# taz.de -- Bürgergremium in Frankreich: Freiheit, Gleichheit, Klimaschutz
       
       > Frankreich lässt 150 Bürger*innen Reformen erarbeiten. Heraus kommt ein
       > radikales Ökoprogramm inklusive Biogutscheine und Fahrverbote.
       
 (IMG) Bild: Die Idee mit der 28-Stunden-Woche (mehr Zeit im Café!) ist leider durchgefallen
       
       In Frankreich sorgen konkrete Vorschläge zum Klimaschutz aus der
       Bevölkerung für politischen Wirbel. Bei Umweltpolitikern und linken
       Organisationen fanden die teilweise drastischen Vorstellungen am Wochenende
       Zustimmung: Jean-Luc-Mélenchon von der Partei La France insoumise bedauerte
       lediglich, dass in diesem Arbeitsprogramm nichts zum Ausstieg aus der
       Kernenergie gesagt wird.
       
       Die Rechte dagegen reagiert mit Entrüstung und Ablehnung. Der Parteichef
       der konservativen Républicains, Christian Jacob, sieht in den Vorschlägen
       das Exempel einer „Strafökologie“. Die Rechtsextreme Marine Le Pen spricht
       von „realitätsfremden Vorschlägen, der eine verrückter als der andere“.
       
       Seit neun Monaten haben sich 150 Bürgerinnen und Bürger im Auftrag von
       Staatspräsident Emmanuel Macron mit der Frage beschäftigt, wie Frankreich
       die Klimaziele erreichen könnte. Die Mitglieder dieses „Bürgerkonvents für
       das Klima“ waren unter Millionen von Wahlberechtigten ausgelost worden. Am
       Sonntag präsentierten die 150 LaienberaterInnen offiziell ihre 150
       Vorschläge aus den fünf Arbeitsgruppen Wohnen, Konsum, Verkehr, Ernährung
       und Produzieren.
       
       Die BürgerInnen fordern vor allem mehr Beteiligung, die Präsident Macron
       immer versprochen hatte: Arten-, Klima- und Umweltschutz sollten in der
       Verfassung verankert werden. Dazu braucht es eine Volksabstimmung. Im
       Bereich der Energiewende soll nach den Vorschlägen die Gebäudesanierung für
       die privaten und öffentlichen Eigentümer bis 2040 obligat werden. Dafür
       gäbe es Subventionen, bei Unterlassung aber würden Bußen drohen. Die
       Heizung von Terrassen der Restaurants und Cafés und die nächtliche
       Innenbeleuchtung der Geschäfte sollte verboten werden.
       
       ## Werbeverbot für Benzinfresser
       
       Die Konsumgewohnheiten müssten sich ändern, heißt es:
       Selbstbedienungsrestaurants und Kantinen sollten täglich mindestens ein
       vegetarisches Gericht anbieten. Damit auch Leute mit wenig Kaufkraft lokal
       produzierte Bioprodukte essen, sollten sie Gutscheine bekommen, finanziert
       durch Abgaben von 81,5 Prozent auf industrielle Nahrungsmittel.
       
       Glasflaschen sollten wieder mit Pfand belegt werden, ab 2023 müssten auch
       die in Frankreich verkauften Industrieprodukte reparierbar sein und müsse
       das Plastikrecycling obligatorisch werden. Werbung für Produkte und
       Dienstleistungen mit besonders hoher CO2-Bilanz solle pauschal untersagt
       werden. Das soll auch für Pkws gelten, die die Norm von 95 Gramm pro
       Kilometer überschreiten.
       
       Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß sollen nach diesen Plänen kein Zugang
       mehr zu den Stadtzentren bekommen. Auf den Autobahnen solle das Tempo von
       130 auf 110 km/h gesenkt werden. Im Gegenzug soll der Bahnverkehr mit einem
       Investitionsplan und der Senkung der Mehrwertsteuer auf Tickets stark
       gefördert werden. Inlandsflüge (im europäischen Teil Frankreichs) von
       weniger als vier Stunden Dauer dagegen würden untersagt, wenn eine
       Alternative auf der Schiene existiert.
       
       ## 28-Stunde-Woche fällt durch
       
       Es sollten zudem keine zusätzliche Flughäfen gebaut und bestehende nicht
       ausgebaut werden. Zur Finanzierung dieser Klimapolitik könnten die
       Dividenden von Unternehmen, die jährlich mehr als 10 Millionen Euro an
       ihre Aktionäre ausschütten, mit einer 4-prozentigen Abgabe belastet
       werden.
       
       Die vielleicht spektakulärste Idee ist in der Schlussabstimmung
       durchgefallen: die Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit von 35 auf 28
       Stunden ohne Lohnverlust für die unterste Gehaltsklasse (SMIC). Heftig
       umstritten war und bleibt auch das Tempolimit auf Autobahnen. Gegen diese
       Perspektive hat die Automobillobby bereits eine Petition gestartet.
       
       Nichts zwingt die Staatsführung, diese Ideen umzusetzen. Doch der
       politische Druck ist stark. Denn die Idee dieser „Bürgerkonvention“ kam
       nach den monatelangen Protesten der „Gelbwesten“, die unter anderem die
       Arroganz der Zentralmacht und den Mangel an Demokratie beklagt hatten.
       Präsident Emmanuel Macron will sich erst nächsten Montag zu diesem
       Klimaprogramm äußern. Er hat jedoch angedeutet, dass es eventuell
       Volksabstimmungen über manche Vorschläge geben könnte. Er könnte damit vor
       den Präsidentschaftswahlen von 2022 zeigen, dass er nicht alle seiner
       klimapolitischen Versprechen von 2017 vergessen hat.
       
       22 Jun 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
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