# taz.de -- Pressefreiheit in Russland: Es gibt keine Sicherheit
       
       > Repressionen gegen Journalist*innen sind in Russland Normalität. Auf der
       > Medienkonferenz der OSZE will das aber niemand hören.
       
 (IMG) Bild: Nach kritischen Berichten über Polizei und Geheimdienst verhaftet: Journalist Iwan Golunow
       
       Moskau taz | Diana Katschalowa versucht es mit einem Witz. „Vielleicht
       sollte man die Duma dazu bringen, ein Gesetz anzunehmen, Gesetze zu
       befolgen“, sagt die St. Petersburger Journalistin. Witze waren zu
       Sowjetzeiten ein Ventil für die Menschen, den beschwerlichen Alltag zu
       ertragen.
       
       Katschalowa schreibt für die Nowaja Gaseta, die kreml-kritische Zeitung,
       deren Mitarbeiter*innen immer wieder bedroht werden, überfallen, manche
       umgebracht wurden. Aufgeklärt sind die wenigsten Taten, bis heute. Obwohl
       es doch so viele, so wunderbar geschriebene Gesetze gebe, wie viele –
       Journalist*innen, Anwält*innen, Funktionär*innen – hier, im Hotel Ukraina,
       einem der Stalin’schen Kolosse im Zuckerbäckerstil direkt an der Moskwa,
       oft betonen.
       
       Wenn die Gesetze aber an der willkürlichen Justiz und der Tatenlosigkeit
       der Ermittlungsbehörden scheitern, bleiben sie leere Worte. Katschalowas
       Witz bringt die Absurdität des Systems Putin, dem sich freilich nicht nur
       Journalist*innen im Land täglich stellen, auf den Punkt. Die Frauen und
       Männer im Saal lachen ein verhaltenes Lachen.
       
       Die [1][Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)]
       hat mit seinen russischen Gastgebern zu einer Konferenz geladen, die sich
       der „Medienfreiheit und der Sicherheit von Journalisten in Russland und den
       übrigen 56 OSZE-Teilnehmerstaaten“ widmen soll.
       
       ## „Jeder hat seine eigene Wahrheit“
       
       Eine durchaus bemerkenswerte Angelegenheit, sitzen doch hier
       Journalist*innen unabhängiger Zeitungen neben Journalist*innen von
       staatlichen Fernsehsendern. Solchen, die sagen: „In Russland dürfen
       Journalisten getötet werden, ohne dass sich jemand dafür verantworten
       muss“, neben solchen, die sich beklagen, „Propagandist“ genannt zu werden.
       
       Es ist eine Veranstaltung, die zeigen soll, wie gut es um die
       Pressefreiheit in Russland steht: Seht her, welchen Pluralismus wir haben,
       hier darf jede*r seine Meinung sagen, darf den Staat offen und scharf
       kritisieren! Und eine, bei der offensichtlich wird, dass diese
       Pressefreiheit nicht uneingeschränkt gilt.
       
       Wenn Sergej Lawrow, Russlands Außenminister, der jede Kritik an Druck und
       Repression in seinem Land mit Vorwürfen an die EU und die Ukraine zu
       umgehen weiß, sagt: „Jeder hat seine eigene Wahrheit. Mit anders bewerteten
       Auffassungen darf man die Bevölkerung nicht traumatisieren. Wir verteidigen
       die russische Tradition und die russische Kultur.“
       
       Auf dem [2][Index der Pressefreiheit], den Reporter ohne Grenzen jedes Jahr
       erstellt, liegt Russland in diesem Jahr auf Platz 149. Seit Jahren hat das
       Land die Position kaum verbessert. Lawrow sieht die Organisation als
       Werkzeug der Pariser Regierung und beklagt sich über Diskriminierung
       russischer Medien, in der Ukraine genauso wie in Großbritannien und
       Frankreich.
       
       Auch Anna Knischenko, Kriegsreporterin bei Russlands Auslandssender RT, der
       Russlands Sicht der Dinge verbreitet, zeigt sich geradezu entsetzt, warum
       die RT-Journalist*innen in so vielen Ländern so unbeliebt seien. „Die
       einfachste Erklärung: Wir sind doch an allem schuld“, sagt Lawrow. Es ist
       Russlands gewöhnliche Inszenierung als Opfer.
       
       ## „Wir“ gegen „sie“
       
       „Unsere, nicht unsere, eigene, fremde – das ist doch traurig“, sagt der
       Moderator Sergei Briljow, stellvertretender Generaldirektor des
       Staatssenders Rossija und Stichwortgeber Putins bei vielen seiner
       Auftritte. Doch genau diese Unterschiede ziehen sich durch die gesamte
       Veranstaltung.
       
       Ein ständiges „wir“ und „sie“. Wir, Russland, das immer in Habachtstellung
       ist, und sie, der Westen, der immer etwas auszusetzen hat. Wir, die
       Staatsjournalist*innen, denen Propaganda vorgeworfen werde, und sie, die
       Unabhängigen, die doch kaum Reichweite hätten. Wir, die Überregionalen, die
       die Welt erklären, und sie, die Regionalen für die alltäglichen
       Kleinigkeiten. Und über allen steht das Gesetz, das durchdachte und gut
       ausformulierte. Das manchmal angewandt wird, manchmal nicht. Sicherheit
       gibt es in Russland nicht. Weder für das „wir“ noch fürs „sie“.
       
       8 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.osce.org/de/media-freedom-and-development
 (DIR) [2] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/2019/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Inna Hartwich
       
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