# taz.de -- Medikament gegen das Coronavirus: Kein Wunder, aber ein Mittel
       
       > Remdesivir soll als Mittel gegen Covid-19 bald vorläufig zugelassen
       > werden. Meldungen, es rette Menschenleben, sind verfrüht, zeigen
       > taz-Recherchen.
       
 (IMG) Bild: Wurde in Prag mit dem Medikament Remdesivir behandelt: der Covid-19-Patient Robert Markovic
       
       Es war eine große Hoffnung im Kampf gegen das neue Coronavirus, als am 29.
       April das Nationale Institut für Allergien und Infektionskrankheiten
       (NIAID) der USA [1][verkündete]: Der Wirkstoff Remdesivir verkürzt die
       Dauer der Erkrankung Covid-19, die das Virus Sars-Cov-2 verursacht, um vier
       auf 11 Tage.
       
       Und nicht nur das: Auch die Sterblichkeit von Patienten sinke, um ungefähr
       ein Viertel. Sollte also das vom US-Pharmaunternehmen Gilead ursprünglich
       gegen Ebola entwickelte Remdesivir das Mittel sein, das endlich gegen
       Corona hilft? Der Gamechanger im Kampf gegen die Pandemie? Keine Impfung,
       aber eine Therapie?
       
       Präsident Donald Trump drängte auf eine Notfallzulassung, die auch einige
       Tage später in den USA folgte, kurz darauf zog Japan nach. Anthony Fauci,
       Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten,
       Präsidentenberater und mittlerweile die rationale Stimme in den USA im
       Kampf gegen die Pandemie, verwies allerdings darauf, dass die gesunkene
       Sterberate statistisch noch nicht signifikant sei. Genau genommen lag die
       Wahrscheinlichkeit, dass die höhere Zahl an Überlebenden nur Zufall war,
       bei 5,9 Prozent. Ab fünf Prozent gilt die Wirksamkeit eines Medikament als
       erwiesen.
       
       taz-Recherchen zeigen nun, dass es mit den vorläufigen Ergebnissen der
       Studie ein zweites Problem gibt: Die Daten zur Sterblichkeit haben nicht
       nur die statistische Signifikanz verpasst, sie sind auch schlicht nicht
       vollständig. Weil „eine signifikante Anzahl der Patienten noch nicht Tag 28
       erreicht hatte, als die vorläufige Analyse erstellt worden ist“, wie die
       Europäische Arzneimittel-Agentur EMA auf taz-Anfrage mitteilte. Sprich,
       viele Patienten der Studie waren noch gar nicht zu Ende behandelt, als die
       US-Behörden verkündeten, Remdesivir rette Menschenleben. Auch eine
       [2][Studie aus Wuhan in China] kam zu dem Schluss, Remdesivir helfe nicht,
       die Sterblichkeit zu senken – sie galt aber als nicht aussagekräftig, weil
       sie wegen Patientenmangel abgebrochen werden musste.
       
       ## Es gibt ein Medikament. Nebenwirkungen? Vertretbar.
       
       Die besagte internationale Doppelblindstudie unter US-Führung startete am
       21. Februar zunächst in einer Klinik in den USA. Später beteiligten sich
       weltweit über 60 Kliniken mit 1.063 Patient*innen. Behandelt worden sind
       Erkrankte mit verschiedenen Verläufen. Von leichten bis zu solchen, die
       bereits künstlich beatmet werden mussten – von denen in der Regel die
       Hälfte stirbt, wie die EMA schreibt. Finanziert hat das alles das
       US-Gesundheitsministerium, nicht der Hersteller. Doppelblind heißt, dass
       weder die Patient*innen noch die behandelnde Ärzte wissen, wer das
       Medikament und wer ein Placebo verabreicht bekommt.
       
       Noch ist es gut möglich, dass die endgültige Auswertung der Studie auch
       bestätigt, dass Remdesivir tatsächlich Menschenleben rettet. In den
       kommenden Tagen sollen die Ergebnisse veröffentlicht werden. Am Montag
       dieser Woche löcherten die Parlamentarier des Gesundheitsausschusses im
       EU-Parlament den Direktor der EMA, Guido Rasi, zu möglichen Impfstoffen
       gegen Sars-Cov-2 und zu Medikamenten gegen die Krankheit Covid-19. Auf eine
       Frage zu Remdesivir [3][sprach Rasi in seine Webcam]: „Eine bedingte
       Zulassung könnte in den nächsten Tagen möglich sein.“ Dann wäre es amtlich:
       Es gibt ein Medikament gegen das Virus. Nebenwirkungen: Vertretbar.
       Vermutlich. Bei einigen Studienteilnehmern sind Leberschäden aufgetreten,
       selten auch schwere.
       
       Rasis Satz ging durch die Presse, allerdings oft ohne einen wichtigen
       Zusatz: Die Aussage gelte vorbehaltlich.
       
       Weil ganz Europa sehnsüchtig nach Erfolgen im Kampf gegen Corona an der
       Medizinfront wartet, hat die EMA ein vor vier Jahren eingeführtes
       Notfallprogramm aktiviert: Normalerweise müssen alle Studien zur Zulassung
       eines Medikaments vor einem Prüfverfahren durch die EMA eingereicht werden,
       das dauert. Bei Medikamenten gegen das neue Coronavirus soll es nun
       deutlich schneller gehen: Da sondiert eine Art ständiger Expertenausschuss
       die Lage bei aussichtsreichen Mitteln permanent. Sobald vorläufige Daten
       ergeben, dass eine Zulassung medizinisch Sinn macht, also mehr Nutzen als
       Schaden bringt, wird sie auf Antrag der herstellenden Firma vorläufig
       erteilt. Ändert sich die Datenlage, kann sie auch wieder entzogen werden.
       In Sachen Remdesivir postet die EMA die Updates, sobald sie vorliegen – und
       hat [4][in ihrem jüngsten] vom 11. Mai Remdesvir empfohlen, zum Einsatz bei
       Covid-19-Patienten mit schwerem Verlauf.
       
       ## Man möchte keine falschen Hoffnungen wecken
       
       Jedoch sagte EMA-Chef Rasi vor dem EU-Parlament auch in Bezug auf
       Impfstoffe immer wieder, dass er keine Hoffnungen wecken wolle, die später
       enttäuscht würden. Auch Hersteller Gilead, der in eigenen Studien eine
       Wirksamkeit des Medikaments gezeigt hat, betreibt ein eher zurückhaltendes
       Erwartungsmanagement: „Bitte verstehen Sie unsere zurückhaltende
       Kommunikation: Bei Remdesivir handelt es sich um eine Substanz in der
       klinischen Prüfung [...] und es wurde noch kein Nachweis für seine
       Wirksamkeit und Sicherheit in irgendeiner Indikation erbracht“, schreibt
       ein Sprecher auf Anfrage.
       
       In Deutschland nahmen drei Klinken an der internationalen Studie unter der
       Leitung von Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln teil. Er geht davon
       aus, dass sich am wesentlichen Ergebnis der Studie nichts mehr ändern
       werde. Die Datenlage, dass Remdesvir helfe, sei Ende April so klar gewesen,
       dass sich die Studienleitung in den USA entschieden habe, die Studie zu
       „entblinden“. Sprich, Patient*innen, die bisher das Placebo erhalten haben,
       sind auf Remdesivir umgestellt worden. Einfach deshalb, weil behandelnden
       Ärzte darum baten; sie wollten nicht Patienten sterben lassen, denen sie
       möglicherweise helfen könnten.
       
       In Deutschland selbst sind im Rahmen der Studie bisher 13 Patient*innen
       behandelt worden, die Ärzte wissen bis heute nicht, wer Remdesivir und wer
       das Placebo bekommen hat. Aber die Datenlage sei eindeutig, sagt
       Fätkenheuer. „Ich warne vor Übertreibungen in beide Richtungen: Remdesivir
       ist auf kein Fall ein Wundermittel. Aber es wirkt definitiv gegen das neue
       Coronavirus“, sagt er der taz. Möglicherweise würden sich künftig auch noch
       bessere Ergebnisse erzielen lassen: So hätten an der Studie auch bereits
       schwerst Erkrankte teilgenommen, bei denen Remdesivir vermutlich zu spät
       kam. Hätten sie das Mittel früher bekommen, hätten sie vielleicht überlebt.
       
       Ähnlich beschreibt es Peter Liese, CDU-Politiker, selbst Arzt und
       gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament, nach
       Gesprächen mit der EMA und Virologen: „Man kann Remdesivir nicht jedem
       geben, der hustet“, sagt er. Es gebe wahrscheinlich nur ein kleines
       Zeitfenster, in dem der Wirkstoff helfe. Dann, wenn ein schwerer Verlauf
       von Covid-19 absehbar ist und noch genug Virus im Körper sei. Zu einem
       bestimmten Zeitpunkt sei die Viruslast geringer, aber die Krankheit gehe in
       ein tödliches Stadium. Dann helfe wohl auch Remdesivir nicht.
       
       ## Das Mittel könnte zum Politikum werden
       
       Eine Hilfe scheint Remdesivir also zu sein – und so könnte das Mittel zu
       einem Politikum werden. Weil es schlicht noch nicht ausreichend verfügbar
       ist. Bis Ende des Jahres könne man eine Million Behandlungen sicherstellen,
       schreibt Gilead, weil möglicherweise geringere Dosen bereits helfen,
       eventuell auch mehr. Man sei dabei, ein internationales Konsortium
       aufzubauen, um die Produktion zu steigern, so die Firma auf Anfrage.
       
       [5][Die BBC berichtet], mit fünf Generika-Herstellern in Indien und
       Pakistan seien bereits Vereinbarungen getroffen worden, um das Medikament
       gebührenfrei herzustellen. Ob in Deutschland oder Europa produziert werden
       soll, dazu macht die Firma keine Angaben – das Bundesgesundheitsministerium
       teilte mit, man stehe mit Gilead und Frankreich in Kontakt, um die
       Produktion zu erhöhen.
       
       CDU-Politiker Liese sagt nach Gesprächen mit der Firma, dort fürchte man,
       dass Donald Trump einen Exportstopp verhängen könnte – was aber unklug
       wäre: [6][Laut dem Fachmagazin Statnews] ist die Produktion eines
       Medikaments wie Remdesviri alles andere als trivial und vor allem von
       Zulieferern aus China und anderen Staaten abhängig.
       
       Doch auch ohne Trump-Spinnereien ist völlig unklar, wie das Medikament
       verteilt werden soll, wenn vor allem in den nächsten Monaten die Nachfrage
       die Produktion um ein Vielfaches übersteigen könnte. Auch der Preis ist
       offen: Den kann das Unternehmen in Deutschland im ersten Jahr frei
       festlegen, erst dann wird mit den Kassen verhandelt. Und möglicherweise
       wird das Medikament nur ein Jahr lang benötigt, weil es danach einen
       Impfstoff gegen Sars-Cov-2 geben könnte.
       
       ## Keinen Einfluss auf die Debatte um Lockerungen
       
       Als Gilead 2014 das Medikament Sovaldi auf den Markt brachte, das Hepatitis
       C heilen kann, war es zwischenzeitlich [7][das teuerste Medikament der
       Welt]. Eine Therapie kostete bis zu 120.000 Euro. Erst nach einem
       Untersuchungsausschuss in den USA und intensiven Verhandlungen in
       Deutschland senkte Gilead die Preise. Damals habe sich das Unternehmen sehr
       unbeliebt gemacht. „Ich habe den Unternehmen klar signalisiert: Wenn ihr
       dauerhaft hier verkaufen und forschen wollt, dann müsst ihr uns in der
       Krise auch entgegenkommen“, sagt Liese heute. Er bringt Zwangslizenzen ins
       Spiel, die EU-Staaten koordiniert auf nationaler Ebene einführen könnten.
       Dann müsse Gilead anderen Herstellern Lizenzen erteilen – und der Staat
       bestimmt den Preis.
       
       Selbst wenn Remdesivir in den nächsten Tagen in der EU vorläufig zugelassen
       wird: Auf die aktuellen Debatte um Lockerungen dürfte es keinen Einfluss
       haben. „Remdesivir ist kein Argument gegen die immer noch nötige
       Abstandsregeln im öffentlichen Lebens“, sagt Liese. Das Gegenteil sei der
       Fall: Der Wirkstoff sei ein Baustein, der dabei helfe, Menschenleben zu
       retten.
       
       Auch der Einsatz anderer Medikamente, um Symptome von Covid-19 einzudämmen,
       werde immer effektiver. Wenn eher im Dezember als im September genug
       Remdesivir zur Verfügung stehe, dann sei das ein Argument, die
       Einschränkungen so lange fortzuführen.
       
       Der Mediziner Fätkenheuer sieht ebenfalls viele Fragen rund um Remdesivir
       offen. Es sei noch deutlich zu früh einzuschätzen, ob das Mittel die
       öffentliche Situation beeinflusse. „Was wir aber sicher sagen können: Wir
       haben jetzt zum ersten Mal ein Medikament mit nachgewiesener Wirksamkeit.“
       
       21 May 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.niaid.nih.gov/news-events/nih-clinical-trial-shows-remdesivir-accelerates-recovery-advanced-covid-19
 (DIR) [2] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)31022-9/fulltext
 (DIR) [3] https://multimedia.europarl.europa.eu/de/envi-committee-meeting_20200518-0930-COMMITTEE-ENVI_vd
 (DIR) [4] https://www.ema.europa.eu/en/documents/other/summary-compassionate-use-remdesivir-gilead_en.pdf
 (DIR) [5] https://www.bbc.com/news/world-asia-india-52659052
 (DIR) [6] https://www.statnews.com/2020/04/30/gileads-remdesivir-has-seen-success-against-the-coronavirus-now-the-company-has-to-make-enough-to-supply-the-world/
 (DIR) [7] /Preis-der-Hepatitis-C-Medizin-Sovaldi/!5020435
       
       ## AUTOREN
       
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