# taz.de -- Umweltschutz in der Wende-Ära: Der Immer-Grüne
       
       > Ernst Paul Dörfler beobachtet Bienen und Biber. Parteipolitik hat er
       > abgehakt. Besuch beim einstigen Chef des Umweltausschusses der
       > DDR-Volkskammer.
       
 (IMG) Bild: Ernst Paul Dörfler auf den Ästen eines umgeknickten Baumes in den Elbauen
       
       Steckby taz | Zur Begrüßung schwirren zwei pechschwarze Insekten vorbei.
       „Das sind Holzbienen“, sagt Ernst Paul Dörfler, „Einwanderer aus dem Süden.
       Auch die hier sind alle Klimaflüchtlinge.“ Er deutet auf Töpfe.
       Süßkartoffel, Basilikum, Paprika, Melonen, Auberginen lugen hervor. Denen
       war es vor nicht allzu langer Zeit hier noch zu kalt. Nicht nur das Klima,
       die ganze Welt hat sich geändert, seitdem Dörfler hier vor 35 Jahren mit
       seiner Familie diesen kleinen Hof im Dorf Steckby an der Elbe zwischen
       Dessau und Magdeburg bezogen hat.
       
       Anderes wiederum änderte sich nicht. „Hier, alles noch aktuell!“ Im Garten
       wirft Dörfler ein paar Schreibmaschinenseiten auf den Tisch, sie lesen sich
       wie ein Maßnahmenkatalog mit Forderungen wie „minimale Versiegelung von
       Bodenoberflächen“, „Abbau von Lärmbelastungen“, „Orientierung auf
       umweltschonende Verkehrsmittel“. Dabei sind die Blätter das
       Grundsatzprogramm der Grünen Partei in der DDR von 1990. Aus Träumen waren
       über Nacht politische Forderungen geworden und Dörfler gehörte zu denen,
       die sie umsetzen wollten.
       
       Vom 300-Einwohner-Dorf Steckby ist das Ehepaar Dörfler mit seinem Trabi am
       5. November 1989 nach Ostberlin gefahren, um eine grüne Partei zu gründen.
       „Doch die Streitfrage lautete zunächst: Wollen wir überhaupt eine Partei?“,
       erinnert sich Dörfler. „Mir war klar, wenn wir eine ökologische Politik
       machen wollen, muss man so schnell wie möglich eine Partei gründen.“ Andere
       waren strikt dagegen. Die SED als „herrschende Partei“ war weg und jetzt
       sollte eine neue gegründet werden? Die Versammlung blieb gespalten, der
       eine Teil gründete die Grüne Partei, der andere das Netzwerk Grüne Liga.
       Dörflers Frau Marianne wurde Mitglied im Sprecherrat der neuen Partei.
       
       Ernst Paul Dörfler wurde im 18. März 1990 in die Volkskammer gewählt und
       als Grüner im April zum Vorsitzenden des Umweltausschusses bestimmt. Warum
       Dörfler? „Es gab ja kaum jemand, der sich mit Umweltthemen auskannte“, sagt
       er, „die Umweltdaten galten als Staatsgeheimnis.“ Die Fraktion Bündnis
       90/Grüne sollte den Vorsitzenden des Umweltausschusses stellen. In der
       zwanzigköpfigen Gruppe gab es viele Kämpferinnen und Kämpfer für
       Bürgerrechte, Theologen, unter ihnen Pfarrer Gauck, aber einen
       Umweltexperten?
       
       Dörfler hält ein Buch in der Hand. „Zurück zur Natur?“, Autoren: Marianne
       und Ernst Dörfler. Auf mehr als 200 Seiten hatten da zwei Engagierte
       industrielle Landwirtschaft, Artensterben, Wasservergeudung, fossile
       Brennstoffe, Fleischkonsum und Umweltverschmutzung angeprangert, mit Fotos,
       Statistiken, Grafiken angereichert und auf jeder Seite subtil eine
       Umweltpolitik gefordert, die ihren Namen verdient – in einem Werk aus einem
       staatlichen Verlag, 1986 in der DDR. Die 15.000 Exemplare waren binnen
       dreier Tage weg.
       
       Das Autorenpaar Dörfler tauchte für die kleine, meist kirchlich geprägte
       Umweltszene wie aus dem Nichts auf. Jenseits von Umweltgottesdiensten und
       den Aktionen für „die Bewahrung der Schöpfung“ waren da plötzlich zwei
       freiberufliche Wissenschaftler, die als promovierte Chemiker ihre
       staatliche Anstellung gekündigt hatten und deren Lesungen regelmäßig bis
       auf den letzten Platz ausgebucht waren. „Die Dörflers hatten wir nicht auf
       dem Schirm“, sagt Jörn Mothes, damals Umweltschützer und Bürgerrechtler in
       Schwerin. Mothes war 1979 Mitorganisator einer ersten Baumpflanzaktion in
       der DDR, organisierte kirchliche Umweltseminare. Mit dem Wort „Sensation“
       ist das Buch der beiden schon gut getroffen, erinnert sich Mothes, heute
       Referatsleiter in der Staatskanzlei Schwerin. Es war auch deswegen eine
       Sensation, da die DDR zur selben Zeit den Zugang zu Umweltinformationen
       noch stärker einschränkte. Andererseits gab es eben auch umweltpolitische
       Nischen. Das Dörfler-Buch gehörte dazu.
       
       Ein Tandem, wie sie waren, hätten die Dörflers eigentlich auch gemeinsam
       den Ausschuss leiten müssen. Ehefrau Marianne blieb aber bei den zwei
       Kindern. Ihr Mann hingegen war plötzlich Berufspolitiker. „Ich habe im
       Umweltausschuss so gut wie nichts durchgekriegt“, kommentiert Dörfler. Es
       klingt gar nicht enttäuscht.
       
       ## Gute Ideen – aber keine Mehrheit
       
       Wenn man mit Akteuren vom Herbst 89 redet, kommt oft der Moment, wo
       Bitterkeit aufsteigt. Nach Wochen des politischen Rausches folgten Jahre
       der Bedeutungslosigkeit. Bei Dörfler ist nichts davon zu spüren. Vielleicht
       liegt das daran, dass er in der Naturwissenschaft zu Hause ist. Ganz
       bestimmt aber daran, dass er bald wieder vom politischen Karussell abstieg,
       kaum dass er in Bonn angekommen war. Freiwillig, wie Dörfler betont.
       
       „Wir hatten richtig gute Ideen“, schwärmt er noch einmal: Recht auf Arbeit
       und Wohnung, Gleichberechtigung von Mann und Frau, der ökologische Umbau
       der Gesellschaft, eine klimafreundliche Energiepolitik. Aber was will eine
       Partei, die zusammen mit dem Unabhängigen Frauenverband auf kaum 2 Prozent
       kam? Eine 5-Prozent-Hürde gab es nicht. Die Grünen haben gemeinsam mit dem
       Bündnis 90, das 3 Prozent erhielt, eine Fraktion gebildet. Doch wen
       kümmerten ökologischer Fußabdruck und Gleichberechtigung, wenn an jeder
       Ecke schon die D-Mark grüßte? Die „Allianz für Deutschland“, eine Schöpfung
       mit der Ost-CDU als Kern, die die Direktiven Helmut Kohls möglichst schnell
       umsetzen sollte, dominierte den Sommer 1990. „Wir hatten keine Mehrheiten.“
       
       „Da, der Star will endlich wieder seine Jungen füttern.“ Dörfler springt
       auf und zeigt auf einen aufgeregt flatternden Vogel. Zeit für eine
       Wanderung. Dörfler führt aus dem Dorf hinaus. Nach dem Ende der DDR wurde
       der Bundestag um 144 Volkskammer-Abgeordnete erweitert, unter ihnen
       Dörfler. „Ich habe den Rhein kennengelernt und gedacht: So soll die Elbe
       einmal nicht aussehen.“ Der Rhein – eine „Wasserstraße“, technisch
       ausgebaut und nahezu ohne natürliche Strände.
       
       „Achtung, hier ist eine Biberburg!“, ruft Dörfler und kriecht unter einem
       Baum hindurch, der sich der Elbe zuneigt. „Wollen wir den kurzen Weg
       nehmen?“, hatte er gefragt. Leichtsinnig war es schon, sich darauf
       einzulassen. Man muss schon sehr gelenkig sein, um nicht ins Elbwasser zu
       fallen. Wie ein Fakir hingegen biegt sich Dörfler, gerade siebzig geworden,
       durch das Unterholz. Die Biberburg ist ein unscheinbarer Haufen, für
       ahnungslose Augen unsichtbar. „Die Biber leiden“, sagt Dörfler. Ihr Eingang
       liegt nicht mehr unter dem Wasser, schutzlos die Burg, die Biber leichte
       Beute, etwa für die Wölfe, die er neulich am Abend hat heulen hören. Das
       wiederum, sagt er, war ein Erlebnis.
       
       ## „Mein Lebensinhalt – die Elbe“
       
       Nein, die Elbe sieht nicht aus wie der Rhein. Doch sie siecht. Anfang Mai
       führt sie bereits Niedrigwasser. Der Regen fehlt, die Schneeschmelze auch.
       Dabei hat die Bundesrepublik seit 1990 900 Millionen Euro für Häfen und
       Wasserstraße ausgegeben, erzählt Dörfler. Buhnen verengen die Elbe und
       sollen sie schiffbar halten. Zwecklos. Der Fluss gräbt sich immer tiefer
       ein, immer schneller strömt das wenige Wasser dem Meer entgegen. Der Auwald
       ringsum, auf regelmäßige Überschwemmung angewiesen, trocknet aus. „Keine
       Frachtschiffe, keine Kreuzfahrten, hier können nur noch Schlauchboote
       fahren“, sagt Dörfler, er klingt jetzt gar nicht unzufrieden.
       „Fünfundzwanzig Jahre war die Bewahrung der naturnahen Elbe mein
       Hauptlebensinhalt.“ Dörfler blickt in die Ferne. Das Gröbste hat er
       verhindert. Staustufen gibt es keine zwischen Tschechien und Geesthacht.
       
       Den Bundestag hat Dörfler im Dezember 1990 verlassen. Die Sitzungen, der
       Bewegungsmangel – Dörfler schüttelt den Kopf, „das entspricht nicht meiner
       Natur“. Der grüne Berufspolitiker Dörfler, so schnell er geboren wurde, so
       schnell ist er wieder hingeschieden. Geblieben ist ein Naturerklärer im
       geradezu altmodischen Sinn, gelegentlich hebt er den Finger. Aus jener Zeit
       geblieben ist auch das Nationalparkprogramm der DDR, fünf Nationalparks,
       sechs Biosphärenreservate und drei Naturparks, die die DDR-Regierung kurz
       vor dem 3. Oktober 1990 zu Schutzgebieten erklärte, ein Kraftakt, der mit
       bundesdeutschem Recht nie zu stemmen gewesen wäre. Über das „Tafelsilber
       der deutschen Einheit“, so der frühere Bundesumweltminister Töpfer, gab es
       in der Volkskammer noch nicht einmal eine Debatte, so einmütig war die
       Haltung. Jedenfalls kann sich Dörfler nicht daran erinnern.
       
       „Da, ein Mönch.“ Was? „Eine Mönchsgrasmücke.“ Das ganze Gebiet gehört zum
       Biosphärenreservat Mittlere Elbe, ein Stück aus dem „Tafelsilber“, das sich
       durch Sachsen-Anhalt zieht, mittendrin Ernst Paul Dörfler in seinem
       Häuschen, vor dem eine Kastanie steht. Dort setzt Dörfler das fort, was er
       gemeinsam mit seiner Frau begonnen hat. Die Ehe ist geschieden, die zwei
       Kinder sind groß. Marianne Dörfler hat sich dem sozialen Bereich zugewandt.
       Ernst Paul Dörfler schreibt weiter Bücher, dreizehn sind es seit dem
       gemeinsamen „Zurück zur Natur?“.
       
       Sein jüngstes Buch, „Nestwärme“ von 2019, erzählt vom Leben der Vögel. So
       berichtet Dörfler vom Zaunkönig, der vor seinem Weibchen mit einer ganzen
       Reihe von Behausungen protzt. Für Dörfler ist der Winzling mit seinen
       kugelförmigen Nestern so etwas wie der „Immobilienhai“ unter den Vögeln.
       Dörfler kann mit solchen Anekdoten Talkshows unterhalten. Als menschelnd
       wird sein Stil beschrieben und mit einem Schuss Humor. Das Buch hat schon
       vier Auflagen.
       
       Bei all der Unterhaltung gerät Dörflers Herzensanliegen nicht aus dem Blick
       – im Menschen eine fast vergessene Begabung wiederzuerwecken: das Staunen
       über die Natur. Dann können die politischen Forderungen kommen, und die
       haben sich seit 30 Jahren kaum geändert. Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen
       ist Dörfler übrigens noch immer.
       
       27 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Gerlach
       
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