# taz.de -- Morde in Kolumbien: Die tödliche Kraft des Virus
       
       > Die Anzahl von Anschlägen steigt in Kolumbien in Corona-Zeiten noch
       > stärker an. Die Opfer sind schutzlos und in der Quarantäne ein leichtes
       > Ziel.
       
 (IMG) Bild: Ein kolumbianischer Soldat vor Kokapflanzen in der Region Vichada
       
       Bogotá taz | Der Bauer Guillermo Pérez lebt seit Jahren wie ein Nomade. Was
       er sät, kann er nicht ernten. Spätestens nach einem Monat muss er umziehen
       – aus Sicherheitsgründen. Die Morddrohungen kommen auf Papier, per Telefon
       oder von bewaffneten Männern auf Motorrädern. Und das alles, weil er sich
       in der kolumbianischen Region Cesar dafür einsetzt, dass Vertriebene ihr
       Land zurückbekommen. Dieses gehört jetzt meistens den Bergbauriesen
       Drummond und Prodeco.
       
       Pérez hat einen Großteil der Kindheit seiner Töchter verpasst, seine Ehe
       ist zerbrochen. Fünf Jahre war er im Exil in Venezuela. Und Ende Februar
       hat er seine Region verlassen, weil die Situation dort immer schlimmer
       wird.
       
       Seit Unterzeichnung des Friedensabkommens im November 2016 bis Ende 2019
       wurden in Kolumbien 396 „soziale Anführer*innen“ ermordet –
       Menschenrechtsverteidiger*innen, Umweltschützer*innen und Aktivisten, die
       sich für ihre Gemeinschaft engagieren.
       
       Allein in diesem Jahr sind bislang wohl 50 Ermordete zu beklagen, sagt
       Sirley Muñoz von der Nichtregierungsorganisation Somos Defensores. Seit
       2009 habe es noch nie so viele Morde an Aktivist*innen in einem so kurzen
       Zeitraum gegeben. Im März dieses Jahres waren es zwölf.
       
       Die [1][Coronapandemie] hat die Situation verschärft. In ihrem Schatten
       wagen sich die bewaffneten Gruppen hervor. So weit, dass sie sogar den
       international bekannten Menschenrechtsaktivisten Marco Rivadeneira
       ermordeten. Drei bewaffnete Männer in Zivil holten ihn im März aus einer
       Versammlung, entführten und erschossen ihn.
       
       „Das ist eine deutliche Botschaft an die weniger bekannten Aktivisten in
       der Region“, sagt Sirley Muñoz. Die Region Putumayo, aus der Rivadeneira
       stammt, ist dieses Jahr unter die drei mit den meisten Morden aufgerückt.
       Sie liegt mit der Nähe zu Ecuador und dem Amazonas strategisch gut für den
       Drogenhandel. Wo die Gewalt früher klaren Gruppen zugeordnet werden konnte,
       ist die Lage heute diffus.
       
       Ohne staatliche Unterstützung geraten einfache Bauern und Bäuerinnen, die
       sich für die Substitution von illegalen Pflanzungen einsetzen, in
       Lebensgefahr, weil [2][die Drogenbanden] sie bedrohen. Derzeit haben sie
       faktisch keinerlei Sicherheitsgarantie vom Staat, sagt Muñoz. „Sie werden
       alleine gelassen.“
       
       Kolumbiens Regierungspartei Centro Democrático hat zuletzt gefordert, die
       Quarantäne der Bauern zu nutzen, um die Besprühung der illegalen
       Anpflanzungen mit Gift aus der Luft wieder aufzunehmen. Es gibt Videos von
       Soldaten, die Kokapflanzen ausreißen – und somit vollendete Tatsachen
       schaffen.
       
       ## Kein Alarm
       
       Die Quarantäne nimmt den Bürgerrechtler*innen auch die Bewegungsfreiheit,
       die ihnen sonst Schutz gibt: Jetzt müssen sie mit ihrer Familie zu Hause in
       ihren Dörfern bleiben und sind daher ein leichtes Ziel. Gleichzeitig ist
       niemand mehr da, um nach außen Alarm zu schlagen. So nutzen Ölfirmen bei
       Barrancabermeja das aus, um gegen Umweltauflagen zu verstoßen und Brunnen
       der Gemeinschaften zu verschmutzen, berichtet Muñoz.
       
       Konzerne und bewaffnete Gruppen arbeiten in Kolumbien oft Hand in Hand.
       Laut einer aktuellen Studie des Business & Human Rights Resource Centre
       geschehen 76,5 Prozent der Attacken in Gegenden mit den größten
       Wirtschaftsprojekten. Zu 90 Prozent haben sie mit vier Sektoren zu tun:
       Bergbau, fossile Brennstoffe, Landwirtschaft und Rinderzucht sowie
       Wasserkraft- oder Staudammprojekte.
       
       Der Aktivist Guillermo Pérez, der sich gegen Bergbauriesen und
       Großgrundbesitzer engagiert, berichtet von Drohungen. Die seien anonym oder
       kämen von bekannten Verbrecherbanden. „Es muss also eine Komplizenschaft
       geben.“ Er lebe mit ständiger Unruhe und Misstrauen. „Es macht Angst, dass
       sie mich jeden Moment ermorden können“, sagt er. Seine Töchter sieht er
       kaum, aus Furcht, sie in Gefahr zu bringen.
       
       Die Solidarität der Menschen gebe ihm Kraft, sagt er. Vom Staat bekomme er
       kaum Hilfe. Zwar hat Pérez einen Personenschützer von der nationalen
       Schutzeinheit UNP. Doch der sei eher ein Problem als eine Hilfe: Der
       Bodyguard fällt auf und hat kein Auto. So bleibt er meistens zu Hause.
       
       Ein typisches Problem, sagt Sirley Muñoz: Viele der Bedrohten müssten sogar
       das Essen ihrer Beschützer bezahlen, obwohl sie kaum Geld für ihr eigenes
       hätten. Obwohl die Regierung betont, dass die Epidemie nichts ändere, sei
       der Personenschutz von manchen Aktivist*innen abgezogen worden.
       
       23 Apr 2020
       
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