# taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: Kapital contra Kultur
       
       > Dem Buchladen Kisch & Co in Kreuzberg droht das Ende. Das Haus ist an
       > einen Luxemburger Fonds verkauft. Nun startet eine Initiative Proteste.
       
 (IMG) Bild: Buchhandlung Kisch & Co. bei der Langen Buchnacht in der Oranienstraße
       
       BERLIN taz | Mehr als drei Wochen schon hat die Kreuzberger Buchhandlung
       Kisch & Co in der Oranienstraße 25 keinen Mietvertrag mehr. Vergangenen
       Freitag lief eine Frist ab, die der Eigentümer dem Traditionsgeschäft für
       einen Auszug gesetzt hatte. Zuvor hatten die Buchhändler ein Angebot
       zurückgewiesen, das ihnen eine Galgenfrist bis Jahresende gewährt und ihnen
       zugleich Verschwiegenheit über die Vertragsinhalte und beteiligten Personen
       auferlegt hätte.
       
       In einer ersten Version des Vertragsangebots hätten sie sich, so sagt es
       Geschäftsinhaber Thorsten Willenbrock der taz, sogar dazu verpflichten
       müssen, sich gegenüber Medien und Politiker*innen positiv über die
       Eigentümer zu äußern – ein No-Go. „Ich denke, die werden jetzt den Klageweg
       gehen, um uns aus dem Laden zu räumen“, sagt Willenbrock, aber auch: „Wir
       halten so lange durch, wie es nur irgendwie geht.“
       
       Ein Kurzbesuch offenbart schnell, was der 1997 eröffnete Buchladen – vorher
       residierte hier der legendäre linke Verlag Elephantenpress – bis heute für
       den Kiez bedeutet. Das Gespräch mit Buchhändlerin Ulla Biermann hat noch
       nicht begonnen, als sich die beiden anwesenden Kunden einmischen. „Es wird
       mir das Herz brechen, wenn der Laden weg ist“, sagt Max, ein Endvierziger,
       der hier täglich seine Zeitung kauft. Und wie zum Beweis seiner
       Zugehörigkeit holt er eine Schachtel aus der Jackentasche, in der etwas
       Silbernes klappert. „Ich wollte dir doch die Titanschrauben zeigen, die sie
       mir aus der Hand rausgeholt haben“, sagt er zu Biermann.
       
       Der andere Kunde entpuppt sich als Klaus Theuerkauf, seines Zeichens
       Nasenflötist beim Original Oberkreuzberger Nasenflötenorchester und
       Künstler, der mit seiner Galerie Endart die Berliner Kunstszene der 1980er
       Jahre mitgeprägt hat. „Alle werden entmietet, es geht alles verloren“, sagt
       er halb zornig, halb verzweifelt und zeigt durch die gläserne Eingangstür
       auf das Haus gegenüber. „Da haben früher zum Beispiel tolle Maler wie
       Johannes Kahrs und Max Neumann gewohnt, die mussten alle raus. Auch ich
       wurde weggentrifiziert!“
       
       Natürlich hat auch Ulla Biermann Angst um ihren Job. Seit zwanzig Jahren,
       erzählt sie, arbeitet sie bei Kisch. Mit den vier KollegInnen ist sie
       befreundet, man arbeitet „kollektiv“, auch wenn zwei der fünf Inhaber sind,
       die anderen angestellt. „Ich kann mir schlecht vorstellen, in einem
       ’normalen' Buchladen zu arbeiten“, sagt sie.
       
       ## Kulturelles Kiez-Zentrum
       
       Das Gewerbehaus in der Oranienstraße 25, in dem auch die neue Gesellschaft
       für bildende Kunst und das Museum der Dinge ihren Sitz haben, ist immer
       noch ein kulturelles Zentrum im Kiez. Bis zum vergangenen Jahr gehörte es
       der Berggruen Holdings GmbH des US-Milliardärs Nicolas Berggruen. Schon
       dieser wollte Kisch & Co loswerden und hatte 2017 mit einem
       [1][Designer-Brillenladen einen Nachmieter präsentiert], der sich infolge
       des öffentlichen Drucks selbst zurückzog. Auch Berggruen ging dem weiteren
       Konflikt aus dem Weg und vereinbarte mit Kisch & Co einen Mietvertrag über
       drei Jahre.
       
       Anfang dieses Jahres erfuhren die Mieter, dass das Haus an einen
       Luxemburger Fonds mit dem Namen Victoria Immo Properties V S.a.r.l.
       verkauft wurde. Die Mieter*innengemeinschaft spricht von einem Konstrukt
       „wie aus dem Lehrbuch des aggressiv und global agierenden
       Turbokapitalismus“. Der Eigentümer habe „vom ersten Tag seiner Besitznahme
       keinen Zweifel an seinen rein ökonomisch orientierten Verwertungsinteressen
       an der Immobilie aufkommen lassen“. Kein Wunder angesichts des Kaufpreises:
       35,5 Millionen Euro gingen für das Gebäude mit seinen 4.000 qm über den
       Tisch. Zum Vergleich: Die deutlich größeren [2][Gewerbehöfe in der
       Lausitzer Straße] 10 sollen für ein Drittel dieses Preises verkauft werden.
       
       Die [3][Refinanzierung dieses Spekulationspreises] ist nur über
       Mieterhöhungen möglich. Wo die Reise hingeht, zeigt das Angebot an das
       Architektenbüro kleyer.koblitz, das nach einer Vertragsverlängerung 38 Euro
       pro qm statt bisher 13 Euro zahlen sollte. Eine „Wuchermiete“, die laut den
       Mieter*innen auf die „Entmietung des Objekts“ zielt und die, wenn
       überhaupt, „durch Venture Capital finanzierte Start-ups“ finanzieren
       können.
       
       ## Spur nach Schweden
       
       Dass sich die wahren Profiteure der Gesellschaft, so gut es geht, zu
       verstecken suchen, ist da nur folgerichtig. Recherchen, angestoßen von der
       Mietenexpertin der Linken, Gaby Gottwald und weitergeführt von Christoph
       Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit, haben eine konkrete Spur
       offengelegt. Demnach gehört der Fonds mit hoher Wahrscheinlichkeit Erben
       des schwedischen Tetra-Pak-Gründers und Multimilliardärs Ruben Rausing.
       Trautvetter war im Transparenzregister auf die Namen von drei
       Liechtensteiner Anwälten gestoßen, die dort als wirtschaftlich Berechtigte
       geführt werden, aber tatsächlich nur als Treuhänder fungieren.
       
       Die drei Anwälte fanden sich im dänischen Transparenzregister wieder, und
       zwar bei einem Agrokonzern einer Rausing-Enkelin, einer Londoner
       Milliardärin. Auch eine Schwester von ihr kommt als Anteilshalterin der
       Fondsgesellschaft infrage. Gottwald hat die Mitglieder der Familie Rausing
       persönlich angeschrieben. Erst als über einen Mittelsmann des Buchladens
       ein persönlicher Kontakt hergestellt war, erhielt sie Antwort. „Die haben
       reagiert, der Fonds und seine Manager sind ihnen bekannt“, sagt Gottwald:
       „Aber bislang wurde keine Abhilfe geschaffen.“ Auch wenn es keinen
       schriftlichen Beleg über eine Beteiligung einzelner Familienmitglieder an
       dem Fonds gibt, ist Gottwald sich sicher, an der richtigen Adresse zu sein.
       „Ich habe die Erwartung, dass die Eigentümerin sich einschaltet und konkret
       interveniert, damit dieser Buchladen nicht schließen muss.“
       
       Diese Erwartung hat auch die [4][Initiative Bizim Kiez], die am Mittwoch ab
       18.30 Uhr vor dem Haus eine Kampagne zur Rettung des Buchladens und der
       anderen Mieter startet, sagt Initiativensprecher Philipp Vergin. Wie vor
       fünf Jahren, als es um den Erhalt des Gemüseladens Bizim Bakal ging, soll
       es regelmäßige Kundgebungen geben. Unter dem Motto „Volle Breitseite für
       die Oranienstraße 25“ soll ein Buch in A1-Format mit Beiträgen
       solidarischer Nachbar*innen angelegt werden. Eingeladen sind außerdem
       Verlage und Autor*innen. Den Anfang macht am Mittwoch Raul Zelik, der sein
       neues Buch „Wir Untoten des Kapitals“ präsentieren wird. „Wir wollen so
       viel öffentlichen Druck aufbauen, dass die Eigentümer einlenken“, sagt
       Vergin.
       
       24 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Gentrifizierung-in-Berlin/!5393575
 (DIR) [2] /Kauf-der-Lause-10/11-in-Kreuzberg/!5685034
 (DIR) [3] /Mietendeckel-in-Berlin/!5631857
 (DIR) [4] https://www.bizim-kiez.de/blog/2020/06/18/pressemitteilung-kisch-co-volle-breitseite/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erik Peter
 (DIR) Susanne Memarnia
       
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