# taz.de -- Drei Protokolle zur Lage in Iran: Tage der Wut
       
       > Die Tötung von General Qasim Soleimani hat bei vielen IranerInnen
       > Entsetzen ausgelöst. Aber nicht nur das. Wie drei von ihnen auf die
       > Ereignisse der Woche blicken.
       
 (IMG) Bild: Teheran am Donnerstag. Qasim Soleimani ist nach seinem Tod allgegenwärtig im Land
       
       ## „Donald Trump ist ein Terrorist“
       
       Nesrin Nabavi*, 22 Jahre, Studentin aus Schiras:
       
       Ich war zuvor oft nicht einverstanden mit der Regierung meines Landes, zum
       Beispiel als die Benzinpreise um das Dreifache angehoben wurden, was [1][im
       ganzen Land großen Protest ausgelöst hat]. Aber in der Soleimani-Sache
       stehe ich hinter der Regierung.
       
       Bevor General Qasim Soleimani getötet wurde, hatte ich zwar noch nie von
       ihm gehört, aber jetzt bedaure ich seinen Tod sehr. Zuallererst war
       Soleimani ja ein Landsmann von mir – einer aus dem iranischen Volk. Und er
       war nicht einer dieser reichen Typen, die nur in ihren Luxushäusern sitzen
       und Kohle scheffeln. Er war für mein Land im Krieg, hat seine Landsleute
       vor dem ‚Islamischen Staat‘ geschützt.
       
       Alles, was er getan hat, hatte das Ziel, Krieg in unserem Land zu
       verhindern. Dafür bin ich dankbar. Und jetzt ist er tot.
       
       Hier sind alle richtig wütend auf die USA, deshalb sind die Menschen auch
       in Massen bei den Trauerzeremonien für Soleimani auf die Straßen gegangen.
       Auch ich war auf einer Trauerkundgebung. Denn spätestens jetzt wissen wir,
       dass Donald Trump ein Terrorist ist und den weltweiten Terrorismus
       unterstützt. In der Tat hat Trump mit dieser Eskalation der iranischen
       Regierung geholfen: Jetzt steht das ganze Volk vereint hinter der
       Regierung, und es fordert Rache an den USA.
       
       Als [2][die Rache dann am Mittwochmorgen kam], war ich überrascht – ich
       hatte nach all den Worten und Kundgebungen etwas Größeres, einfach etwas
       ganz anderes erwartet.
       
       Aber wahrscheinlich ist es besser so. Besser als Krieg. Durch den Angriff
       auf die US-Militärstützpunkte im Irak wurde niemand mehr getötet. Und
       zumindest haben wir dort materiellen Schaden angerichtet. Ich hoffe, dass
       dieser Schritt ausreicht, damit die USA so etwas nicht wieder tun.
       
       * Name geändert, Protokoll: Jana Lapper
       
       …
       
       ## „Die Iraner müssen aufwachen“
       
       Anil Naderpur*, 37, Unternehmer und Betreiber einer Pension im Osten Irans:
       
       Obwohl ich in einem kleinen Dorf mitten in der Wüste wohne – die nächste
       größere Stadt liegt über zwei Stunden Fahrzeit mit dem Jeep entfernt –,
       habe ich schnell von der Tötung Soleimanis erfahren. Das Internet
       funktioniert einwandfrei, anders als während der Proteste im November.
       
       Ich habe nicht um Soleimani getrauert. Wenn, dann habe ich getrauert, weil
       die Menschen in Iran einfach nicht aufwachen wollen. Diese Menschen, die
       diese Woche zu Hunderttausenden bei Trauerkundgebungen aufmarschiert sind,
       die meiner Meinung nach vor allem politische Veranstaltungen waren, und
       [3][die dort zu Tode getrampelt wurden]. Diese Menschen wollen einfach
       nicht aufwachen. Sie wollen nicht verstehen, dass sie mit ihren Worten und
       Taten dem System helfen, dass sie damit auch den Krieg heraufbeschwören –
       das tut nicht nur die USA.
       
       Anfang der Woche hatte ich große Angst vor einem Krieg. Sogar meine Freunde
       sprachen darüber. Die Möglichkeit eines Kriegs hat sich wie ein
       Krebsgeschwür ausgebreitet. Ich will aber festhalten, dass nicht alle
       Iraner um Soleimani trauern, dass nicht alle Iraner einen Krieg mit den USA
       wollen. Das will nur der geringe Prozentsatz, der hinter dem Regime steht.
       
       Ich weiß, dass das in den Bildern, die durch die Medien gehen, anders
       aussieht. Es ist so: Die einen denken wie Soleimani und hassen Trump. Die
       anderen denken wie Trump und hassen Soleimani. Und wieder andere hassen
       beide, weil beide über Krieg reden.
       
       Ich hasse Krieg, aber noch mehr Angst habe ich davor, dass das System
       einfach so bleibt, wie es ist. Wir brauchen einen Wandel, in der gesamten
       Region.
       
       * Name geändert, Protokoll: Jana Lapper
       
       …
       
       ## „Demütigung eines ganzen Volkes“
       
       Bahman Nirumand, 83, lebt seit 1965 im Exil in Berlin [4][und ist Autor der
       taz]:
       
       Es war ein Schock. Ich konnte zunächst das Geschehen nicht begreifen, weil
       die Tat und deren Folgen mir so gravierend schienen, dass es mir nicht
       möglich war, sie zu überblicken. General Qasim Soleimani war auf Befehl des
       amerikanischen Präsidenten getötet worden. Für viele Iraner war Soleimani
       ein Held, ein lebender Märtyrer, ein Patriot. Jugendliche liebten ihn wie
       einen Filmstar. Ich habe ihn nie gemocht, weil er für die verheerende
       Außenpolitik der Islamischen Republik im Nahen und Mittleren Osten
       entscheidend mitverantwortlich war.
       
       Aber wie kommt der Präsident eines Landes, das sich zur Demokratie und
       Freiheit bekennt, dazu, einen Menschen aus einem fernen Land zum Tode zu
       verurteilen und das Urteil vollstrecken zu lassen?, fragte ich mich. Wie
       soll man eine solche Tat nennen, Terroranschlag, Mordanschlag? Ist die
       Arroganz der Großmacht so weit gediehen, dass der Präsident glaubt, das
       nationale und internationale Recht ignorieren zu können?
       
       Damit nicht genug. Donald Trump drohte, sollte Iran auf den Anschlag
       reagieren, 52 Objekte in Iran zu bombardieren, darunter auch kulturelle
       Objekte! Nicht nur das Militär und die Infrastruktur des Landes sollten ins
       Visier genommen werden, auch die Seele einer ganzen Nation sollte zerstört
       und deren Wurzeln verbrannt werden. Stellen Persepolis, die Freitagsmoschee
       in Isfahan oder das Grabmal von Hafis in Schiras so eine Gefahr für die
       Vereinigten Staaten dar, dass sie vernichtet werden müssen? Weiß der
       amerikanische Präsident nicht, dass Zerstörung von Kulturdenkmälern selbst
       im Krieg als Verbrechen gelten?
       
       So verheerend die Tötung Soleimanis und die Drohungen Trumps waren, so
       verheerend schienen mir auch die politischen Folgen. Die Machthaber in
       Iran, die seit vierzig Jahren das eigene Volk knechten, ihre Gegner foltern
       und hinrichten und zuletzt im November gezielt Hunderte unschuldige
       Demonstranten töteten, stellten sich als Opfer dar und baten das Volk um
       Beistand. Dem Ruf folgten Millionen, die entsetzt waren über die Arroganz
       des US-Präsidenten und Angst hatten vor einem alles vernichtenden Krieg.
       Lieber das ungewollte Regime schützen als sich dem Diktat einer fremden
       Macht zu unterwerfen, werden viele gedacht haben.
       
       Plötzlich schien der korrupte, mafiöse Staat mit dem Volk, dessen Mehrheit
       ihm längst den Rücken gekehrt hatte, wieder vereint. Die Turban tragenden
       Gottesmänner schürten Hass und Rachegelüste, kündigten Vergeltung an. Einer
       der Generäle erklärte, die USA sollten ihre Truppen aus der gesamten Region
       abziehen oder für ihre Soldaten Särge bestellen.
       
       Mir wurde bange, auch ich hatte Angst vor einem Krieg. Steht meiner Heimat
       das Schicksal Syriens, Afghanistans, Iraks und Libyens bevor?, fragte ich
       mich. Ich war wütend, fühlte mich machtlos und allein. Warum steht nicht
       die ganze Welt auf und gebietet diesem Wahnsinn Einhalt? Was wird
       geschehen, wenn die Machthaber in Iran auch nur einen Teil dessen
       wahrmachen, was sie androhen?
       
       Zum Glück taten sie es nicht. Sie feuerten ein paar Raketen gegen zwei
       Stützpunkte im Irak, warnten aber zuvor die Iraker, also auch indirekt die
       Amerikaner. Auch sie hatten offenbar Angst vor einem folgenschweren
       Gegenschlag. Zu Hause hieß es aber, bei dem Angriff seien 80 Amerikaner
       getötet worden.
       
       Triumphierend trat der amerikanische Präsident ans Rednerpult vor dem
       Weißen Haus, zeigte sich großzügig und sagte, er werde vorerst auf weitere
       militärische Maßnahmen verzichten. Aber damit die Iraner nicht ganz
       ungeschoren davonkommen, werde er weitere Sanktionen gegen das Land
       verhängen. Eine unglaubliche Demütigung nicht nur eines Regimes, sondern
       eines ganzen Volkes.
       
       11 Jan 2020
       
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