# taz.de -- Buch über Berlin in 1930ern: Lebenswege zum Abgrund
       
       > In biografischen Porträts zeichnet der Germanist Peter Walther die
       > Stimmung in Berlin in Zeiten des politischen Untergangs nach – eine
       > Mahnung.
       
 (IMG) Bild: Der neue Reichskanzler Hitler grüßt am 30. Januar 1933 aus einem Fenster in Berlin heraus
       
       In Spuckweite voneinander entfernt saßen sie im Berliner Zeitungsviertel
       der südlichen Friedrichstadt, Ende der 1920er Jahre: Die Rote Fahne, das
       Zentralorgan der KPD, seit 1926 die Berliner Gauleitung der NSDAP um Joseph
       Goebbels und später auch das Propagandablatt Der Angriff. Die
       Hedemannstraße war eine ideologische Kampfzone, sie wurde zu dem Ort, von
       dem aus Goebbels das bis dato „rote Berlin“ für seine Partei gewinnen
       sollte.
       
       Hier war die Hitze schon zu spüren, von der Peter Walther in „Fieber.
       Universum Berlin 1930–1933“ schreibt. Die steigende Temperatur, das
       Brodeln, das bis zur finalen Kapitulation des Immunsystems führt, bei der
       Machtergreifung durch Adolf Hitler.
       
       Berlin war in den 1920er Jahren eine weltoffene Stadt, ein Zufluchtsort für
       viele. Was hier vibrierte, was diesen Ort besonders machte, dem spüren
       heute Serien wie „Babylon Berlin“ oder der Podcast „1929 – Das Jahr
       Babylon“ nach: Freizügigkeit, Drogen, Nachtleben, Tanz in Gleichzeitigkeit
       mit Straßenkämpfen, politischen Morden, unverbesserlichen Alteliten,
       Aufständen und Umsturzversuchen. Walther, Co-Leiter des Brandenburgischen
       Literaturbüros in Potsdam, löst sich in seinem Buch etwas von dieser
       übergroßen Erzählung der Stadt und steigt in die Details ein.
       
       Im ersten Teil wählt Walther einen biografischen Zugang. Er erzählt den
       Lebenswandel einzelner Figuren, wie zum Beispiel Heinrich Brüning,
       Zentrumspolitiker und Reichskanzler von 1930 bis 1932; Maud von Ossietzky,
       Frauenrechtlerin und Lebensgefährtin des Schriftstellers Carl von
       Ossietzky; Erik Jan Hanussen, eigentlich Hermann Chajm Steinschneider,
       Hellseher, spiritueller NSDAP-Flüsterer und Hitler-Sympathisant oder
       Dorothy Thompson, US-Journalistin, die 1932 Hitler interviewen durfte und
       zu der Einschätzung kam, der Mann sei ein unwichtiger Haufen. Zu viele
       dachten das, auch zu viele konservative Politiker dieser Zeit, die sich
       ganz großmännisch sicher waren, man könne ihn schon einhegen.
       
       ## Fieberschübe
       
       In diese biografischen Stücke zieht Walther die Leser*innen zumeist gut
       rein. Man taucht ein in Lebenswelten und kann nachvollziehen, was die Leute
       dazu bewegt hat zu werden, was sie schließlich wurden. Entlang dieser
       Biografien erzählt Walther auch die politischen Verflechtungen in der
       Weimarer Republik, die Einflüsse von außen und die „Fieberschübe“ der
       1920er Jahre, die Gewalt und die Putsch- und Aufstandsversuche Links- wie
       Rechtsradikaler.
       
       An ein, zwei Stellen wirken die biografischen Erzählungen etwas
       stakkatohaft aneinandergereiht, ist aber vermutlich der Notwendigkeit
       geschuldet, historisch korrekt zu bleiben und den einzelnen Charakteren
       gerecht zu werden, ihnen den nötigen Raum zu geben.
       
       Im zweiten Teil des Buches verdichten sich die Ereignisse, grob eingerahmt
       vom New Yorker Börsencrash 1929 und Hitlers Ermächtigungsgesetz im März
       1933. In dieser Phase überkreuzen sich die Pfade der Figuren lose. Walther
       gelingt es hier, die „großen Männer und Frauen“ mit den Lebenswegen und
       Entscheidungen randständiger Figuren zu verweben.
       
       So tritt auch die Haushälterin der Familie Schleicher auf, die den letzten
       Reichskanzler vor Hitler stellte, Kurt von Schleicher. Ihr Auftritt ist
       allerdings kurz, denn, aus Schwermut für die Welt, in der sie lebt,
       ertränkt sie sich im Heiligen See zu Potsdam.
       
       ## Geschichte wiederholt sich nicht
       
       Dieses Buch weist uns darauf hin, wie extrem wichtig es auch heute ist,
       Faschist*innen und Rechtsextremen genau auf die Finger zu schauen. Die
       Mechanismen, die in „Fieber. Universum Berlin 1930–1933“ politisch und
       gewaltvoll auf der Straße greifen, lassen sich vielleicht nicht 1:1 auf
       heute übertragen, Geschichte wiederholt sich nicht. Aber sie kommt
       modifiziert zurück, manchmal als Wiedergängerin.
       
       Grandios wurden Hitler und seine Truppe teilweise unterschätzt, aus
       Überlegenheitsgefühlen konservativer Politiker*innen, aus der
       Fehleinschätzung internationaler Journalist*innen. Gut, dass sich in
       diesem Land ein Konsens hält, dass die Höckes und Kalbitzes dieser Welt
       beobachtet werden müssen.
       
       23 Apr 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Ebeling
       
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