# taz.de -- Geheilte Corona-Patienten in China: „Fast wie im Hotel“
       
       > In Peking verlassen die ersten geheilten Coronavirus-Patienten die
       > Krankenhäuser. Die Regierung nutzt sie als PR für ihr Krisenmanagement.
       
 (IMG) Bild: Im öffentlichen Leben ist der Ausnahmezustand sichtbarer als in der Klinik
       
       Peking taz | Feuchtkühler Wind und Schneeregen fegen durch den Innenhof des
       renommierten Youan-Krankenhauses, das direkt am zweiten Pekinger Stadtring
       liegt. Nur ein Mann mit Ganzkörperschutzanzug, der zwischen den
       vierstöckigen Funktionsbauten mit Kachelfassade Desinfektionsmittel
       versprüht, erinnert an die landesweite Ausnahmesituation.
       
       Im Gegensatz zu sämtlichen Wohnanlagen, U-Bahnhöfen oder Einkaufszentren
       wird der Weg ins Krankenhaus nämlich nicht von Wachmännern versperrt, die
       Körpertemperaturen messen und Personalien aufnehmen. So paradox es klingt:
       Die Klinik vermittelt mehr Normalität als die geschlossenen Lokale und
       Bürogebäude der Stadt.
       
       Aus dem Hauptgebäude tritt ein junges Pärchen auf die wartenden
       Journalisten zu, die Frau trägt einen kleinen Jungen im Leopardenanzug auf
       dem Arm. Mitarbeiter der Regierung begrüßen die Jungfamilie mit einem
       Blumenstrauß. Herr Liu und Frau Li werden heute aus der Klinik entlassen.
       Der Presse sollen sie an diesem Freitagnachmittag von ihrer Viruserkrankung
       erzählen und der anschließenden Genesung. Arrangiert wurde das Interview,
       wie in solch sensiblen Fällen in [1][China] üblich, vom staatlichen
       Informationsbüro.
       
       Die Transparenz ist kein Zufall: Händeringend braucht die Volksrepublik
       eine Erfolgsmeldung beim Kampf gegen das Coronavirus. Noch vor Kurzem
       hoffte die Regierung schließlich, dass sich das Land in dieser Woche
       langsam dem Alltag wieder annähern werde. Die Wachstumskurve der
       Virusinfizierten sank sieben Tage lang in Folge. Präsident Xi Jinping
       traute sich erstmals in die Öffentlichkeit: Fotos der staatlichen
       Nachrichtenagentur Xinhua zeigten ihn winkend beim Besuch eines
       Krankenhauses.
       
       ## Kontrolle des Virus in weiter Ferne
       
       Doch die Anzahl der Toten stieg schließlich weiter täglich an, bis zum
       Redaktionsschluss sind es bereits über 1.380 in China. Und am Donnerstag
       explodierte die Anzahl von Neuinfektionen sogar so stark wie noch nie
       zuvor. Dies ging zwar auf eine [2][veränderte Zählweise] der Behörden
       zurück, dennoch scheint die Hoffnung auf eine Kontrolle des Virus vorerst
       in weite Ferne gerückt. „Dies ist ein Kampf um Leben und Gesundheit unserer
       Bevölkerung und der ganzen Welt“, heißt es in einem Schreiben des
       Informationsbüros der Pekinger Stadtregierung.
       
       Der nun geheilte Herr Liu, 29 Jahre alt, Büroangestellter in der
       IT-Industrie, erzählt von seiner Infektionsgeschichte: Ende Januar haben
       ihn die Eltern, die wie er aus der schwer betroffenen Provinz Hubei
       stammen, zum chinesischen Neujahrsfest besucht. Beim Umsteigen in Wuhan
       müssen sie sich infiziert haben. Wenig später waren alle infiziert: seine
       Ehefrau und der gerade einmal einjährige Sohn. Während seiner Aussagen
       beschlägt die Brille, die auf seiner Atemschutzmaske im Gesicht sitzt.
       
       „Am Anfang hatte ich schon ein bisschen Angst“, sagt Frau Li schließlich.
       „Doch im Krankenhaus wurden wir von Anfang an gut behandelt. Wir konnten
       als Familie weiterhin zusammenbleiben, hatten eine gemeinsame Dusche und
       Toilette. Es war ein bisschen wie im Hotel.“
       
       Die Symptome seien bei ihr und ihrem Kind kaum merkbar gewesen. Nur ihr
       Ehemann habe Fieber und Husten gehabt, doch nach vier Tagen habe sich auch
       das gelegt. „Das Virus war nicht so stark, wie wir gedacht haben. Wer
       infiziert ist, sollte auf das Land vertrauen und die behandelnde Ärzten“,
       sagt Herr Liu.
       
       Solche Aussagen mögen nach Propaganda klingen, schließlich könnten sie
       entfernter nicht sein von den Hiobsbotschaften, die die Weltöffentlichkeit
       aus Wuhan erreichen. Ein Bürgerjournalist filmte dort nicht nur
       hoffnungslos überfüllte Krankenhäuser, sondern auch Leichensäcke auf den
       Gängen.
       
       ## Spitze des Eisbergs
       
       Tatsächlich bestätigen jedoch Gesundheitsexperten, dass das Virus viele
       verschiedene Gesichter hat. Laut Benjamin Cowling, Epidemiologe der
       Universität Hongkong, würden wir derzeit nur die Spitze des Eisberges
       sehen. Eine riesige Dunkelziffer an Infizierten würden nur leichte Symptome
       zeigen.
       
       „Unserer Einschätzung nach liegt das neue Coronavirus von seiner
       Gefährlichkeit in etwa zwischen dem tödlichen Sars-Virus und einer
       herkömmlichen Grippe“, sagt der britische Wissenschaftler. Die
       Sterblichkeitsrate dürfte in den nächsten Wochen deutlich sinken, weil
       schlicht immer mehr Infizierte mit mildem Krankheitsverlauf erfasst würden.
       
       Die Ärztin Xu Bin vom Youan-Krankenhaus ist eine von mehreren Medizinern,
       die sich um die insgesamt 20 Infizierten kümmert. In ganz Peking sind
       derzeit über 370 Ansteckungen bekannt. Die Behandlung beschränkt sich laut
       Ärztin Xu auf traditionelle chinesische Medizin für die leichten Fälle,
       Antibiotika und künstliche Beatmung für die schwereren. Bislang seien nur
       Senioren über 80 Jahren an dem Virus im Youan-Krankenhaus gestorben.
       
       Kurz bevor die genesene Familie in die Freiheit entlassen wird, möchte Herr
       Liu noch ein Wort loswerden: Man solle sich nicht vor dem Virus fürchten,
       aber sich sofort in medizinische Behandlung begeben. Angst vor einer
       Neuansteckung habe er nicht, doch in den nächsten Tagen werde die Familie
       erst einmal nur zu Hause bleiben.
       
       16 Feb 2020
       
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