# taz.de -- Politologin über syrische Regierung: „Schulen wieder aufbauen“
> Solange Assad an der Macht ist, will Europa für Syriens Wiederaufbau kein
> Geld geben. Politikberaterin Muriel Asseburg fordert ein Umdenken.
(IMG) Bild: Wie kann Europa den Menschen helfen, ohne der Regierung in die Hände zu spielen?
taz: Frau Asseburg, Sie fordern in einer neuen [1][Studie], dass
Deutschland und die Europäer eine „realistischere“ Syrienpolitik entwickeln
sollen. Das ist auf Verwunderung und Kritik gestoßen. Verstehen Sie das?
Muriel Asseburg: Sehr gut sogar, denn ich schlage etwas vor, das die
Europäer bislang vermieden haben: Wir sollten, unter bestimmten
Bedingungen, in die Instandsetzung von Basisinfrastruktur auch in den vom
Regime kontrollierten Gebieten Syriens einsteigen. Dafür müssten wir einen
Teil unserer Sanktionen abbauen, denn die verhindern, dass man sich
entsprechend engagieren kann.
Was heißt das konkret?
Es geht darum, die Lebensbedingungen durch die Instandsetzung von Schulen,
Krankenhäusern, Elektrizitätswerken, Wasser- und Abwasserversorgung sowie
durch Arbeitsprogramme zu verbessern, statt vor allem auf Nothilfe zu
setzen.
Europa soll also die Schulen und Straßen wieder aufbauen, [2][die das
Regime selbst zerbombt hat]? Nach fast [3][zehn Jahren Krieg] gegen die
eigene Bevölkerung wäre das eine Normalisierung der Beziehungen mit der
Assad-Regierung.
Das sehe ich nicht so. Normalisierung betrifft das Verhältnis zum Regime,
also Fragen wie: Wem schüttle ich die Hand? Wen empfange ich zu einer
internationalen Konferenz? Mit wem kooperiere ich? Eine Rehabilitierung der
Spitzen des Regimes lehne ich ab. Diese Menschen sind verantwortlich für
den Einsatz von Massenvernichtungswaffen, [4][Tod, Folter und Vertreibung].
Sie gehören vor Gericht.
Wäre es nicht konsequent, weiter nur Nothilfe zu leisten?
Nein. Erstens, weil auch Nothilfe nicht nach humanitären Standards
vergeben, sondern von Damaskus instrumentalisiert wird. Zweitens, weil
damit die Abhängigkeit der Syrer von internationaler Hilfe auf Dauer
zementiert wird. Das wäre ähnlich wie im Gazastreifen: Die Europäer
kooperieren dort nicht mit der De-facto-Regierung, tun nichts gegen die
Abriegelung und sehen sich gezwungen, die humanitäre Hilfe stetig zu
erhöhen. In Syrien müssen staatliche Grundfunktionen wieder gewährleistet
werden.
Ein Beispiel: Ein Elektrizitätswerk in Homs ist zerstört, die Europäer
zeigen sich bereit, es wieder aufzubauen. Wie kommen Sie darum herum, mit
dem Regime zusammenzuarbeiten?
Sie kommen nicht darum herum. Die Basisfunktionen eines Staates können
nicht durch zivilgesellschaftliche Kräfte übernommen werden. Die
Kooperation mit der Arbeitsebene der Ministerien ist der Preis für ein
entsprechendes Engagement.
Aber keine Kooperation mit dem Minister selbst. Reine Symbolik also?
Nein, ich rede ja nicht vom Einstieg in einen umfassenden Wiederaufbau. Der
würde mit der derzeitigen Führung und unter den gegebenen Umständen keinen
Sinn ergeben. Bislang dürfen mit unserer Hilfe Schulfenster repariert
werden, aber ein zerbombtes Schulgebäude darf nicht wieder aufgebaut
werden. Wir müssen dahin, dass wir auch zerbombte Schulen wieder aufbauen.
Dabei brauchen wir klare Kriterien für unser Engagement: Eigentumsrechte
dürfen nicht verletzt werden und alle Bevölkerungsgruppen müssen
gleichermaßen profitieren.
Während Sie fordern, Sanktionen abzubauen, haben die USA ihr
Sanktionsregime kürzlich erst verschärft.
Ich plädiere für einen Abbau von Sanktionen in ausgewählten Bereichen,
nämlich denjenigen, die Rehabilitationsmaßnahmen im Weg stehen, etwa im
Wasser- oder Elektrizitätssektor. Was die USA angeht: Tatsächlich sollen
die sogenannten Caesar-Sanktionen Mitte des Monats in Kraft treten. Das
wird aufgrund der Sekundärwirkung zur Folge haben, dass ein Engagement für
europäische Firmen völlig unattraktiv wird. Siemens etwa würde sicherlich
keine einzige Turbine nach Syrien liefern, wenn es von den USA dafür
bestraft wird. Die Europäer müssen daher mit den USA dringend über
humanitäre Ausnahmen reden.
Was bezwecken die USA mit den neuen Sanktionen?
Die US-Administration verfolgt gegenüber Syrien eine Politik des maximalen
Drucks, ähnlich wie gegenüber dem Iran. Die aktuelle Wirtschafts- und
Finanzkrise in Syrien wird als Erfolg interpretiert. Wenn man den Druck
weiter erhöht, so der Glaube, könnte das Regime zusammenbrechen.
Daran glauben Sie nicht?
Doch, aber ich halte das für eine unverantwortliche Strategie. Mit dem
Regime werden auch die staatlichen Strukturen zusammenbrechen. Das Leid der
Syrerinnen und Syrer – schon heute leben 80 Prozent unter der Armutsgrenze,
11 Millionen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen – wird weiter zunehmen.
Es gibt keine alternative Kraft, die das Land zusammenhalten könnte. Eine
neuerliche Eskalation von Gewalt wäre die Folge.
Anders als bei Ihrer Strategie erkenne ich beim US-Ansatz aber ein klares
Ziel. Welche Zielsetzung schlagen Sie den Europäern vor?
Kurzfristig: Das Leid lindern, die Lebensverhältnisse verbessern, den
Zusammenbruch staatlicher Strukturen verhindern. Langfristig: Reformen
herbeiführen, die das Land nachhaltig stabilisieren und Bedingungen
schaffen, unter denen sich Europa auch beim Wiederaufbau im eigentlichen
Sinne engagieren kann. Dazu sind tiefgreifende Strukturreformen notwendig.
Nur dann werden die Menschen in Sicherheit und Würde leben können.
Sie halten das Assad-Regime noch für wandelbar?
Nein, mit der jetzigen Führungselite sind keine grundlegenden Reformen zu
erwarten. Dennoch sollten wir unsere Bedingungen für eine Wiederannäherung
klar ausbuchstabieren. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass in fünf Jahren
jemand anderes als Baschar al-Assad Präsident ist.
Ihr Vorschlag, trotz Assad jetzt schon in den Wiederaufbau einzusteigen,
basiert auf der Einsicht, dass das Regime den Krieg gewonnen hat. 2012 hat
die Stiftung Wissenschaft und Politik ein Projekt durchgeführt namens
[5][„The Day After“]. Arbeitshypothese war, dass das Regime bald fällt.
Haben Sie die Bundesregierung falsch beraten?
Das war ein kollektives Gedankenexperiment. Weder ging es darum, den
Umsturz zu planen, noch in erster Linie darum, die Regierung zu beraten.
Wir haben mit einem breiten Spektrum der syrischen Opposition und
Zivilgesellschaft darüber nachgedacht, wie Syrien aussehen soll, wenn das
Regime nicht mehr da ist. Das Projekt wurde 2011 aufgesetzt, als viele
Syrer und Beobachter davon ausgingen, dass es tatsächlich „einen Tag
danach“ geben würde. Schon als wir das Projekt 2012 dann durchführten, gab
es weniger Anlass zu Optimismus. Sinnvoll war es trotzdem, über die Zukunft
zu diskutieren, sich darüber klar zu werden, was sich alles ändern sollte
und welche Herausforderungen das birgt.
12 Jun 2020
## LINKS
(DIR) [1] https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S07_Syrien.pdf
(DIR) [2] /Krieg-in-Syrien/!5677416
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## AUTOREN
(DIR) Jannis Hagmann
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