# taz.de -- Die Wahrheit: Mit Mutti beim Hosenkauf
       
       > Konsumieren, konsumieren, konsumieren ist erste Bürgerpflicht – wenn es
       > nach dem Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung geht.
       
 (IMG) Bild: Schnell zum Shopping – die Preise purzeln.
       
       „Ich kenne keine Deutschen mehr, ich kenne nur noch Käufer“, paraphrasiert
       Vizekanzler Olaf Scholz den Journalisten in die Aufnahmegeräte. Breitbeinig
       stiefelt der Superminister für Finanzwumms durch die Auslagen eines
       hochdefizitären Kaufhauses in Zörba.
       
       In dieser altindustriell geprägten Kleinstadt in Sachsen-Anhalt – bis zur
       Wende Produktionsstandort für Kunstfasermode aus Pechblende – ist die
       Kaufzurückhaltung auf dem bundesweit höchsten Stand. Das haben die
       Konsumexperten der Bundesregierung herausgefunden. Um dies zu ändern, ist
       das gesamte Kabinett samt Pressetross aus Berlin in die ostdeutsche Provinz
       gereist. Besonders die Korrespondenten aus dem Westen können ihren Ekel
       kaum verbergen, doch seit Corona dürfen sie ungestraft Atemschutzmasken
       gegen den Zonenmuff tragen.
       
       Politiker können sich solche Empfindlichkeiten nicht leisten: Der als
       penibel geltende Wirtschaftsminister Peter Altmaier richtet einen Stapel
       Herrenfreizeithemden rechtwinklig zur Verkaufstischkante aus, während der
       Verkehrsminister Bobby Cars gegen die Wand fährt, um wenigstens von der
       Abwrackprämie für Spielzeugautos zu profitieren. Julia Klöckner flicht
       Wurstzöpfe für die Fleischtheke, und sogar die Kanzlerin hat sich Zeit
       genommen, die Garnrollen in der Kurzwarenabteilung von ihrer Büroleiterin
       nach Farben sortieren zu lassen. Merkel selbst nutzt die Abgeschiedenheit
       der Mercerien-Etage, um heimlich ihrer Liebe zu Juwel-Zigaretten aus alten
       DDR-Beständen zu frönen, die ihr der Filialleiter eben zugesteckt hat. Die
       Kanzlerin liegt ausgestreckt auf einem Grabbeltisch mit Reißverschlüssen
       und quarzt eine nach der anderen.
       
       „Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen!“, gibt Scholz noch einmal die
       Marschrichtung vor. Der Hanseat hat Gefallen an seiner Redewendung gefallen
       und wiederholt sie fast minütlich, seit seine Regierung das umfangreiche
       Konjunkturpaket geschnürt hat. Besonders die Senkung der Mehrwertsteuer
       soll die Endverbraucher konsumwillig stimmen.
       
       ## Kaufwünsche der Bürger verstärken
       
       „Kaufen ist erste Bürgerpflicht“, redet Konsumkönig Scholz den Untertanen
       ins Gewissen. Doch offenbar vertraut er dem rein rhetorischen Wumms nicht
       ganz. Zu groß ist die Sorge, dass der Steuerverzicht wirkungslos verpuffen
       könnte, weil sich die Menschen aus Angst vor Ansteckung nicht in die Läden
       trauen. Deswegen sollen die Kaufwünsche der Bürger in Zukunft positiv
       verstärkt und ihre Kaufentscheidungen gelenkt werden.
       
       „Während der Krise ist die Einschränkung persönlicher Freiheiten gut
       angenommen worden. Da wird den Bürger etwas Verbraucher-Nudging nicht
       erschrecken. Außerdem ist die Sache harmloser als Punktesammeln“, erklärt
       Verhaltensökonom Tim Oberthaler sein Konjunktur-Konzept „Shoppen mit
       WUMMS“. Das Akronym wurde auf Wunsch des Vizekanzlers gewählt und steht für
       „Wealth Utilizing Mind Marooning Strategies“.
       
       Künftig sollen amtlich bestellte Shopping-Coaches die Verbraucher bei den
       Einkaufstouren begleiten, um sie an die Konsumpflicht fürs Vaterland zu
       erinnern. Im Technikmarkt raten die Coaches routinemäßig zum Kauf des
       nächstgrößeren Bildschirms, werfen im Supermarkt ungefragt Quengelware wie
       Schokoriegel und Überraschungseier in den Einkaufswagen und beantworten die
       Frage an der Fleischtheke „Darf’s auch ein bisschen mehr sein?“ mit: „Ja.
       Runden Sie auf fünf Kilo auf.“
       
       Ferner sind sie angehalten, beim Kleiderkauf haltlose Komplimente zu
       machen. Auch beim Online-Shopping atmen sie dem Kunden ins Genick, dort
       wird der Warenkorb mit Zufallsklicks bereichert. Je nach Gusto stehen dem
       Kunden Shopping-Sherpas in drei Tonarten zur Verfügung. Er kann autoritäre
       („Kauf das, du Sau!“), hedonistische („Gönn dir, Brudi“) oder
       rationalisierende Coaches („Was man bei so einer Familienpackung spart“)
       buchen.
       
       „Bei der Auswahl der Coaches profitieren wir von der derzeitigen
       Freisetzung erfahrener Kräfte aus der Tourismusbranche“, verrät
       Regierungsberater Tim Oberthaler. Wer als Animateur Pauschalurlauber zu
       traumatisierenden Karaokeabenden überredet hat, so das Kalkül des
       Verhaltensökonomen, wird auch Konsumverweigerer in einen Kaufrausch
       quatschen können.
       
       Um die Akzeptanz der Maßnahme in der Bevölkerung zu stärken, hat die
       Regierung heute zum Fototermin ins Zörbaer Kaufhaus gebeten. Das Kabinett
       will in dem moribunden Städtchen ein Zeichen der Hoffnung setzen. Und so
       verdingen sich vor den Augen der Weltpresse die Spitzenpolitiker selbst als
       Shopping-Sherpas. Sogar aus dem krisengeschüttelten Brasilien ist ein
       Fernsehteam angereist.
       
       Als Objekt des konjunkturanhebenden Coachings hat ein Expertengremium den
       34-jährigen Verwaltungsangestellten Bert Zernitz auserkoren. „Der Proband
       ist vollkommen durchschnittlich. Er verfügt kaum über eigene Vorstellungen
       und beugt sich widerspruchslos dem Diktat des Massengeschmacks“, erklärt
       Versuchsleiter Oberthaler.
       
       ## Am Blazerzipfel der Kanzlerin
       
       „Na, dann wollen wir mal was Schönes für Sie aussuchen“, knödelt Merkel in
       ihrem denkmalgeschützten uckermärkischen Zungenschlag und zieht Zernitz
       resolut mit sich. Umgehend schrumpft der Familienvater um etliche
       Kleidergrößen, bis er wie ein unwilliges Kind am apricotfarbenen
       Blazerzipfel der Kanzlerin hängt. Doch noch regt sich im Endverbraucher
       Widerstand, bockig wie ein Teenager weist Zernitz auf einen Ständer mit
       trendigen Herrenjeans.
       
       „Die nicht“, befindet Merkel. „Für die Übergangszeit brauchen Sie etwas
       Vernünftiges.“ Kanzlerin und Kunde einigen sich auf einen Kompromiss. Doch
       als Zernitz in karierter Freizeithose vor dem Spiegel steht, schaltet sich
       der europäische Partner ein. „Macron sagt, die sitzt am Hintern nicht“,
       liest Merkel vom Handy ab. Damit ist das Exemplar durchgefallen, und die
       Presse hat ihre Schlagzeile. Zernitz’ Widerworte verschluckt sein
       Mundschutz.
       
       Eine Bundfaltenhose aus mausgrauem Popelinestoff hat es der Kanzlerin
       angetan. Eine Verkäuferin erbietet sich, im Lager nach der passenden Größe
       zu fahnden. „Da wächst er noch rein“, wendet Merkel ein, die Journalisten
       notieren das. „Außerdem ist er um die Mitte recht füllig.“ Zernitz rollt
       mit den Augen, doch der Regierungsmacht ist er nicht gewachsen. Er fügt
       sich in sein Schicksal und verschwindet samt Popelinehose in der
       Umkleidekabine. Kurze Zeit später steht Zernitz wieder vor den prüfenden
       Augen von Kabinett und Journaille. Die Hosenbeine werfen groteske Falten,
       untenrum sieht der Verwaltungsangestellte aus wie ein ausgeleierter
       Elefant.
       
       „Die steht Ihnen ganz ausgezeichnet“, lobt Angela Merkel, als wäre sie ein
       professioneller Shopping-Sherpa. Wie benommen watschelt Bert Zernitz zur
       Kasse und kurbelt die Konjunktur mit 79,99 Euro an. Dann gibt er dem
       brasilianischen Fernsehen ein Interview. Dem Vernehmen nach bittet er um
       Asyl in der Coronahölle.
       
       8 Jun 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Bartel
       
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