# taz.de -- Gesellschaft Neue Auftraggeber: Kunst und Zukunft auf dem Land
       
       > Seit 2017 fördert die Bundeskulturstiftung die Neuen Auftraggeber in
       > Deutschland. Jetzt sind erste Projekte spruchreif.
       
 (IMG) Bild: Die Neuen Auftraggeber von Steinhöfel, 2020. Bildausschnitt einer alten Fotografie Steinhöfels
       
       Heinersdorf, sagt die Dorfbewohnerin Frau Huth, die am Donnerstag, dem 5.
       März, zur Pressekonferenz der Gesellschaft der Neuen Auftraggeber und der
       Bundeskulturstiftung nach Berlin gekommen ist, war in der DDR ein
       Modelldorf mit einem riesigen Zuchtbetrieb und der größten LPG. Alles Geld
       floss nach Heinersdorf, während die Nachbarn in die Röhre schauten.
       
       Im Zuge einer Bezirksreform bilden Heinersdorf und seine elf Nachbardörfer
       inzwischen die Gemeinde Steinhöfel mit insgesamt 4.448 Einwohnern. Man kann
       sich vorstellen, dass sich in dieser Gemeinde nicht viel bewegt, auch weil
       in jedem Dorf ständig geschaut wird, wer davon wohl am meisten profitieren
       könnte.
       
       Eine Initiative etwa versucht seit Jahren ein ruinöses Gutshaus in der
       Mitte von Heinersdorf in ein Seniorenwohnheim umzuwandeln, stößt aber aus
       den genannten Gründen auf Widerstand. Auf einer Informationsveranstaltung
       auf Burg Beeskow zu Fördermaßnahmen für den ländlichen Raum begegnet man
       den Neuen Auftraggebern, die dort mit zivilgesellschaftlichen Gruppen ins
       Gespräch kommen wollen, um sie zu animieren, ihren Anliegen mit den Mitteln
       der Kunst Ausdruck zu geben.
       
       ## Doch die Mediatorin fragte nach
       
       Im Anschluss geht die Initiative auf die Künstlerin und Lehrerin Lena Ziese
       zu, die Mediatorin der Neuen Auftraggeber im Land Brandenburg. Ob sie nicht
       ein PR-Konzept entwickeln könne, um eine Mehrheit hinter ihrem Projekt zu
       versammeln? Doch Ziese fragt nach den Gründen des Streits und danach, was
       die Dörfer eigentlich verbindet.
       
       Und da wird klar, dass alle Bewohner:innen sich sorgen, wie sie alt werden,
       dass sie nicht wissen, wie das gehen soll, auf den Dörfern bei schwindender
       Infrastruktur. Bei diesem Thema kommt Steinhöfel zusammen und schließlich
       formuliert eine Gruppe von rund 10 Leuten den Auftrag an die
       Künstler:innen: Sie sollen ihnen einen Weg zeigen, das Älterwerden in der
       Region gemeinsam zu gestalten.
       
       Schon immer wurde Kunst, gerade große Kunst in Auftrag gegeben. Die Idee,
       anstelle der alten Auftraggeber wie Adel, Kirche und Staat, die
       Zivilgesellschaft als neuen Auftraggeber von Kunstprojekten zu aktivieren,
       sei es im Bereich des Theaters, der Bildenden Kunst, der Architektur oder
       der Musik, entwickelte der belgische Künstler François Hers Anfang der
       1990er Jahre in Paris. Jeder französische Bürger, der eine Idee für ein
       Kunstprojekt hatte, das er realisieren wollte, konnte sich fortan an die
       „Nouveaux Commanditaires“ wenden, um Beistand und Expertise zu finden.
       
       ## Mehr als dreihundert realisierte Arbeiten
       
       Inzwischen legen mehr als dreihundert realisierte Arbeiten in Frankreich
       ein eindrucksvolles Zeugnis für die Nachhaltigkeit des Verfahrens ab. Stets
       beteiligten sich namhafte Künstler an der Umsetzung der Ideen, darunter
       etwa Vito Accinci, Martha Rosler, Dominique Gonzales-Foerster. Sie haben
       Schulen umgekrempelt, Imbissbuden oder Spielplätze konzipiert. Michelangelo
       Pistoletto etwa schuf in Marseilles ein interkonfessionelles
       Meditationszentrum.
       
       Wie das Bild zeigt, das der Galerist Alexander Koch bei der Pressekonferenz
       an die Wand projizierte, unterteilte Pistoletto den Betraum des Paoli
       Institute, eines Krebszentrums, in fünf offene Bereiche, für den
       Buddhismus, das Judentum, das Christentum, den Islam und die säkulare
       Meditation.
       
       Alexander Koch wurde 2007, als sich der deutsche Ableger der Neuen
       Auftraggeber gründete, der Vorsitz angetragen. Damals noch freier Kurator,
       sah er und sieht er bis heute im François Hers' partizipativer
       Bürgeraktivierung ein gültiges Verfahren, die Frage, wie Kunst im
       öffentlichen Raum entsteht, vom Kopf auf die Füße zu stellen.
       
       ## Mit den Steinhöfelern arbeitet nun Rimini Protokoll
       
       In Steinhöfel sieht das dann so aus, dass das Autorenkolletiv Rimini
       Protokoll die Dorfbewohner:innen dabei unterstützt, miteinander ins
       Gespräch zu kommen, sich gegenseitig zu erzählen, wie sie ihr Dorf erleben,
       und seine Einbindung in das Konstrukt Steinhöfel. Das Design- und
       Architekturnetzwerk ConstructLab schafft parallel zum performativen Projekt
       bleibende Objekte und Einrichtungen, die die neu gefundene Kommunikation
       unterstützen.
       
       Bis zu diesem Punkt der Konzipierung kommt die Finanzierung von der
       Bundeskulturstiftung, die den Neuen Auftraggebern in einer Pilotphase von
       2017 bis 2021 zwei Millionen Euro zuschießt. Für die Realisierung suchen
       die Bürger:innen, unterstützt durch ihre Mediatoren und die Gesellschaft
       Neue Auftraggeber, dann nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten im Bereich
       der privaten wie der öffentlichen Kultur-Strukturförderung.
       
       Dabei erweisen sich die kommunalen Verwaltungen oft als überaus offen und
       entgegenkommend, wie Gerrit Gohlke, Leiter des Brandenburgischen
       Kunstvereins Potsdam und bei den Neuen Auftraggebern Leiter der
       Regionalentwicklung, berichten kann. Es entstehen auch neue soziale
       Partnerschaften, wenn die Bürger:innen anlässlich der Realisierung ihres
       Projekts mit den verschiedenen Amtsträgern in Kontakt kommen, sei es wegen
       der Genehmigung für eine Baumaßnahme oder einer Auskunft aus dem
       Verwaltungsarchiv.
       
       ## Unerwartete Orte und Personen
       
       Für die Pilotphase konzentriert sich die Gesellschaft der Neuen
       Auftraggeber auf die strukturschwachen, ländlichen Modelregionen
       Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg im Osten Deutschlands und im Westen
       auf das Ruhrgebiet als Industrieregion im Umbruch. Bewusst werden dabei
       über ein Schneeballsystem von Kontakten unerwartete Orte und Personen
       gesucht.
       
       Gesteuert werden die Prozesse über die regionalen Ankerpunkte Museum
       Abteiberg in Mönchengladbach, Kunstverein Schwerin, Schloss Bröllin und den
       Brandenburgischen Kunstverein in Potsdam. Insgesamt 17 Auftragsprozesse
       sind im Moment am Laufen.
       
       In Eberswalde entwickelten die Anwohner einer zurückgebauten und daher
       stark aufgelockerten Plattenbausiedung im Gespräch mit dem Mediator Holger
       Friese die Idee, statt einer simplen Platzgestaltung einen Wasserspielplatz
       als generationenübergreifenden neuen Mittelpunkt des Viertels in Auftrag zu
       geben. In Greifswald wird der Künstler Daniel Knorr dem Wunsch von acht
       Lehrerinnen der Integrierten Gesamtschule Erwin Fischer nach einem
       signifikanten Kunstwerk Ausdruck geben, das ihre Schule als positiven Ort
       deutlich macht.
       
       ## Das Konzept der namhaften Künstler:innen
       
       Auffällig ist, dass die Neuen Auftraggeber nur namhafte Künstler für ihre
       Projekte verpflichten, was zum Konzept von François Hers gehört. Das hilft
       in der Praxis, Geldgeber für die Aufträge zu finden, und erhöht die
       Bereitschaft bei den Bürgern, sich zu engagieren. Allerdings sagte der
       Steinhöfler Steffen Adam auf der Pressekonferenz, Rimini Protokoll habe
       ihnen gar nichts gesagt, ihnen hätten einfach deren Vorschläge gefallen.
       
       Gerade weil die zivilgesellschaftlichen Auftraggeber weit mehr an
       Konzeptionen als an Namen interessiert sind, ist es schade, dass junge
       Talente und interessante, wagemutige Künstler:innen aus der zweiten Reihe
       nicht zum Zuge kommen. Das Vorschlagsrecht die Künstler:innen betreffend
       liegt allein bei den Mediatoren. Ihr Vorsprung an Fachwissen, ob Kunst oder
       Management betreffend, ist natürlich gewaltig und könnte dazu führen, dass
       sich eine Gruppe im Hintertreffen sieht. Da kann sie dann aber um eine
       Auswechlsung bitten.
       
       Noch werden die Neuen Auftraggeber in Deutschland, anders als in
       Frankreich, Belgien, Italien oder Spanien und Spanien, nur wenig
       wahrgenommen. Das möchte Alexander Koch und sein Team – jetzt, wo einige
       Projekte für Ihre Vorstellung in der Öffentlichkeit reif sind – ändern.
       Dazu wird wohl auch der 1. Internationale Kongress der Neuen Auftraggeber
       am 3. Oktober in der Volksbühne Berlin maßgeblich beitragen.
       
       9 Mar 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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