# taz.de -- #metoo auf Arabisch: Ein leiser Aufschrei wird lauter
       
       > Vor zwei Jahren nahm die #metoo-Bewegung international Fahrt auf. In der
       > arabischen Welt gab es nur vereinzelt Stimmen – bis heute.
       
 (IMG) Bild: „Stoppt die Gewalt gegen Frauen!“
       
       Tunis dpa | Der Aufschrei in Tunesien beginnt mit einer heruntergelassenen
       Hose. Mitte Oktober, fast genau zwei Jahre nach dem Beginn der
       [1][#metoo-Bewegung], teilt eine Schülerin mehrere Fotos in den sozialen
       Netzwerken. Ein älterer Mann mit Schnurrbart sitzt in einem Auto vor einer
       Schule, die Hose heruntergelassen, die Augen geschlossen. Mutmaßlich
       masturbiert er. Der Mann wurde erst wenige Tage zuvor als Abgeordneter ins
       tunesische Parlament gewählt. Er sagt später, er habe in eine Flasche
       uriniert.
       
       Schnell werden die Fotos auf Twitter und Facebook geteilt. Dazu der
       Hashtag: #EnaZeda. #metoo in tunesischem Arabisch. In einer
       [2][Facebook-Gruppe mit gleichem Namen], in der aktuell mehr als 25.000
       Menschen Mitglied sind, erzählen vor allem junge Frauen von ihren
       Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen.
       
       „Ich war so stolz, als ich mit 14 Jahren auf eine gute Schule gehen
       konnte“, schreibt Nutzerin Yosr. „Bis ich den öffentlichen Nahverkehr
       nutzen musste. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft meine Freundinnen und
       ich verbal und physisch belästigt wurden.“ Viele Frauen berichten
       Ähnliches. Jungs und Männer, die sich in den überfüllten Bussen und Bahnen
       an den Frauen reiben. Hände, die plötzlich Hintern oder Brüste begrapschen.
       Vorgesetzte, die sich allein mit untergebenen Frauen treffen und
       „Gefälligkeiten“ einfordern.
       
       Als #metoo vor zwei Jahren durch die US-amerikanische Schauspielerin Alyssa
       Milano immer populärer wird, geht der Hashtag um die Welt. Auf einer
       [3][visualisierten Weltkugel] im Internet kann man sehen, wie der Hashtag
       überall aufleuchtet und erst die USA, dann Europa und auch Indien zum
       Glühen bringt. Die arabische Welt bleibt dunkel in der Darstellung. Nur ab
       und an flackert ein kleines Licht in den vergangenen Jahren auf.
       
       „Obwohl die Debatten und Lebensrealitäten vieler Frauen relativ ähnlich
       sind, hat es #metoo in den arabischen Ländern nicht so gegeben, wie in den
       USA oder Europa“, sagt die Publizistin und muslimische [4][Feministin Sineb
       El Masrar]. Einerseits spiele besonders die Erziehung in den Familien eine
       wichtige Rolle, wo schon Mädchen beigebracht werde, lieber den Mund zu
       halten und nicht aufzubegehren. „Andererseits haben diese Frauen, die
       protestieren, viel mehr zu verlieren und sind eigentlich noch mutiger als
       die Frauen im Westen. Es geht da um existenzielle Bedrohungen“, sagt die in
       Deutschland lebende Publizistin.
       
       ## Nicht #metoo, sondern #mosquemetoo
       
       Das Spannende in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas sei es, dass
       die Frauen die #metoo-Bewegung nicht einfach kopierten, sondern sie nach
       eigenen Bedürfnissen weiterentwickelten. In den vergangenen zwei Jahren
       haben sich mehrere Hashtags in den unterschiedlichen Ländern verbreitet,
       die aber alle Gewalt und sexuelle Übergriffe gegen Frauen in den Blick
       nehmen.
       
       Unter dem Stichwort #mosquemetoo erzählten Frauen weltweit von sexuellen
       Übergriffen in Moscheen oder bei der Pilgerfahrt nach Saudi-Arabien. Die
       Frauen wollten damit auch mit dem Klischee brechen, dass freizügig
       gekleidete Frauen selbst Schuld seien.
       
       „Gerade hat mir so ein widerlicher Typ außerhalb der Moschee in Mekka an
       den Hintern gepackt“, schrieb Nutzerin Nadwaa. „Ich war vom Kopf bis zu den
       Zehen verschleiert. Nicht, dass wir nicht noch einen Beweis gebraucht
       hätten. Es geht nicht darum, was ein Mädchen trägt.“
       
       ## Globales Schlusslicht
       
       Im Nahen Osten und Nordafrika sind Frauen – ebenso wie im Rest der Welt –
       bis heute vielfach Sexismus, offener Diskriminierung und patriarchaler
       Bevormundung oder Schlimmerem ausgesetzt. Mehr als ein Drittel der Frauen
       hat in der Region nach UN-Angaben mindestens einmal im Leben Gewalt erlebt.
       14 Prozent der arabischen Mädchen heiraten, bevor sie 18 Jahre alt sind.
       
       Auch das Weltwirtschaftsforum (WEF) sieht die Region als globales
       Schlusslicht beim Thema Gleichberechtigung. So schaffte es im WEF-Ranking
       bei Fragen etwa zu gleichen wirtschaftlichen Chancen, gleicher Bildung,
       Gesundheit und Beteiligung am politischen Leben kein einziges arabisches
       Land unter die ersten 100 von 149 Plätzen.
       
       „Die Frauen in der Region und in aller Welt entscheiden sich nicht
       freiwillig dazu, belästigt zu werden“, schrieb die
       [5][Menschenrechtsaktivistin Jara al-Wasir in einer Kolumne], als #metoo
       aufkam. „Wenn Frauen in der Region nur ein bisschen die Hoffnung hätten,
       dass sich tatsächlich etwas ändern würde, wenn sie über sexuelle Gewalt
       sprechen, dann würden sie es auch tun.“ Stattdessen mache man sich oft nur
       noch angreifbarer – auch von anderen Frauen.
       
       ## Sexuelle Gewalt als Waffe
       
       Schon während des sogenannten „Arabischen Frühlings“ 2011 wurden vor allem
       in Kairo gezielt sexuelle Übergriffe zur Einschüchterung von
       Demonstrantinnen eingesetzt. Im ägyptischen Fernsehen rief vor einiger Zeit
       ein konservativer Anwalt dazu auf, dass es die Pflicht jeden Mannes sei,
       Mädchen zu vergewaltigen, die mit zerrissenen Hosen öffentlich herumliefen.
       Er wurde schließlich zu drei Jahren Haft und einer Geldstrafe verurteilt.
       
       Dennoch zeigen auch Fälle wie die steigende Zahl von Asylanträgen aus
       Saudi-Arabien oder die spektakulären Fluchtversuche von Frauen aus dem
       Herrscherhaus in den Emiraten, dass Frauen in einigen Ländern großer Gewalt
       ausgesetzt sind.
       
       Auch wenn große Umwälzungen wohl noch länger auf sich warten lassen, sieht
       Publizistin Sineb El Masrar die Proteste in den einzelnen Ländern als einen
       Erfolg. „Jeder Protest bewirkt etwas.“ In Tunesien, das bei den
       Frauenrechten zu den fortschrittlichsten Ländern der Region gehört, gehen
       die Proteste weiter. Der Mann von den Fotos, die hier #metoo ausgelöst
       haben, hat inzwischen seinen Amtseid als Abgeordneter abgelegt.
       
       24 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Studie-zu-Metoo-am-Arbeitsplatz/!5636148
 (DIR) [2] https://www.facebook.com/groups/501115630620276/
 (DIR) [3] https://metoorising.withgoogle.com/
 (DIR) [4] /Essay-Islamischer-Feminismus/!5324213
 (DIR) [5] https://english.alarabiya.net/en/views/news/middle-east/2017/10/22/Why-aren-t-more-Arab-women-saying-MeToo-.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simon Kremer
       
       ## TAGS
       
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