# taz.de -- Wahlen in Spanien: Regierung, jetzt?
       
       > Am Sonntag wird in Spanien ein neuer Ministerpräsident gewählt. Doch der
       > Frust der Bevölkerung könnte vor allem den Rechten zugutekommen.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen den geschäftsführenden Ministerpräsidenten Pedro Sánchez in Viladecans am 30. Oktober
       
       Madrid taz | Pedro Sánchez würdigt seine vier Mitbewerber keines Blickes.
       Nur, wenn er vermutet, dass die Kamera auf ihn gerichtet ist, lächelt er.
       Und auch sonst macht der geschäftsführende spanische Ministerpräsident bei
       der einzigen Fernsehdebatte vor den Neuwahlen am kommenden Sonntag alles,
       außer zu debattieren: Er gibt einstudierte Statements ab, liest dabei immer
       wieder vom Blatt. Staatsmännisch sei das gewesen, heißt es später aus den
       Reihen seiner Berater.
       
       [1][Zum vierten Mal in vier Jahren müssen die Spanier wählen]. Das letzte
       Mal haben sie im Mai dieses Jahres ihre Stimme abgegeben. Sechs Monate
       später ist Spanien immer noch ohne gewählte Regierung, und das mitten in
       einem heftigen Aufflammen des Katalonien-Konflikts.
       
       Sánchez verspricht eine „fortschrittliche, stabile Regierung“. Wäre es nach
       ihm gegangen, würde er „sein Projekt für das Land“ schon lange umsetzen,
       betont er immer wieder. Doch die restlichen Parteien hätten ihn nicht
       gelassen, so sein Hauptargument im gesamten Wahlkampf. Sánchez sieht sich
       als Opfer – alle gegen einen.
       
       Doch auch bei der Bevölkerung sitzt der Frust tief. Wer trägt die Schuld an
       der Misere, die vor allem den Rechten zugutekommen könnte?
       
       ## Links Feinde, rechts Feinde
       
       Als Sánchez’ Sozialisten (PSOE) die Wahlen im Mai gewannen, war klar, dass
       sie zum Regieren einen Partner brauchen würden. Doch in fünf Monaten bekam
       Sánchez nur die Unterstützung eines einzigen Abgeordneten einer kleinen
       Regionalpartei. Mit der linksalternativen Unidas Podemos (UP) – einer
       Gemeinschaftskandidatur aus Podemos, Izquierda Unida, der grünen Partei
       Equo und anderen kleineren Linksparteien – kam es zu keiner Einigung. Sie
       enthielten sich im Juli bei einer ersten Abstimmung, da ihnen die von
       Sánchez angebotenen drei Ministerien nicht ausreichten.
       
       Nach der Sommerpause weigerte sich Sánchez endgültig, linksalternative
       Minister ins Kabinett aufzunehmen, und verlangte von der UP die
       Unterzeichnung eines gemeinsam ausgehandelten Regierungsprogramms, um dann
       alleine zu regieren, ohne nennenswerte Gegenleistung. Es war das Ende der
       Gespräche. Seither beschimpft Sánchez die UP als „vorgetäuschte Linke“, die
       nur ein Ziel habe, nämlich „die Sozialisten nicht regieren zu lassen“.
       
       Rechts von ihm hingegen, so Sánchez, stehe eine „Mauer der Blockade“,
       bestehend aus der konservativen Partido Popular (PP), der rechtsliberalen
       Ciudadanos (Cs) und der rechtsextremen Partei VOX. Sánchez hatte nach den
       Wahlen im April immer wieder verlangt, dass sich PP und Cs – ebenfalls ohne
       jede Gegenleistung – enthalten, damit er vom Parlament zum neuen
       Ministerpräsidenten gewählt werden könne. Sie taten ihm den Gefallen nicht.
       Neuwahlen wurden unumgänglich. „Nur die PSOE garantiert, dass die Blockade
       jetzt aufgehoben wird“, predigt Sánchez im Wahlkampf. Eigene Fehler bei den
       gescheiterten Regierungsverhandlungen gesteht er nicht ein.
       
       Das Kalkül des Sozialisten ist offensichtlich. „Die PSOE würde im Falle
       einer erneuten Wahl mit knapp 40 Prozent haushoch gewinnen“, so ungefähr
       titelten im September, kurz vor dem Abbruch der Gespräche zwischen PSOE und
       Unidas Podemos, alle Zeitungen des Landes. Die Umfrage des
       Meinungsforschungsinstitutes CIS, an dessen Spitze Sánchez einen seiner
       Vertrauten aus dem PSOE-Parteivorstand gesetzt hatte, sagte den Sozialisten
       11 Prozentpunkte mehr als im April und über 150 statt 123 Parlamentssitze
       voraus.
       
       Sánchez sprach vom „besten Moment“ für seine Partei. Die Versuchung, auf
       Neuwahlen statt auf eine Einigung zu setzen, war groß. Zu groß. „Am 10.
       November haben wir die Gelegenheit, die Dinge viel klarer zu sagen“, wirbt
       Sánchez seither für sich als „einzige Option einer stabilen Regierung“.
       
       ## Die Spanier sind wahlmüde
       
       Doch er hatte die Rechnung ohne die Spanier gemacht. Sie sind wahlmüde,
       besonders die Linken. Im April war ihre Wahlbeteiligung noch gestiegen, aus
       Angst vor einer Dreierkoalition aus konservativer PP, rechtsliberaler Cs
       und rechtsextremer VOX, wie sie in mehreren Regionen und Rathäusern bereits
       Realität ist.
       
       Die Hoffnung auf eine „fortschrittliche Regierung“, für die sowohl die
       Sozialisten als auch die Linksalternativen geworben hatten, war groß. Aber
       jetzt lassen die nach Jahren der Kürzungen so dringend notwendigen sozialen
       Maßnahmen wie die Erhöhung des Pflegegeldes, die Anpassung der Renten oder
       die Rücknahme einer unsozialen Arbeitsmarktreform weiter auf sich warten.
       Während die geschäftsführende Regierung kaum Handlungsspielraum hat, geht
       das Wirtschaftswachstum zurück. Und Umfragen belegen, dass die
       Arbeitslosigkeit erstmals seit sieben Jahren wieder die Hauptsorge der
       spanischen Bevölkerung ist.
       
       „Die Wähler haben ihre Arbeit gemacht, die Politiker nicht“, sagt Iñigo
       Errejón. Der einstige Podemos-Abgeordnete will jetzt mit seiner eigenen
       Liste „Más País“ (Mehr Land) den Frust der Linken kanalisieren. Er
       beschuldigt PSOE und UP, den drei Rechtsparteien eine neue Chance geschenkt
       zu haben.
       
       Sánchez hat nicht nur die Enttäuschung der Linken unterschätzt, er hat auch
       vergessen, dass zwischen gescheiterten Regierungsverhandlungen und
       Neuwahlen zwei Monate vergehen, in denen die Welt nicht einfach stehen
       bleibt.
       
       Seit Mitte Oktober neun katalanische Unabhängigkeitspolitiker und
       Aktivisten zu 9 bis 13 Jahren Haft verurteilt wurden, überschatten die
       Proteste in der nordostspanischen Region rund um Barcelona alles. Sánchez
       reagiert mit Polizei, verweigert den Dialog, spricht von der Einheit
       Spaniens, anstatt wie früher auf ein föderales Staatsmodell zu setzen.
       
       Doch außerhalb Kataloniens bringt der Konflikt vor allem Stimmen für die
       Rechten. Sie fordern, Katalonien unter Zwangsverwaltung zu stellen, weitere
       Politiker zu verhaften, und werfen Sánchez vor, zuzusehen, wie Spanien
       auseinanderfällt. Und sie beschuldigen ihn der Komplizenschaft mit den
       Katalanen, da er einst das Misstrauensvotum auch mit ihren Stimmen gewann.
       
       ## Wahlbeteiligung der Rechten ist stabil
       
       Auch deshalb könnte es am Sonntag eng werden. Die Anträge auf Briefwahl
       sind im Vergleich zu April um 30 Prozent zurückgegangen. Und die Erfahrung
       zeigt, dass viele Linke je nach Stimmung an die Urne gehen oder eben nicht,
       während die Beteiligung der Rechten von jeher sehr stabil ist.
       
       Die sozialistische PSOE liegt in den Umfragen mittlerweile unter dem
       Ergebnis vom April. Die linksalternative UP muss ebenfalls mit Verlusten
       rechnen. Más País wird dies nur teilweise auffangen können. Bei den Rechten
       macht die konservative PP, die im April ihr schlechtestes Ergebnis aller
       Zeiten erzielte, wieder Terrain gut. Und was am schwersten wiegt: Die
       Umfragen sehen die rechtsextreme VOX als drittstärkste Partei. Sollte es zu
       einer rechten Mehrheit im neuen Parlament kommen, werden sie mit ihrer
       ausländer-, frauen- und minderheitenfeindlichen Politik eine wichtige Rolle
       spielen.
       
       Noch sieht es danach aus, als würde ein solches Rechtsbündnis, wenn auch
       knapp, scheitern. Doch selbst dann geht das Kalkül für Sánchez nicht auf.
       Mit weniger Abgeordneten als bisher wird er von der UP noch schwerer die
       Duldung einer sozialistischen Alleinregierung verlangen können. Und die
       zweite Option, ein Bündnis mit der rechtsliberalen Cs, das nach den
       Aprilwahlen zumindest rechnerisch eine stabile Mehrheit ergeben hätte,
       verflüchtigt sich.
       
       Denn genau wie bei den Linken sehen die Umfragen auch bei Cs-nahen
       Wahlberechtigten eine starke Tendenz, am Sonntag zu Hause zu bleiben. Viele
       nehmen Parteichef Albert Rivera den Rechtsruck der letzten Monate übel. In
       mehreren Regionen regieren die Rechtsliberalen zusammen mit den
       Konservativen unter Duldung von VOX, anstatt sich den Sozialisten
       anzunähern.
       
       „Ahora, gobierno – Ahora, sí“ („Regierung, jetzt – Jetzt, ja“) heißt das
       Motto der groß angelegten Marketingkampagne, die Sánchez als fähigen
       Staatsmann aufbauen sollte. Der Link [2][ahoragobierno.com] auf den 30
       Millionen Flugblättern, die per Post verschickt wurden, führt auf eine
       Seite, die den Slogan zur Frage macht: „Regierung, jetzt? Und warum nicht
       in den vergangenen vier Monaten? Vielleicht, weil euch die Kürzel der
       Partei wichtiger waren als die Menschen?“
       
       Die Seite wurde vom Umfeld von Más País online gestellt. Das Marketingteam
       von Sánchez hatte vergessen, die Domain zu kaufen, bevor die Flugblätter in
       den Druck gingen.
       
       Es sind Anekdoten wie diese, die das ganze Drama der Wahlwiederholung
       verdeutlichen.
       
       10 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Spaniens-gescheiterte-Regierungsbildung/!5624580
 (DIR) [2] https://ahoragobierno.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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