# taz.de -- Krisen in Brasilien: Mit Fake-News gegen die Demokratie
       
       > Präsident Bolsonaro attackiert das Oberste Gericht und ist in eine
       > Kampagne mit Falschinformationen verstrickt. Die Corona-Infektionen
       > steigen rasant.
       
 (IMG) Bild: Grüßt seine polizeilich geschützten Anhänger*innen: Bolsonaro vor dem Präsidentenpalast
       
       SAO PAULO taz | Am Ende der Ansprache wurde Jair Bolsonaro noch einmal
       laut. „Es reicht, verdammte Scheiße“, brüllte der Präsident Brasiliens am
       Donnerstag und erntete bei seinen Unterstützer*innen Beifall, die sich wie
       jeden Tag vor dem Präsidentenpalast versammelt hatten. Am vergangenen
       Mittwoch hatte die Bundespolizei Razzien bei mehreren prominenten
       Verbündeten Bolsonaros durchgeführt, darunter Politiker*innen,
       Journalist*innen und Unternehmer*innen.
       
       Der Vorwurf: Sie sollen hinter Fake-News-Kampagnen stehen. Angeordnet hatte
       die Durchsuchungen Alexandre de Moraes, Richter am obersten Gerichtshof.
       Bolsonaro drohte daraufhin unverhohlen, er werde keine „absurden Befehle“
       mehr befolgen, und so ein Tag werde sich nicht wiederholen. Es war der
       Höhepunkt eines Konfliktes, der sich in den letzten Wochen immer mehr
       zugespitzt hatte.
       
       Gegen das sogenannte Kabinett des Hasses wird schon länger ermittelt. Über
       die sozialen Medien soll die Gruppe – finanziert durch reiche
       Unternehmer*innen – systematisch Fake News und Hetze gegen die
       demokratischen Institutionen in Brasilien verbreiten. Anführen soll sie
       Präsidentenspross Carlos Bolsonaro.
       
       „Der Regierungsapparat wird dazu genutzt, das Internet mit Falschmeldungen
       und Gewaltaufrufen zu fluten“, sagt die Soziologin und Professorin der
       Bundesuniversität von São Paulo, Esther Solano, der taz. „Das ist
       antidemokratisch und kriminell.“
       
       ## Ermittlungen gegen Bolsonaro
       
       Besonders geschmacklos reagierte Bildungsminister Abraham Weintraub, der
       die Razzien mit der Reichspogromnacht verglich. Jüdische Organisationen aus
       der ganzen Welt reagierten empört. Jener Weintraub steht selbst wegen
       antidemokratischer Aussagen im Fokus der Ermittler*innen. Während einer
       Kabinettssitzung polterte er, die „Penner“ des obersten Gerichtshofes müsse
       man ins Gefängnis werfen. Bei der darauf vom Gericht angeordneten
       Vernehmung war er schließlich nicht mehr so gesprächig und schwieg.
       
       Bolsonaro bezeichnete das Kabinett des Hasses als „Erfindung.“ Allerdings:
       Journalist*innen berechneten, dass nach den Razzien die
       Social-Media-Aktivitäten für den Präsidenten um 40 Prozent zurückgingen.
       Laut Richter Moraes könnte die Gruppe sogar wegen Bildung einer kriminellen
       Vereinigung angeklagt werden.
       
       Der oberste Gerichtshof hatte zuletzt zahlreiche Dekrete des Präsidenten
       geblockt, sowie die Nominierung eines Vertrauten Bolsonaros zum Chef der
       Bundespolizei.
       
       Vor zwei Wochen gab ein Richter [1][das Video einer Kabinettssitzung im
       April frei], das beweisen soll, dass Bolsonaro aus politischen Gründen
       Einfluss auf die Bundespolizei nehmen wollte. Der Präsident des obersten
       Gerichtshofes [2][leitete Ermittlungen gegen Bolsonaro ein] und verglich am
       Sonntag die aktuelle Situation in Brasilien sogar mit Nazi-Deutschland.
       
       Auslöser für den Vergleich waren offene Drohungen aus dem Regierungslager
       gegen die demokratischen Institutionen des Landes. Präsident Bolsonaro ließ
       sich am Sonntag erneut auf einem Protest in der Hauptstadt Brasília
       blicken, wo unter anderem für eine Schließung des obersten Gerichtshofes
       demonstriert wurde. Augusto Heleno, Minister für institutionelle
       Sicherheit, drohte mit „unvorhersehbaren Konsequenzen“, sollte das Handy
       des Präsidenten beschlagnahmt werden. Manche in Brasilien fürchten einen
       Militärputsch – auch wenn Heleno das dementierte.
       
       ## Amtsenthebungsverfahren unwahrscheinlich
       
       Die Soziologin Solano hält einen „klassischen Militärputsch“ allerdings für
       unwahrscheinlich. „Aber es ist möglich, dass Bolsonaro die politische
       Instabilität und die Pandemie ausnutzt, um die Militarisierung
       voranzutreiben und eine vermeintliche Ordnung durch Gewalt
       wiederherzustellen.“
       
       Am Sonntag stellten sich in São Paulo Hunderte Fußballfans einem Protest
       von Bolsonaro-Anhänger*innen entgegen. Die Proteste gipfelten in
       Straßenschlachten mit der Polizei. Es waren die ersten Demonstrationen
       gegen die Regierung seit Langem in Brasilien.
       
       Ein Großteil der Bevölkerung sieht die antidemokratischen Drohungen aus dem
       Regierungslager kritisch. Doch die aktuellen Konflikte bestätigen das
       Narrativ vieler Bolsonaro-Fans. Die Justiz, der Kongress und [3][die
       Medien] hätten sich gegen den Präsidenten verschworen, heißt es.
       
       Durch seine stabile und überaus aktive Basis ist ein
       Amtsenthebungsverfahren gegen Bolsonaro – trotz zahlreicher Straftaten –
       unwahrscheinlich. Da das Kabinett des Hasses bereits im Wahlkampf
       systematisch Falschmeldungen verbreitete, prüft eine Wahlgericht die
       Möglichkeit, die Wahl von 2018 zu annullieren. Doch auch dies halten
       Expert*innen für unwahrscheinlich.
       
       So steuert Brasilien auf eine gefährliche Pattsituation und eine schwere
       institutionelle Krise zu – zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Die Zahl an
       Corona-Infektionen klettert weiter dramatisch in die Höhe, das Land
       verzeichnet mittlerweile die zweitmeisten Infizierten weltweit. [4][Zwei
       Gesundheitsminister] mussten bereits während der Pandemie zurücktreten. Der
       Interimsminister ist ein General und hat neun weitere Militärs eingestellt.
       Was sie verbindet: Niemand hat Erfahrung im Gesundheitsbereich.
       
       1 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=nfgv7DLdCqA
 (DIR) [2] /Bolsonaro-Skandalvideo-in-Brasilien-freigegeben/!5687602
 (DIR) [3] /Pressefreiheit-in-Brasilien-und-den-USA/!5681225
 (DIR) [4] /Coronakrise-in-Brasilien/!5683829
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Niklas Franzen
       
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