# taz.de -- Essensversorgung in Corona-Krise: Der Topf ist zu klein
       
       > Viele Schüler haben Hunger. Caterer, die ihnen Essen liefern, erhalten
       > Geld vom Bund, doch der Transport wird nicht bezahlt.
       
 (IMG) Bild: Helfer beim Einpacken: In Wilhelmsburg erhalten 500 Kinder Essen und Hausaufgaben in einer Tüte
       
       Hamburg taz | „Die Reaktionen sind gigantisch“, sagt Marco Reyes Loredo.
       Seit fünf Tagen liefern sein Team und rund 30 Helfer aus dem Wilhelmsburger
       Künstlermilieu Mittagessen an 500 Kinder, verpackt in [1][Gläsern mit
       Deckel], dazu Hausaufgaben vom Lehrer. „Allein die Geste, dass da jemand
       zur Tür kommt und sich kümmert, kommt richtig gut an“, sagt Reyes Loredo.
       Eine Alleinerziehende mit drei Kindern habe gesagt: „Das ist der erste
       Sonnenschein am Tag.“
       
       Als Pilotprojekt hatte die Schulbehörde „Die Gläserei“ am Dienstag
       genehmigt, kurz bevor am Donnerstag Bundesarbeitsminister Hubertus Heil
       (SPD) in Potsdam bei einem vergleichbaren Projekt die Kisten trug und
       [2][grünes Licht für die Verwendung der Bundesmittel] des „Bildungs- und
       Teilhabepakets“ für die Essenslieferung nach Hause gab. Dies hatte der
       CDU-Familienpolitiker Marcus Weinberg gefordert, nachdem in Hamburg eine
       erste Aktion namens „Mittagsrakete“ mit Essen für 2.000 Kinder um Spenden
       betteln musste.
       
       Das Konzept für Wilhelmsburg hat Reyes Loredo von der Kochfirma [3][„Hirn
       und Wanst“] mit dem Diakonie-Träger „Passage“ und der Stadtteilschule
       Wilhelmsburg ausgetüftelt. „Die Helfer kommen nun ganz anders in Kontakt
       zum Stadtteil“, sagt er. „Die Kids freuen sich auch tierisch über die
       Hausaufgaben. Egal wie banal die sind.“ Die Ausfahrer, teils mit Lastenrad
       oder Bollerwagen unterwegs, bekämen auch Schwieriges zu sehen. „Wenn ein
       Kind von der Stadtteilschule die Essenstüte bekommt und vier Geschwister
       stehen daneben und fragen: Was ist mit uns?“ Aber die Menschen lernten sich
       auch kennen. „Jeder erlebt Geschichten“, sagt Reyes Loredo.
       
       Viel Zuspruch von den Familien erhielt auch Jörg Wieckenberg von „Mammas
       Canteen“, der seit dem 2. April mit der [4][„Mittagsrakeke“] im Auftrag
       eines von Richtern gegründeten Vereins [5][täglich Essen in ganz Hamburg
       ausfährt]. „Die Kinder können es nicht fassen, dass jemand an sie denkt“,
       sagt er. Als dieses Projekt startete, erklärte die Sozialbehörde, es könne
       nicht von Bundesmitteln bezahlt werden, weil das Essen nicht in der Schule
       stattfinde. Am Dienstag lobte nun auch Sozialsenatorin Melanie Leonhard
       (SPD) in der Bild die Initiativen und sagte, von jetzt an werde die Stadt
       zahlen. Und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagte im NDR, man sorge
       dafür, dass alle Kinder ein kostenloses Mittagsessen bekommen.
       
       ## Essen auf Rädern muss schnell sein
       
       Doch in ganz Hamburg sind über 70.000 Kinder so arm, dass sie Anspruch auf
       eine Mahlzeit haben. Für eine so große Anzahl sei „Essen auf Rädern“ keine
       Lösung – davon ist Wieckenberg überzeugt. Allein für die 40 Touren der
       „Mittagsrakete“ seien 60 Leute nötig. Denn das Essen muss schnell und bei
       gleicher Temperatur geliefert werden, um die Hygienestandards zu halten.
       Hubertus Heil schrieb indes an die Länder, für die Auslieferung werde kein
       Extrageld bewilligt.
       
       Die „Mittagsrakete“ kündigte am Mittwoch auf ihrer Homepage an, Anfang Mai,
       wenn die Schulen stufenweise öffnen, die Lieferungen einzustellen. Und auch
       Gudrun Stefaniak vom Träger „Passage“ sagt: „Die Gläserei ist toll, aber
       sie ist für die Belieferung von Schülern nur kurzfristig und mit viel
       Charity eine Lösung.“ „Passage“ und „Mammas Canteen“ sind Mitglieder in der
       Initiative Hamburger Caterer. Die schrieb nun einen Brief an den
       Bürgermeister: Die Caterer seien überzeugt, dass der Gesamtzahl der Kinder
       „nur sinnvoll durch eine Essensausgabe an den Stammschulen“ geholfen werde.
       
       Eine Verteilung durch Externe sei ergänzend denkbar, müsse aber
       Hygienestandards genügen. Und weil die Ausgabe kleiner Mengen sich nicht
       rechne, sei für jede Schule eine Zahlung von 100 Euro am Tag nötig. Diese
       und weitere Hilfen bräuchten die Caterer, die wegen Corona [6][in einer
       Existenzkrise seien].
       
       Ab dem 4. Mai sollen einige Jahrgänge wieder zur Schule gehen. Die Caterer
       schlagen vor, zeitversetzt auch Essen an die übrigen Kinder auszugeben, an
       Einzeltischen oder als Mitgabe in Behältern. „Wir denken, es tut den
       Kindern gut, mal vor die Tür zu kommen“, sagt Stefaniak.
       
       Schulbehörde und Sozialbehörde hatten die Frage, wie künftig das Essen für
       die Kinder organisiert wird, bis Redaktionsschluss der taz-Printausgabe
       zunächst nicht beantwortet. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) teilte
       nach Erscheinen dieses Berichts jedoch am Freitagmorgen mit, dass es an
       Hamburger Kitas spätestens ab dem 15. Mai kostenloses Essen für alle Kinder
       geben soll, welches die Eltern abholen können. Die Kosten würden aus dem
       Hamburger Gutscheinsystem übernommen. Näheres werde noch bekanntgegeben.
       
       Anmerkung der Redaktion: Der Bericht wurde nach Erscheinen um die
       Ankündigung der Sozialbehörde aktualisiert.
       
       24 Apr 2020
       
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