# taz.de -- Große Koalition nach dem SPD-Parteitag: Viele Wege zum 12-Euro-Lohn
       
       > Der SPD-Parteitag hat gefordert, den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen.
       > Erste Reaktionen der Union klangen ablehnend, aber Bewegung ist möglich.
       
 (IMG) Bild: Bald mehr Geld? In der Gastronomie würden viele Beschäftige vom 12-Euro-Mindestlohn profitieren
       
       Berlin taz | Die Beißreflexe funktionieren wie immer wunderbar.
       CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kanzelte Forderungen des
       SPD-Parteitages zum Beispiel prompt als „Linksträumereien“ ab. Doch
       jenseits [1][des Theaterdonners] wird in der Großen Koalition bereits
       überlegt, wie Kompromisse aussehen könnten. Sie sind, anders als es die
       Drohgebärden vermuten lassen, durchaus möglich.
       
       Beispiel Mindestlohn. „Unser Ziel ist die perspektivische Anhebung des
       Mindestlohns auf 12 Euro“, heißt es [2][im Beschluss des SPD-Parteitages].
       Das Wort „perspektivisch“ ist wichtig, es öffnet Raum für Verhandlungen.
       Auch kleine Schritte über einen längeren Zeitraum sind denkbar. Der
       Mindestlohn wird von einer Kommission festgelegt, in der Vertreter von
       Arbeitgebern, Gewerkschaften und aus der Wissenschaft sitzen.
       
       Für eine Erhöhung des derzeit bei 9,19 Euro liegenden Mindestlohns kommen
       zwei Wege in Frage: Die Koalition könnte die Kommission übergehen und die
       Aufstockung politisch festlegen. Oder sie könnte die Erhöhung der
       Kommission überlassen, die dafür einen geänderten Arbeitsauftrag bräuchte.
       Die SPD tendiert in die zweite Richtung. Die Sozialpartner bräuchten „einen
       besseren Rahmen, um ihrer Aufgabe für die Aushandlung eines angemessenen
       Mindestlohns (…) gerecht werden zu können“, heißt es in dem Beschluss.
       
       Wichtig ist, dass eine Nachverhandlung sowieso ansteht. Eine Koalition aus
       CDU, CSU und SPD hatte das Gesetz, das den Mindestlohn regelt, im Jahr 2014
       beschlossen. Darin heißt es: „Dieses Gesetz ist im Jahr 2020 zu
       evaluieren.“ Der Gesetzgeber hatte also die Verabredung eingebaut, den
       Mindestlohn zu überprüfen. Die SPD interpretiert den Satz so, dass auch
       vereinbart wurde, den Mindestlohn weiterzuentwickeln.
       
       ## CDU-Arbeitnehmer dafür
       
       Damit ist sie nicht allein. Der Arbeitnehmerflügel in der CDU, die
       Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), macht sich ebenfalls für
       eine Erhöhung stark – und wirft der Mindestlohn-Kommission Versagen vor.
       „Die Entwicklung des Mindestlohns ist eine Riesenenttäuschung“, sagte
       CDA-Chef Karl-Josef Laumann der Bild-Zeitungvor dem CDU-Parteitag im
       November. Eine Erhöhung des Mindestlohns um 69 Cent in 5 Jahren sei
       beschämend. „Wer jeden Tag schuften geht, hat mehr als 9,19 Euro die Stunde
       verdient.“
       
       Die Minierhöhungen kommen zustande, weil sich die Kommission an der
       Entwicklung der Tariflöhne orientiert. Der Rest ist Mathematik: Ein
       prozentualer Aufschlag, der für ein Facharbeitergehalt ordentlich ist,
       wirkt sich bei einem niedrigen Lohn weniger aus.
       
       Die CDA setzte auf dem CDU-Parteitag Ende November deshalb einen
       Kurswechsel durch. Die Delegierten beschlossen, die Mindestlohn-Kommission
       aufzufordern, „sich eine neue Geschäftsordnung zu geben und von der geübten
       Praxis einer quasi-automatischen Erhöhung anhand des Tarifindexes
       abzurücken“. Heißt: Auch die CDU will offiziell einen höheren Mindestlohn,
       den allerdings die Kommission beschließen soll.
       
       ## Arbeitgeber sperren sich
       
       Aber täte sie das? CDA-Chef Laumann sagte am Montag, dass es in der
       Mindestlohn-Kommission keine Mehrheit gebe, um die Geschäftsordnung zu
       ändern. Das müsse nun aufgebrochen werden.
       
       Die Mitglieder der Mindestlohn-Kommission könnten mit einer
       Zweidrittelmehrheit beschließen, über die Tarifentwicklung hinauszugehen.
       Doch die drei Arbeitgebervertreter verfügen über eine Sperrminorität. Und
       jene haben kein Interesse an großen Aufschlägen.
       
       Durch eine außerordentliche Erhöhung würden „zahlreiche vor allem regionale
       Branchentarifverträge außer Kraft gesetzt“, argumentierte Steffen Kampeter,
       Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). „Solch
       ein Vorgehen würde den Sinn von Tarifverträgen und der Sozialpartnerschaft
       aushöhlen und damit die Tarifbindung schwächen.“ Die Kommission blockiert
       sich also selbst.
       
       ## DGB fordert Entscheidung
       
       Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der ebenfalls den
       12-Euro-Lohn fordert, ist deshalb die Politik gefragt. Die Evaluierung des
       Gesetzes 2020 „sollte die Politik nutzen, um eine einmalige Niveauanhebung
       auf 12 Euro durchzusetzen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell.
       Aber auch der DGB ist kompromissbereit. Ob dies in mehreren Schritten oder
       auf einen Schlag passieren solle, „ist noch zu diskutieren“, sagte Körzell.
       „Danach sollte die Kommission ihre Arbeit fortsetzen.“
       
       Für Union und SPD gibt es viele Wege, einen Kompromiss zu finden. Sie
       können auf die Kommission bauen – und lediglich einen Appell verfassen.
       Oder sie greifen politisch ein. In moderaten Schritten und zeitlich so
       gestreckt, dass es für beide Seiten tragbar ist.
       
       Freuen könnte sich die Erfinderin des 12-Euro-Mindestlohns, die
       Linkspartei, die ihn schon 2013 im Wahlprogramm forderte. Damit betrage er
       60 Prozent des nationalen Durchschnittslohns, so das Argument. Der
       Linke-Abgeordnete Klaus Ernst hatte dann im April 2016 eine gute Idee. Er
       fragte das Arbeitsministerium, wie hoch ein Lohn sein müsste, um nach 45
       Beitragsjahren eine Rente über der Grundsicherung zu bekommen. Antwort: Im
       Jahr 2016 wäre ein Stundenlohn von 11,68 Euro erforderlich gewesen. Die
       Bundesregierung musste also erklären, dass ihr eigener Mindestlohn in die
       Altersarmut führt.
       
       Auch aus dieser Anfrage leitete sich die Forderung nach 12 Euro ab. Auch
       diese ist schon wieder veraltet. Die Bundesregierung rechnete 2018 auf
       Anfrage der Linke-Fraktion vor, dass ein Mindestlohn von 12,63 Euro nötig
       wäre, um im Alter über die Grundsicherung zu kommen.
       
       9 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
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