für Rechtsverordnungen des Gesundheitsministers
       gegeben
       
       Korte: Vielleicht hätten wir den überbordenden Elan der Exekutive noch mehr
       bremsen sollen. Aber im März war die Lage kompliziert. Wir mussten in
       kürzester Zeit prüfen, was sinnvoll ist und was zu weit geht. Klar gab es
       auch die Sorge: Blockieren wir etwas, bei dem sich herausstellt, dass es
       substanziell nötig ist?
       
       Haßelmann: Der dritte Punkt war die [1][Corona-App]. Die Regierung wollte
       anfangs eine Funkzellenabfrage mit Tracing und Tracking. Wir haben diese
       Art einer Corona-App verhindertm und die Bundesregierung musste schließlich
       umschwenken.
       
       Korte: Das haben wir erreicht. Auf der anderen Seite wollten Linke und
       Grüne per Gesetz sicherstellen, dass die App wirklich freiwillig ist und
       niemand, der sie nicht nutzt, Nachteile hat. Damit haben wir uns nicht
       durchgesetzt.
       
       Susanne Ferschl, Fraktionsvize der Linksfraktion, hat gesagt, dass die
       Opposition in dieser Krise mehr Einfluss hatte als sonst. Stimmt das? 
       
       Haßelmann: In der ersten Phase, ja. Der Gesundheitsminister war sehr
       auskunftswillig, im Gegensatz zu Horst Seehofer. Beim ersten
       [2][Coronakrisenhilfspaket] gab es die Bereitschaft, Impulse und Kritik aus
       der Opposition aufzunehmen. Das hat dann später allerdings nachgelassen, ab
       Ende März.
       
       Korte: Seitdem sind wir wieder in dem alten Trott. Die Große Koalition
       macht, was sie will. Die Zeit für interfraktionell durchaus spannende
       Verständigungen ist vorbei.
       
       Im April hat im Bundestag FDP-Fraktionschef Lindner die Einmütigkeit beim
       Krisenmanagement aufgekündigt. Hätten besser Grüne oder Linke dieses
       Zeichen gesetzt? 
       
       Korte: Nein. Ich bin manchmal bereit, selbstkritisch zu sein. Aber ein
       irrlichternder FDP-Vorsitzender, der im Nachhinein so tut, als hätte er
       alles schon immer vorher gewusst, ist kein Maßstab.
       
       War der Zuspruch für die „Hygienedemos“ auch ein Echo auf die Abwesenheit
       der Opposition? 
       
       Korte: Die Opposition war nicht abwesend. Das haben zwar manche Medien
       behauptet. Aber es stimmt für die sehr unterschiedlichen demokratischen
       Oppositionsfraktionen nicht. Zu den Demos: Ich habe verstanden, dass viele
       Leute besorgt waren wegen der Einschränkung der Grundrechte. Eine
       Grundskepsis gegenüber der Exekutive ist sinnvoll. Aber das ist kein Grund,
       bizarre Thesen zu verbreiten. Sobald Rechte das Bild einer Demo
       mitbestimmen, gilt: Hier ist man verkehrt.
       
       Haßelmann: Zu Beginn haben mich die Demos nachdenklich gemacht. Mit den
       Maßnahmen wegen der Coronapandemie wurde ja auch tief in Grundrechte
       eingegriffen. So kurzfristig wie noch nie. Doch genau die Notwendigkeit der
       Maßnahmen zu vermitteln, in Zeiten, in denen man sich nicht begegnen kann,
       in denen es keine Bürgergespräche gibt, ist auch eine Herausforderung.
       Deshalb war es so wichtig, dass wenigstens die Diskussion im Parlament
       stattfindet, mit Rede, Gegenrede und Kontroverse.
       
       Ende März hat die Chefin der Linksfraktion, Amira Mohammed Ali, das Paket
       der Bundesregierung gelobt. Es gab dafür Applaus bei der Union. 
       
       Korte: Sie hat auch die soziale Schieflage angesprochen, da gab es keinen
       Applaus.
       
       Aber Lob der Opposition für die Regierung, Applaus der Union für die Linke
       – war das kein Symbol für das Zusammenrücken von Regierung und Opposition
       in der Krise? 
       
       Haßelmann: Ist das so schlimm? In einer derartigen Krise müssen
       demokratische Kräfte, Regierung und Opposition, zusammenarbeiten. Wir haben
       von Anfang an auf Änderungen gedrängt, vieles hat die Regierung auch
       aufgegriffen. Beides, Differenz und Übereinstimmung, sind wichtig.
       
       Korte: Ein Minister hat mal die konstruktive Arbeit der Opposition gelobt.
       Das war für mich ein Alarmsignal, dass wir unsere Position überprüfen
       müssen. Man darf sich nicht von der Regierung umklammern lassen, aber wenn
       sie mal etwas richtig macht, stimmt man halt zu.
       
       Hat die Opposition sich umklammern lassen? 
       
       Korte: Die Linke nicht.
       
       Und die Grünen? 
       
       Haßelmann: Sicherlich nicht.
       
       Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind auch eine Ausnahmesituation.
       218 Milliarden Euro Schulden dieses Jahr, 7 Millionen in Kurzarbeit. Geht
       das Konjunkturpaket der Regierung aus dem Parlament so raus, wie es
       reingekommen ist? 
       
       Haßelmann: Ich hoffe, nicht. Auch wenn wir das als Opposition nur begrenzt
       beeinflussen können. Das Paket ist zwar besser als befürchtet. Dass die
       Abwrackprämie für Verbrenner nicht kommt, ist auch ein Erfolg der
       Klimabewegung. Das Konjunkturprogramm hat aber, wie das erste Coronapaket,
       eine soziale Schieflage. Ganz wichtig wäre etwa, den ALG-II-Regelsatz für
       die Krisenzeit um 100 Euro zu erhöhen. Und auch bei den Pflegeberufen hätte
       es mehr gebraucht.
       
       Korte: Vor Kurzem haben alle den Pflegerinnen und Pflegern, den Ärztinnen
       und Ärzten, den Kassiererinnen, den Paketboten applaudiert. Wo sind die in
       diesem Konjunkturpaket? Völlige Fehlanzeige.
       
       Die Regierung braucht die Zustimmung der Opposition zum Konjunkturpaket nur
       bei der Frage, ob der Bund den Kommunen einen Teil der Hartz-IV-Kosten
       abnimmt. Stimmen Linksfraktion und Grüne zu? 
       
       Korte: Klar. Wir wollten immer, dass der Bund mehr übernimmt. Mir sagt
       jeder linke Landrat: Das ist richtig.
       
       Haßelmann: Ja, das ist eine nötige strukturelle Entlastung der ärmeren
       Kommunen.
       
       Sie sind sich in vielem einig. Finanzminister Scholz will ab 2023 die
       Schulden wieder zurückzahlen. Ist das richtig? 
       
       Korte: Das ist der Kern der Auseinandersetzung: Wer bezahlt das? Da geht es
       auch um die Demokratie. Im meinem Wahlkreis höre ich von vielen: Wir, die
       kleinen Leute, werden das zahlen. Das ist die verbreitete Stimmung. Die
       wird Wasser auf die Mühlen der Rechten und Nazis sein. Jetzt beginnt der
       harte Kampf um die Verteilung der Milliarden und darum, wer das bezahlt. Zu
       verhindern, dass es wieder läuft wie sonst, das ist unsere Aufgabe als
       Linke.
       
       Haßelmann: Ich finde es wichtiger, jetzt zu debattieren: Was ist mit den
       Frauen in dieser Krise? Die Frauen kommen in dem Konjunkturpaket zu wenig
       vor. Reden wir über diese Schieflage. Und später darüber, wie wir das Geld
       wieder reinbekommen. Dann werden wir über Ungleichheit und
       Steuergerechtigkeit reden.
       
       Korte: Britta, da haben wir einen Dissens. Du redest wie auf eurem
       virtuellen Parteitag. Wollt ihr eine Vermögensabgabe, ja oder nein? Zahlen
       wie bei der letzten Krise wieder die kleinen Leute? Wollen die Grünen denen
       oben etwas wegnehmen, um das zu finanzieren? Ja oder nein? Das ist eine
       elementare Frage.
       
       Haßelmann: Es ist doch vollkommen klar, dass die Kosten auch gerecht
       verteilt werden müssen und dass starke Schultern mehr tragen müssen. Ich
       habe das Konzept der Vermögensabgabe der Grünen mit erarbeitet und brauche
       da keine Aufklärung. Und: Wir haben 7 Millionen Menschen in Kurzarbeit,
       vielleicht bis zu 10 Prozent Wirtschaftseinbruch. Lass uns mal einen Moment
       überlegen: Was machen wir? Woher weißt du denn jetzt schon, ob wir bei der
       Vermögensteuer, der Vermögensabgabe, der Erbschaftsteuer oder der
       Einkommensteuer landen. Wisst ihr das schon genau?
       
       Korte: Ja. Wir brauchen das ganze Programm, eine einmalige Vermögensabgabe,
       der Spitzensteuersatz muss erhöht werden, und wir brauchen eine
       Vermögensteuer. Damit tritt man Mächtigen auf die Füße – und dazu muss man
       bereit sein. Ich bin d’accord, zu gucken, wo wir beim Konjunkturpaket noch
       etwas umlenken können. Aber man kann die zentrale Frage, wer zahlt, nicht
       vertagen.
       
       Haßelmann: Wer mehr hat, muss mehr schultern. Da gibt es zwischen uns
       keinen Dissens.
       
       Korte: Aber das erreiche ich nicht durch gutes Zureden.
       
       Haßelmann: Mit der Kritik bist du bei den Grünen an der falsche Adresse,
       Jan. Wir sind in einer Situation, die noch vor Monaten niemand ahnen
       konnte. Was nutzt es, Beschlusslagen von 2013 und 2017 runterzubeten?
       
       Können die Grünen Vermögensabgabe, Vermögensteuer oder höheren
       Spitzensteuersatz in einer Regierung mit der Union umsetzen? 
       
       Haßelmann: Was realistisch machbar ist, werden wir am Ende der Krise sehen.
       Erst wenn klar ist, wie genau das Ausmaß ist, lässt sich seriös
       diskutieren, welchen Ausgleich wir dafür finden. Da helfen keine
       Farbenspiele.
       
       Korte: Ich bin für ein Mitte-links-Bündnis. Wir waren uns ja in diesem
       Gespräch in vielem einig, Britta. Aber all das ist mit CSU oder FDP nicht
       durchsetzbar. Das müsstet ihr klarstellen: Wollt ihr mit denen koalieren
       oder mit uns? Wir müssen für eine Option jenseits der Union sorgen.
       
       Haßelmann: Wir sind in einer Ausnahmesituation. Eine Situation wie diese
       hatten wir noch nie – Coronapandemie, Klimakrise, Wirtschaftskrise. Niemand
       weiß, was 2021 sein wird.
       
       20 Jun 2020
       
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