# taz.de -- Frauen und Beruf: Was Arbeit wert ist
       
       > Die meisten Menschen sprechen ungern über ihr Gehalt. Was verdient eine
       > Topmanagerin? Und was eine Reinigungskraft? Sechs Protokolle.
       
 (IMG) Bild: Wer anderen eine Grube gräbt, hat nicht immer ein Goldgrubengrabgerät
       
       ## Die Topmanagerin
       
       ## „Weil ich gerne Fäden ziehe“
       
       Der Job: Bis vor Kurzem war Sigrid Nikutta Chefin der Berliner
       Verkehrsbetriebe, seit Januar ist sie Vorstand Güterverkehr bei der
       Deutschen Bahn. „Mir war immer klar, dass ich zu den Entscheidern gehören
       möchte. Weil ich gern die Dinge in der Hand habe, weil ich gern die Fäden
       ziehe.“ Die heutige Position der promovierten Psychologin sei Folge einer
       strategischen Karriereplanung. „Durchaus verbunden mit persönlichen
       Härten.“ Mehrfach haben die heute 50-Jährige und ihre Familie den Wohnort
       und ihr gewohntes Umfeld gewechselt.
       
       Die Arbeitszeit: Die Frage nach Wochenarbeitszeiten, der Länge von
       Arbeitstagen: schwierig zu beantworten, sagt Nikutta. „Im Grunde bin ich
       immer dabei, die Frage ist nur, an welchem Ort.“ Der Tag beginnt und endet
       mit der Arbeit. „Wenn ich den Wecker, also mein Handy, in die Hand nehme,
       checke ich als erstes, welche Themen neu reingekommen sind.“ So zu
       arbeiten, müsse man schon mögen. „Ich liebe es.“ Genau das ist Nikuttas
       Art, die Fäden zu ziehen. „Und ich werde nervös, wenn es nicht so ist.“
       
       Das Geld: Unter den führenden Managerinnen erlebe sie eine unglaubliche
       Solidarität, was Karriereplanung betrifft, sagt Nikutta. Es werde auch
       durchaus über Geld gesprochen. Aber in der Zeitung?! „Bei Frauen in
       Toppositionen wird das auch in den etablierten Wirtschaftsmedien viel
       häufiger dazugeschrieben als bei den Männern, so nach dem Motto: Schauen
       wir mal, ob sie das wirklich wert ist. Das muss sich ändern.“
       
       Die Wertschätzung: „Ist es das berufliche Ziel, wertgeschätzt zu werden?“,
       fragt Nikutta. Und ob das nicht auch nur die Frauen gefragt würden. „Güter
       von der Straße holen. Kunden wieder von der Schiene begeistern – das ist
       mein Ansporn!“
       
       Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? „Am ehesten etwas
       Technisches, was mir hilft, mein Leben zu synchronisieren!“
       
       ## 
       
       ## Die Reinigungskraft
       
       ## „Warten und durchhalten“
       
       Der Job: Vor einem Jahr ist Daniela Vasileva nach Berlin gekommen. Um mit
       ihrem Freund zusammen sein zu können, wie sie sagt. Und weil in ihrer
       Heimat Bulgarien das Geld nicht zum Leben reichte. Die 48-Jährige ist
       gelernte Schneiderin. In Berlin putzt sie Arztpraxen, Apotheken,
       Bürogebäude, private Haushalte. Gerade hat Vasileva die Arbeitsstelle
       gewechselt, weil sie – wie viele ihrer bulgarischen Kolleginnen – immer
       wieder ausgebeutet wurde.
       
       Die Arbeitszeit: Was in ihrem alten Arbeitsvertrag stand, weiß Daniela
       Vasileva nicht genau. Dafür spricht sie zu wenig deutsch. Früh ab 7.30 Uhr
       reinigte sie bis zur Öffnung der Geschäfte die ersten Räume, ab dem späten
       Nachmittag die nächsten. Sechs Tage, rund 30 Stunden in der Woche. Oft sei
       sie erst um 21 Uhr zu Hause gewesen. Als sie im Dezember sehr krank war,
       musste Vasileva trotzdem jeden Tag zur Arbeit. „Es gibt keine Vertretung“,
       habe ihr Arbeitgeber gesagt. Wie sie sich am Ende eines Arbeitstages
       fühlte? „Sehr müde.“ Urlaub habe der Arbeitgeber zwar gewährt – aber
       unbezahlt.
       
       Das Geld: 770 Euro sollte Vasileva im Monat bekommen, die vielen
       Überstunden wurden aufgeschrieben, wohl auch bezahlt. Aber das Geld sei nie
       in einer Summe gekommen, mal bar und mal per Überweisung, immer zu spät.
       Was sie gemacht habe, wenn ihr das Geld ausging? „Warten und durchhalten.“
       300 Euro zahlt Vasileva anteilig für die Miete. Von dem Rest lebt nicht nur
       sie, sondern auch ihr Sohn, der noch zur Schule geht. Und die Großmutter,
       die nur eine ganz kleine Rente bekommt. Beide wohnen in Bulgarien, zwischen
       100 und 200 Euro schickt ihnen Vasileva jeden Monat.
       
       Die Wertschätzung: „Wenn das Geld regelmäßig gekommen wäre, wäre es okay
       gewesen“, sagt Daniela Vasileva. Seit einem Monat arbeitet sie nun für ein
       anderes Reinigungsunternehmen. Mit Hilfe des Berliner Beratungszentrums für
       Migration und Gute Arbeit Bema fordert sie von dem alten Arbeitgeber
       ausstehendes Urlaubsgeld und Gehalt. Nach der Kündigung hatte sie von ihrem
       letzten Monatsgehalt gar nichts mehr bekommen.
       
       Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? Ein paar schöne
       Anziehsachen – das wäre ein Traum, sagt Daniela Vasileva. Aber die Hälfte
       des Geldes würde sie auf jeden Fall nach Bulgarien schicken.
       
       ## 
       
       ## Die Aktivistin
       
       ## „Ich suche noch Pat*innen“
       
       Der Job: „Es gibt keine richtige Jobbeschreibung für
       Bewegungs-arbeiter*innen. Wir haben ganz unterschiedliche Ansatzpunkte“,
       erklärt Paula Tilly. „Mein Fokus ist das Empowerment von anderen
       Aktivist*innen. Ich unterstütze sie dabei, ihre Sache so professionell zu
       machen, dass ihr Anliegen gut im Mainstream ankommt.“ Tilly organisiert
       Workshops, bei denen Aktivist*innen Handwerkszeug lernen: „Zum Beispiel,
       wie Nachrichten am besten verschlüsselt werden.“ Schon ihr Vater war in der
       linken Bewegung aktiv. Konkret politisiert wurde die 27Jährige durch die
       Aktionen gegen den G20-Gipfel 2007.
       
       Die Arbeitszeit: „Im Aktivismus ist es schwer, zwischen Arbeit und Freizeit
       zu trennen. Allerdings habe ich dieses Jahr das Wochenende für mich
       eingeführt. Montag bis Freitag arbeite ich jetzt am Computer, gehe zu Plena
       und Gruppentreffen. Das dauert manchmal bis spät abends. Das Wochenende
       halte ich mir aber frei.“
       
       Das Geld: Seit Oktober 2019 ist Paula Tilly eine der zehn Personen, die von
       der Bewegungsstiftung ideelle Förderung erhalten, also zum Beispiel
       Schulungen. Geld bekommt sie über Pat*innen, nicht von der Stiftung: „Wir
       müssen selbst um Pat*innen werben, die unsere Arbeit unterstützen.“ Sie
       sucht noch Pat*innen, bis jetzt bekommt sie erst 100 Euro monatlich. Mit
       Workshops und Vorträgen verdient die studierte Politologin etwa 400 Euro im
       Monat. „Ich brauche nicht viel. Ich wohne in einem Bauwagen einer
       Wagenburg, dort zahle ich keine Miete. Meine einzigen Fixkosten sind die
       Krankenkassenbeiträge.“
       
       Die Wertschätzung: „Ich habe das Gefühl, dass meine Arbeit im Familien- und
       Freund*innenkreis gesehen und wertgeschätzt wird. Eigentlich von allen,
       denen ich davon erzähle.“
       
       Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? „Ich würde mir nichts Neues
       kaufen, ich würde das Geld in meine Projekte stecken. Damit könnte ich
       Fahrkarten zu Aktionen bezahlen oder meine Bildungsarbeit ins Internet
       tragen, über Videos oder Fernkurse. Ein paar Bücher würde ich mir
       vielleicht zulegen.“
       
       ## 
       
       ## Die Erzieherin
       
       ## „Ohne uns könnt ihr nicht arbeiten“
       
       Der Job: „Eigentlich wollte ich Krippenerzieherin für die ganz Kleinen
       werden, aber das gab es nach der Wende nicht mehr.“ Also wurde Katja
       Reichel Erzieherin, arbeitete zunächst zehn Jahre im Kinderheim.
       Nachtdienste, Schichten – „Das wollte ich nach der Geburt meines ersten
       Sohns nicht mehr.“ Seit 2006 ist die 46-Jährige deshalb Erzieherin in einer
       Kita im sächsischen Mittweida, einer 15.000-Einwohner-Stadt bei Chemnitz.
       Um die Arbeitsbedingungen für sich und ihre Kolleginnen zu verbessern,
       engagiert sich Reichel außerdem in der Gewerkschaft. „Die beitragsfreie
       Kita ist ja schön, aber wir Erzieher haben davon gar nichts.“
       
       Die Arbeitszeit: Sechseinhalb Stunden am Tag ist Reichel im Schnitt in der
       Kita, 30 Stunden in der Woche. „Ich mache die Arbeit mit Leib und Seele,
       das heißt, ich habe die ganze Zeit voll die Kinder im Fokus.“ Katja
       Reichels eigene Kinder waren auch bei ihr in der Einrichtung, nach der
       Arbeit ist sie gemeinsam mit ihnen nach Hause gegangen. Ob sie nicht
       manchmal genug hatte von der Kinderbetreuung? „Meine Söhne haben früh
       gelernt: Die Mama braucht jetzt ihren Cappuccino, und nach einer
       Viertelstunde ist sie wie-der ansprechbar.“
       
       Das Geld: Die Gehälter in Reichels Kita sind an den öffentlichen Dienst
       angepasst. „So 1.600 Euro landen auf meinem Konto.“ Eine angemessene
       Entlohnung? „Ich persönlich bin zufrieden.“ Familien-urlaube, die Wünsche
       der Kinder, der Leistungssport des Größten, das gemeinsame Haus – „Wir
       können uns alles leisten, was wir brauchen.“
       
       Die Wertschätzung: „Was, du bist bloß Erzieherin geworden, du hättest auch
       mal ein bisschen mehr aus deinem Leben machen können“, habe mal ein
       Bekannter zu Katja Reichel gesagt. Ihre Antwort: „Ohne uns könnt ihr nicht
       arbeiten gehen.“ Von den Kindern erfahre sie dagegen viel Wertschätzung:
       „Wenn man denen viele Möglichkeiten gibt, dann sind die einfach nur
       glücklich mit uns.“ Und die Eltern: „Früher hatte man Achtung vor uns,
       jetzt ist da vor allem ein Anspruchsdenken bei vielen Eltern.“
       Trockenwerden, mit Besteck essen: „Was die Eltern zu Hause nicht schaffen,
       das sollen wir leisten.“
       
       Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? „Meine Kinder wollen
       unbedingt mal ins Disneyland Paris, das würde ich dann machen.“
       
       ## 
       
       ## Die Steuerberaterin
       
       ## „Es war mir unangenehm, über Preise zu sprechen“
       
       Der Job: Als Agnes Musfeldt mit der Schule fertig wurde, da haben die
       Eltern gesagt: „Ein Studium können wir dir aber nicht bezahlen.“ Die heute
       36-Jährige lernte also Steuerfachangestellte, bestand später die
       gefürchtete Prüfung zur Steuerberaterin, vor vier Jahren hat sie sich
       selbstständig gemacht. Musfeldt erstellt Buchführungen, Lohn-buchhaltungen,
       Jahresabschlüsse und Steuererklärungen. Jeden Tag neue steuerrechtliche
       Konstellationen und Probleme, Anfragen von Mandanten und Finanzämtern: „ein
       Traumjob“. Ob sie manchmal Kopfschütteln für diese Begeisterung ernte?
       „Täglich.“
       
       Die Arbeitszeit: „Die Fristen, die jeden Monat einzuhalten sind, die
       bestimmen meine Arbeitszeiten.“ Es gibt Wochen, da sei sie nur 20 Stunden
       in ihrer Kanzlei, deutlich öfter sind es 50 oder 60. Weniger arbeiten, das
       kann sich Musfeldt kaum vorstellen, dafür so lange wie möglich: „Ich kenne
       eine Steuerberaterin, die ist 79 und arbeitet jeden Tag mit Freude ihre 8
       Stunden, das ist doch klasse!“
       
       Das Geld: Nach der Ausbildung zur Steuerfachangestellten hat Musfeldt 1.600
       Euro brutto verdient, als angestellte Steuerberaterin 4.500 Euro. „Heute
       verdiene ich eher das Doppelte.“ Der Schritt in die Selbstständigkeit, er
       habe sich auch finanziell gelohnt. „Am Anfang war es mir unangenehm, über
       Preise zu sprechen“, sagt Musfeldt. „Aber inzwischen finde ich es sogar gut
       zu sagen: So viel ist meine Arbeit wert.“ Was sie sich leistet von dem
       verdienten Geld? Die Wohnung koste 1.300 Euro. Essen mit Freunden, ab und
       an ein Urlaub. „Ansonsten habe ich nicht einmal ein Auto, ich fahre
       Fahrrad.“
       
       Die Wertschätzung: Immer mal wieder erlebe sie Geringschätzung von
       männlichen Kollegen. Einmal habe Musfeldt mit dem Handy bei einem Seminar
       gesessen. „Na, wenn der Chef nicht zuschaut, wird nur mit dem Handy
       gespielt, was...“, habe ein älterer Kollege gesagt. „Der weiß doch gar
       nicht, was er da redet, ich bin meine eigene Chefin“, sagt Musfeldt. Von
       Mandanten erfahre sie dagegen viel Dankbarkeit. Und auch vom
       Schreckgespenst Finanzamt: „Dort sitzen ja auch nur Menschen.“
       
       Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? „Wegfahren, ein paar Tage
       Ostsee oder Nordsee, auf jeden Fall ans Meer.“ Aber das könnte sie sich
       freilich auch so leisten.
       
       ## 
       
       ## Die Pfarrerin
       
       ## „Eine volle Stelle sind 48 Stunden“
       
       Der Job: „Als evangelische Pfarrerin halte ich Gottesdienste, Beerdigungen,
       Trauungen, Taufen, gebe Religionsunterricht und kümmere mich um
       Verwaltungssachen“, erklärt Dorothea Zwölfer. In Franken ist sie für
       mehrere Dorfgemeinden zuständig. Daneben setzt sich die 55-jährige „Frau
       mit transsexueller Biografie“, wie sie sich selbst bezeichnet, in der
       Initiative Regenbogengemeinden in Bayern dafür ein, dass in ihrer Kirche
       auch LSBTTIQs willkommen sind – als Mitarbeitende und Teilnehmende.
       
       Die Arbeitszeit: „Theoretisch bedeutet eine volle Stelle in der bayerischen
       Lan-deskirche eine 48-Stunden-Woche. Wie sich diese Zeit dann verteilt, ist
       sehr situativ. Man weiß ja zum Beispiel nie, wann ein Mensch stirbt. Da
       kann es auch einmal zwei Trauerfeiern in der Woche geben.“ Dazu kommen die
       regelmäßigen Kreise, Sitzungen und Gottesdienste, sagt Zwölfer. „Wenn man
       hört, dass bei der IG Metall 35 Stunden üblich sind, kommt man schon ins
       Denken. Aber die Motivation ist ja auch eine andere, man macht ja auch
       etwas, was einem selbst wichtig ist.“ Es gelte in ihrem Beruf auf die
       eigene Gesundheit zu achten, sich nicht zu überfordern, meint die
       Pfarrerin. Die Landeskirche unterstütze mittlerweile dabei.
       
       Das Geld: „Die Gehaltsparallele ist die eines Gymnasiallehrers“, sagt
       Zwölfer. Zwischen 4.580 und 6.770 Euro sind das nach der aktuellen
       Besoldungstabelle für Bayern. „Man kann gut davon leben, aber keinen
       Reichtum anhäufen“, sagt die Pfarrerin. „Wenn es einem ums Geldverdienen
       geht, sollte man mit einem Abi und einem langen Studium was anderes machen.
       Wenn es einem nur um die Sicherheit der Verbeamtung geht, auch.“
       
       Die Wertschätzung: „Wenn Menschen mich nach einem Gottesdienst im
       Seniorenheim in ihr Zimmer bitten und mir dann ihr Leben erzählen, das sind
       besonders schöne Momente“, sagt Zwölfer. Und die Kirche? „Bei
       Dienstjubiläen bekommt man einen Tag frei, aber Wertschätzung kommt eher
       von der Basis.“
       
       Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? „Die würde ich spenden, zum
       Beispiel an Opferverbände von Vergewaltigten.“
       
       8 Mar 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
 (DIR) Stefan Hunglinger
       
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