# taz.de -- Von Obdachlosigkeit bedroht: Beschlagnahmen statt Zwangsräumen
       
       > Einem jahrzehntelangen Mieter in Mitte droht nach Ausschöpfung des
       > Rechtswegs die Zwangsräumung. Die BVV sieht einen Ausweg. Der Bezirk
       > nicht.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen die Zwangsräumung einer Wohnung an der Dubliner Straße 8 in Berlin-Wedding
       
       Es wäre doch zu schön: Wohnungen, aus denen Privateigentümer:innen ihre
       Mieter:innen zwangsräumen wollen, könnte der Bezirk kurzerhand
       beschlagnahmen, um die Obdachlosigkeit der Betroffenen abzuwehren.
       Tatsächlich gab es Ende November einen solchen Beschluss in Mittes
       Bezirksparlament.
       
       Es ging um den Fall eines jahrzehntelangen Mieters im Wedding, dem Ende
       Januar nach Ausschöpfung des Rechtswegs die Zwangsräumung droht. Doch der
       zuständige Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD) will den Beschluss nicht
       umsetzen, die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“ macht jetzt
       dagegen mobil.
       
       Tatsächlich sind die Hürden für eine solche Beschlagnahmung extrem hoch.
       Die Linke, die den Antrag ins Bezirksparlament eingebracht hatte, stützt
       sich auf ein Gutachten, das der Wissenschaftliche Dienst des Berliner
       Abgeordnetenhauses im Auftrag der Linksfraktion im Februar 2019 erstellt
       hat. Darin steht in der Tat, dass die Ordnungsbehörden befugt seien, durch
       eine ordnungsrechtliche Beschlagnahme von Wohnraum eine unmittelbar
       drohende Obdachlosigkeit zu verhindern.
       
       Die Gesamtlektüre des Gutachtens sowie einschlägige Gerichtsurteile
       verdeutlichen aber auch: Eine solche Beschlagnahmung ist Ultima Ratio.
       Zunächst hat sich der Mieter zu bemühen, anderen Wohnraum zu finden.
       Gelingt ihm dies nicht, sind die Behörden verantwortlich. Und nur wenn die
       gar keine andere Möglichkeit der Unterbringung finden, etwa in
       Wohnungslosenunterkünften oder Pensionen, erst dann kommt eine
       Beschlagnahme infrage.
       
       ## Kein geeignetes Vehikel
       
       Die Weddinger Initiative argumentiert nun, dass die Unterbringung in
       Wohnungslosenunterkünften, ebenfalls ein Instrument des Ordnungsrechts,
       nichts mit menschenwürdigem Wohnen zu tun habe. Tatsächlich hat der erst
       vor wenigen Tagen veröffentlichte Jahresbericht des Deutschen Instituts für
       Menschenrechte die Praxis der ordnungsrechtlichen Unterbringung von
       Wohnungslosen auf den Prüfstand gestellt.
       
       Das Urteil: Angesichts der Wohnungsknappheit sei die Verweildauer der
       Untergebrachten teils so lang, dass die geringen Standards, die an diese
       Unterkünfte angelegt werden, mit dem Recht auf menschenwürdiges Wohnen
       nicht vereinbar seien. Die VerfasserInnen forderten die Bundesregierung
       auf, neue Standards zu entwickeln. In Berlin will die Sozialsenatorin mit
       einer gesamtstädtischen Steuerung noch in der aktuellen Legislaturperiode
       die Bedingungen der ordnungsrechtlichen Unterbringung verbessern.
       
       Aber das ist im Grunde eine andere Baustelle, die eben Politik und
       Verwaltung bei der Verhinderung von Obdachlosigkeit in die Pflicht nimmt
       und nicht private Wohnungseigentümer. Ohnehin bedeutet eine
       ordnungsrechtliche Beschlagnahme allenfalls einen kurzen Aufschub für die
       Lösung eines bleibenden Problems: Sie ist auf einen sehr begrenzten
       Zeitraum, laut Literatur und Rechtsprechung 2 bis 6 Monate, befristet.
       
       Wer denkt, dass private Wohnungseigentümer:innen ungeeignet sind, um das
       verfassungsrechtlich garantierte Recht auf menschenwürdiges Wohnen zu
       wahren, der sollte Bestrebungen unterstützen, die die Renditemöglichkeiten
       von Privateigentümern eindämmen oder die Wohnungswirtschaft zunehmend in
       gemeinwohlorientierte Hände legen. Die kurzzeitige ordnungsrechtliche
       Beschlagnahmung privaten Wohneigentums scheint dafür jedenfalls kein
       geeignetes Vehikel.
       
       14 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
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