# taz.de -- Die Wahrheit: Bürgerkrieg im Platteland
       
       > Beim Streit über den Zwarten Piet haben die Niederländer jetzt endlich
       > einen passenden Ersatz gefunden: den Moffenpiet.
       
 (IMG) Bild: Sinterklaas und die Zwarten Pieten laufen beim „Intocht“ in den Hafen von Scheveningen ein
       
       „Zu welcher Pieten-Fraktion gehören Sie denn?“, fragt der Einsatzleiter,
       noch bevor wir uns als neutrale Beobachter aus Deutschland zu erkennen
       geben können. Wir besuchen den „Sinterklaasintocht“, den feierlichen Einzug
       des heiligen Nikolaus ins Örtchen Kerkduinensluisjedijk. In diesem
       idyllisch zwischen Deich, Dünen und Schleuse gelegenen niederländischen
       Kirchspiel wird der diesjährige Höhepunkt der beliebten Sinterklaas-Unruhen
       ausgetragen, die traditionell die Vorweihnachtszeit zwischen Brabant und
       Friesland prägen.
       
       Begleitet wird die holländische Version des Nikolaus nämlich von den
       „Zwarten Pieten“, einer Schar subalterner Knechte, über deren Aussehen im
       Polderland seit Jahren erbittert gestritten wird.
       
       Die eine Seite argumentiert, dass die schwarz geschminkten Gestalten mit
       den dick aufgemalten roten Lippen, Afroperücken und goldenen Ohrringen
       herabwürdigende, rassistische Darstellungen schwarzer Menschen sind, die
       gerade angesichts der niederländischen Kolonialgeschichte kaum mehr
       akzeptabel sind, die andere Seite hat Baseballschläger mitgebracht.
       
       „Wo ist denn mehr los?“, fragen wir arglos, und der Einsatzleiter verweist
       auf den wütenden Mob jenseits der schwelenden Barrikaden, die aus
       Traktorreifen und Frikandeln aufgeschichtet wurden. Dort haben sich die
       Anhänger der Tradition versammelt, die hauptsächlich vom „Platteland“
       stammen, wie die gülleverseuchte Provinz der Oranje-Monarchie von ihren
       Verächtern genannt wird, die freilich in ebenso platten Ballungsgebieten
       wohnen.
       
       ## Rußflecken im Gesicht
       
       Die Traditionalisten wachen darüber, dass der „pikzwarte Piet“ auch nicht
       um den Hauch einer Nuance aufgehellt wird. Sogar der „Roetvleegpiet“ mit
       seinen Rußflecken im Gesicht, den das niederländische Kinderfernsehen als
       Kompromisskandidaten aus dem Schornstein zauberte, gilt ihnen als
       Beleidigung aufrechten Holländertums.
       
       Die Motive für ihre Wut sind vielfältig, sie reichen von einem diffus
       beleidigten Gefühl der Abgehängtheit bis zu einem abgehängten Gefühl
       diffuser Beleidigtheit. Aber auch Alkohol ist im Spiel. „Beim Nikolaus ist
       einfach mehr Randale“, erklärt uns ein kampferprobter Alkmaar-Hooligan, der
       erst kürzlich vom Fußballsport zum christlichen Brauchtum gewechselt ist,
       während er sich von seinen Spielkameraden zum Blackface salben lässt.
       
       Doch finden sich auch nachdenkliche Stimmen unter den Traditionalisten.
       „Mir ist der Respekt vor den verschiedenen Kulturen ganz wichtig“, lässt
       uns ein Mittvierziger wissen. „Und zu meiner Kultur gehört eben ein
       gerüttelt Maß Alltagsrassismus.“
       
       Die Mehrheit der schwarz getünchten Pietisten kann jedoch beim besten
       Willen keinen Rassismus entdecken. „Es geht uns allein darum, ein
       fröhliches Kinderfest zu feiern“, bölkt etwa ein blonder Holland-Hulk in
       Springerklompen und poliert seinen „Honkbalknuppel“, zu dem der
       Baseballschläger im notorisch putzigen Idiom der Niederländer verniedlicht
       wird.
       
       Die Polder-Pegida scheint bereit, das Menschenrecht des Abendländers auf
       Schuhcreme im Gesicht mit dem Leben zu verteidigen. Vorzugsweise mit dem
       Leben von Anhängern der Gegenpartei, die sich auf der anderen Seite der
       Hauptgracht von Kerkduinensluisjedijk versammelt haben. Zu diesen gesellen
       wir uns, nachdem es uns endlich gelungen ist, die Polizeiketten zu
       durchbrechen. Unter dem höchst inklusiven Motto „Kick Out Zwarte Piet“
       versuchen die in der Provinz zahlenmäßig unterlegenen Progressiven, den
       Traditionalisten umso lauter ins Gewissen zu brüllen.
       
       Als Sinterklaas und seine Zwarten Pieten auf seiner von rotnasigen
       Seehunden gezogenen Schaluppe endlich die Gracht entlangtreideln, prasselt
       ein Schauer von Verbalinjurien und faulen Tulpenzwiebeln auf die jeweils
       andere Seite nieder. Die Kinder, die hinter den uniformierten Reihen der
       Polizei auszumachen sind, zeigen sich durchweg begeistert vom Umzug. Sie
       dürfen nicht nur mit einer Handvoll Süßigkeiten vom Nikolaus, sondern auch
       mit deutlich erweitertem obszönen Vokabular und einem nuancierteren Bild
       vom Erwachsensein nach Hause gehen.
       
       Mittlerweile sind die Niederlande in der Frage so gespalten, dass der
       Bürgerkrieg bis weit in die Matjes-Saison andauern könnte. Denn sogar das
       holländische Lieblings-Schisma, ob der fermentierte Fisch nun mit oder ohne
       Labberbrötchen zu verspeisen ist, droht hinter dem Streit über den
       pigmentierten Piet zu verblassen.
       
       ## Alternative Nikolaushelfer
       
       Den nationalen Zusammenhalt der Niederländer kann jetzt nur noch ein Wunder
       retten, alternative Nikolaushelfer wie der „Regenboogpiet“, der käsig-gelbe
       „Goudse Piet“ oder der abstrakte „Mondriaan-Piet“ konnten bislang höchstens
       regional Erfolge feiern. Eine konsensfähige Figur muss gefunden werden, die
       zwar ein herabwürdigendes Stereotyp darstellt, aber eines, an dem Holländer
       aller Hautfarben, Religionen und Überzeugungen ihre helle Freude haben.
       
       Im Örtchen Sluisjeduinenkerkendijk, das auf dem Nachbarpolder von
       Kerkduinensluisjedijk dem Meer abgerungen wurde, scheint man nun eine
       Lösung gefunden zu haben. Als wir den dortigen Sinterklaasintocht besuchen,
       herrscht im ganzen Ort einträchtige Feierstimmung, obwohl der
       Wallebart-Nikolaus in einem martialischen Weltkriegs-Panzer um die
       gedrungenen Backsteinhäuser braust.
       
       Begleitet wird der Nikolaus von Sluisjeduinenkerkendijk in diesem Jahr von
       kackbraun geschminkten „Moffenpieten“. Ein ganzer Sturmbann der ulkigen
       Handlanger, ausgestattet mit Bierbauch, Stahlhelm und Monokel paradiert im
       Stechschritt an den Zuschauern entlang, wenngleich die lächerlichen Figuren
       zum Vergnügen des Publikums immer wieder über die eigenen Herrensandalen
       stolpern.
       
       Während sich die Erwachsenen samt und sonders vor Lachen ausschütten,
       schauen die Kinder reichlich ängstlich. Der Moffenpiet, hat ihnen offenbar
       jemand mahnend zugeraunt, steckt die unartige Kinder nicht einfach in den
       Sack, der Moffenpiet steckt sie ins Lager. Das war zugegebenermaßen nicht
       besonders nett von uns, aber so sind wir Deutschen eben. „Jong geleerd is
       oud gedaan“, wie der Holländer sagt.
       
       25 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Bartel
       
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