# taz.de -- Migrationspolitik in Europa: Wer darf Italiener werden?
       
       > Die neue Koalition von Partito Democratico und Fünf-Sterne liegt im
       > Streit. Sie zofft sich um die Einbürgerung von Immigrantenkindern.
       
 (IMG) Bild: Nächster Schritt Einbürgerung: Ein tunesischer Migrant zeigt seinen vorläufigen Ausweis
       
       Rom taz | So kennt man Nicola Zingaretti eigentlich nicht. Als er am
       vergangenen Sonntag in Bologna auf dem kleinen Parteitag der gemäßigt
       linken Partito Democratico (PD) die Programmlinien skizzierte, die er
       [1][in der Regierungskoalition mit den Fünf Sternen] verfolgen will,
       brüllte der Parteivorsitzende – gewöhnlich ein Mann der ruhigen Töne –
       förmlich eines der ihm wichtigen Anliegen heraus. „Das Ius soli und das Ius
       culturae sind eine klare Richtungsentscheidung der Partei“, schrie er in
       den Saal, und die Delegierten dankten es ihm mit stürmischem Applaus.
       
       Es geht um nicht weniger als die einschneidende Reform des italienischen
       Staatsbürgerrechts: In Zukunft sollen, wenn es nach Zingaretti und der PD
       geht, die Kinder von Migranten, die in Italien geboren oder dort
       aufgewachsen sind, die italienische Staatsbürgerschaft erhalten.
       
       Von immerhin einer Million minderjähriger junger Menschen ist da die Rede:
       von den Töchtern und Söhnen der in den letzten Jahrzehnten gekommenen
       Einwanderer. Bisher können sie den italienischen Pass erst beantragen, wenn
       sie den 18. Geburtstag hinter sich haben.
       
       Zingaretti dagegen will, dass sie schon als Minderjährige die
       Staatsbürgerschaft erwerben können, wenn sie in Italien geboren sind und
       wenigstens einer die beiden Eltern einen festen Aufenthaltsstatus im Land
       hat (Ius soli) oder wenn sie in Italien einen fünfjährigen schulischen
       Zyklus – die Grund- oder auch die Oberschule – abgeschlossen haben (Ius
       culturae).
       
       ## Salvini verspricht „Barrikaden im Parlament“
       
       Zingaretti lanciert seinen Vorschlag in einem Land, [2][in dem die
       populistische Rechte mit großem Erfolg gegen Migranten trommelt], in dem
       Matteo Salvinis Lega mit ihrer „Italiener zuerst!“-Rhetorik in den
       Meinungsumfragen mittlerweile bei 32 Prozent liegt und die ebenfalls rüde
       ausländerfeindlichen, postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI – Brüder
       Italiens) auf 10 Prozent aufgestiegen sind.
       
       Salvini ließ sich denn auch umgehend in einem Video-Post vernehmen, in dem
       er grinsend erklärte, die Italiener wüssten jetzt, „was sie bei der PD
       bekommen“. Was die Kinder der Migranten bei Salvini bekommen, ist
       hinlänglich bekannt: Immer wieder verkündet er, die Staatsbürgerschaft sei
       „kein Ticket für den Vergnügungspark“, und auch jetzt wieder verspricht er
       „Barrikaden im Parlament“, sobald die PD dort ihr Reformvorhaben auf die
       Tagesordnung setzen werde.
       
       Da mag Giorgia Meloni, die Vorsitzende der FdI, nicht zurückstehen. Die PD
       habe jetzt „die Maske fallen lassen“, erklärte sie, Zingaretti benutze die
       Minderjährigen „als menschliche Schutzschilde“, in Wirklichkeit nämlich
       gehe es ihm gar nicht bloß um die nachwachsenden Generationen aus
       Migrantenfamilien, sondern darum, „allen die Staatsbürgerschaft automatisch
       zu schenken“. Auch Meloni will sich am Barrikadenbau beteiligen, nicht bloß
       im Parlament, sondern auch „im Land“.
       
       So weit, so vorhersehbar. Weniger vorhersehbar war, dass Luigi Di Maio,
       Chef des Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) und Außenminister,
       seine Koalitionspartner von der PD völlig undiplomatisch abblitzen ließ.
       Den Aufhänger seiner kühnen Argumentation fand er in der Tatsache, dass am
       letzten Sonntag – als Zingaretti auf dem PD-Kongress sprach – gerade
       Venedig von einer Jahrhundertflut heimgesucht wurde.
       
       ## Fünf-Sterne-Bewegung geht auf Distanz
       
       „Das halbe Land steht unter Wasser“, erregte sich Di Maio, „und er denkt an
       das Ius soli, ich bin fassungslos!“ Allzu offenkundig treibt den M5S-Chef
       die Angst, er könne Salvini eine weitere offene Flanke bieten und so den
       Aderlass von Wählern der Fünf Sterne Richtung Lega weiter verstärken.
       
       Auf Distanz ging aber auch Stefano Bonaccini, der Gouverneur der
       Emilia-Romagna aus den Reihen von Zingarettis PD. Auch er glaubt, das Land
       habe „andere Prioritäten“. Am 26. Januar 2020 stehen in der Region Wahlen
       an, und Bonaccini will seine Wiederwahl nicht durch heikle Themen wie die
       Staatsbürgerschaftsfrage gefährden.
       
       Dabei hätte ihm ein Blick in die Meinungsumfragen helfen können. Stolze 67%
       der Italiener begrüßen die von Zingaretti vorgeschlagene Reform des
       Staatsbürgerrechts. Bei den PD-Wählern sind es gar 93% – unter den
       Lega-Anhängern aber immerhin noch 46%.
       
       22 Nov 2019
       
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 (DIR) Michael Braun
       
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