# taz.de -- Ordnung dank „Death Cleaning“: Aufräumen für den Tod
       
       > Betagte Menschen räumen auf, damit es nach ihrem Tod nicht andere für sie
       > tun müssen. Zu Besuch bei einer 70-Jährigen, die aussortiert hat.
       
 (IMG) Bild: Für viele Menschen ein Thema: im Laufe des Lebens angesammelter Krempel
       
       Berlin taz | Barbara zeigt auf eine Vase und ein Likörgefäß auf ihrer
       Küchenanrichte. Beides ist aus Kristallglas, verziert mit Blüten und
       Sternen, vielleicht 15 Zentimeter groß. Nur selten findet Barbara Anwendung
       für die Likörflasche. Für die Vase nie. Es sind Erbstücke, schon 90 Jahre
       alt. Im Schrank stehen sie ganz vorne. „Meine Eltern haben sie zum
       Hochzeitstag bekommen“, sagt sie, dreht die Likörflasche ein wenig nach
       links und staubt den Rand der Vase mit dem Zeigefinger ab. „Wenn ich einmal
       sterbe, wird sie meine Tochter bestimmt übernehmen.“
       
       Barbara ist 70 Jahre alt. Ihren Nachnamen will sie angesichts der
       Privatheit des Themas nicht in der Zeitung lesen. In ihrer hellen
       Dreizimmerwohnung in Berlin-Köpenick sieht es aufgeräumt aus. Im Wohnzimmer
       brennt eine Lichterkette, an der Küchenwand hängen Blechschilder mit den
       Botschaften „Peace, Love, Happiness“ und einfach nur „Love“. Im September
       beschloss sie, auszusortieren. Dabei hielt sie sich an die Frage: Macht
       dich das glücklich oder willst du es loswerden?
       
       So ähnlich lautet auch die Leitfrage von Margareta Magnusson: Wird es
       irgendjemanden, den ich kenne, glücklicher machen, wenn ich das aufhebe?
       Magnusson ist Autorin des Buchs „Frau Magnussons Kunst, die letzten Dinge
       des Lebens zu ordnen“. Darin erklärt sie das Konzept des sogenannten Death
       Cleaning. Der Tipp: Ab 65 Jahren ausmisten, damit es nach dem Tod nicht
       andere für dich machen müssen.
       
       So belaste man geliebte Menschen wie Kinder oder Geschwister nach dem
       eigenen Tod nicht noch zusätzlich. Im schwedischen Original heißt es
       döstädning. „Dinge ausrangieren, wenn man spürt, dass der Zeitpunkt näher
       rückt, da man diese Welt verlassen muss“, erklärt Magnusson in ihrem Buch
       den Begriff. In Schweden ist es zum Trend geworden: Für Ältere, aber auch
       Jüngere – sie sind Death Cleaner.
       
       ## Kein Chaos hinterlassen
       
       Barbara rührt in ihrem Cappuccino. „Meine Kinder habe ich nicht gefragt,
       was sie haben wollen, so weit ging ich nicht“, sagt sie. „Aber meine
       Tochter weiß, wo sich was befindet.“ Mit vielen Dingen sei sie in die
       Wohnung eingezogen, sagt Barbara. „Ich hinterlasse kein Chaos.“ Magnussons
       Buch hat sie nicht gelesen. Trotzdem ähnelt Barbaras Art aufzuräumen der
       von Magnusson. Sie beklebt Erbstücke mit Zetteln.
       
       Ihr schmales, goldenes Poesiealbum, das sie seit 1956 pflegt, trägt eine
       Notiz in sich: „Ich möchte bitte weiterbleiben und gepflegt werden.“
       Geschwister und Freundinnen haben sich dort mit Sprüchen verewigt, die
       Barbara heute auswendig kann.
       
       Das Schwierigste sei der Schreibtisch gewesen. „Mutti, ich kann es nicht
       mehr hören, dass du immer den Schreibtisch aufräumen musst“, sollen
       Barbaras Kinder zu ihr gesagt haben. Nachdem sie den Rest der Wohnung
       ausgemistet hatte, wagte sie sich an den Tisch im Arbeitszimmer: „Ich habe
       dafür meine Tochter gefragt, es ging nicht anders. Ich brauchte einen
       Anpikser.“
       
       Während Barbara sich durch 45 Jahre Arbeitsunterlagen wühlte, saß ihre
       Tochter neben ihr und motivierte sie. Duplikate von Rechnungen und
       Unterlagen von 1992, all das konnte weg. „Beim letzten Rest zu sich ehrlich
       sein, das ist das Schlimmste“, sagt Barbara.
       
       ## Nicht alleine entrümpeln
       
       Was für Barbara der Schreibtisch ist, kann für andere die Werkzeugkiste
       oder das Bücherregal sein. Magnusson rät: Das Schwierigste zum Schluss
       machen, bloß nicht mit Fotos oder Briefen anfangen. Kinder werden sich
       später gern durch Fotos wühlen, falls dem Death Cleaner dazu die Zeit
       fehlte.
       
       Magnusson empfiehlt, die eigenen Kinder einzubeziehen. Der unparteiische
       Blick von außen könne helfen. Ihr Rat: Wenn man unsicher ist, sollte eine
       Person vorbeikommen, der man Fragen stellen kann wie: Wohin gebe ich meine
       Bücher? Wichtig ist, dass man sich Zeit nimmt für das Death Cleaning.
       
       Auch Barbara sortierte in ihrem eigenen Tempo aus. „Ich habe alles auf
       einen Haufen gelegt. Alle Klamotten lagen dann dort.“ Dann nahm sie Mäntel
       und Jacken aus der Garderobe dazu, ein riesiger Berg war das wohl. Manche
       Oberteile zog sie an und wieder aus, so lange, bis sie beschloss: Das kann
       weg, ziehe ich sowieso nicht so oft an.
       
       Nun trägt Barbara eine Jeans und ein weißes Oberteil mit Streifen. Ganz
       schlicht. Sie öffnet den Kleiderschrank mit Schwung. Dort liegen vielleicht
       zwölf Pullis, zehn Hosen und Bettwäsche. Auf der Garderobenstange hängen
       etwa zwanzig Oberteile. Sie schließt den Schrank, lässt die Hände auf ihre
       Beine fallen: „Ich brauche keine fünfzig Kleider.“
       
       ## Vom Ausmisten profitieren alle
       
       Magnusson schreibt nicht, wie viel Geld man durch einen minimalistischen
       Lebensstil spart. Sie rät allerdings, sich keine neuen Gegenstände
       zuzulegen. An Kitsch könne man sich auch im Schaufenster freuen. Altes
       könne man aussortieren, indem man es zum Beispiel weiterverschenke. So
       spare man Geld, das man normalerweise für Blumen oder Präsente ausgegeben
       hätte.
       
       Durch Death Cleaning sparen auch die Kinder später mal Zeit und Geld: „Wenn
       Sie daran denken, wie groß die Zeitersparnis für Ihre Familie und Ihre
       Freunde sein wird, denen Sie diese Last nicht aufbürden, werden Sie das
       Gefühl haben, dass sich die Mühe wirklich lohnt“, schreibt Magnusson.
       
       Auch Barbara glaubt an das Konzept des Entrümpelns. Wer seine Dinge
       sortiert habe, dem fiele es leichter, sich auf wichtige Dinge des Lebens zu
       konzentrieren. „Der ganze Ballast, den wir angehäuft haben durch unsere
       Konsumgesellschaft, ist enorm“, sagt sie. Sie wuchs in der DDR auf und hat
       zwei Gesellschaftssysteme erlebt. Ihre Erfahrung: „Soziale Kontakte und
       Menschlichkeit hast du, wenn du keine Konsumverpflichtung hast.“
       
       15 Jan 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nicole Opitz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Degrowth
 (DIR) Abfallwirtschaft
 (DIR) Abfall
 (DIR) Tod
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Architektur
 (DIR) Konsum
 (DIR) Marie Kondo
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Einsames Sterben: Was kostet der Tod?
       
       Bei Bestattungen von Amts wegen sind die Behörden zur Sparsamkeit
       aufgerufen. Nirgendwo aber darf ein Begräbnis so wenig kosten wie in
       Berlin.
       
 (DIR) Forscherin zu kleinen Häusern: „Man muss sich einschränken“
       
       Ein ganzes Haus auf 10 bis 40 Quadratmetern? Das bieten sogenannte Tiny
       Houses. Julia Susann Helbig erklärt, warum die Minihäuser so gefragt sind.
       
 (DIR) Verzicht als Lebensmaxime: Besitz wird zur Belastung
       
       Trendwende beim Konsum: Ein leeres Heim gilt als Statussymbol, die
       Angebotsflut überfordert viele Verbraucher.
       
 (DIR) Debatte Ökologisch Aufräumen: Finger weg von meinen Stehrumchen!
       
       Besser leben ohne Marie Kondo. Warum eine mit schönen Dingen vollgestopfte
       Wohnung eine echte Bereicherung sein kann.