# taz.de -- Die Wahrheit: Schmeiß weg, tritt sich fest!
       
       > Die Deutschen haben eine neue Leidenschaft: illegale Müllbeseitigung als
       > hipper Trendsport. Die Kommunen halten dagegen.
       
 (IMG) Bild: Typisch Berlin: Müll fürs Klima, aber immer Gerechtigkeit für die eigene Sache einfordern
       
       Der Herbst ist da, und das bedeutet für viele: raus in die Natur, Zeit für
       ausgiebige Wanderungen und erholsame Ausflüge. Rita Benke, 67, sammelt gern
       Pilze. Auch an diesem herrlich grauen Oktobervormittag schnürt sich die
       rüstige Erfurterin die Trekkingschuhe und schnappt sich ihren großen
       Strohkorb – nicht ohne diesen vorher bis zum Rand mit leeren Batterien und
       kaputten Glühbirnen zu füllen. „Wenn ich dem Wald schon etwas abtrotze,
       kann ich ihm auch etwas zurückgeben“, lacht sie. Neben der Pilzsuche ist
       das unerlaubte Entsorgen von Müll ihr liebstes Hobby, und das teilt sie mit
       immer mehr Deutschen.
       
       Wie jeder Hype hat auch das „Littering“ seine Gegner. In der Tat sehen es
       die Behörden gar nicht gern, wenn Familien bei der Sonntagstour eine
       Kofferraumladung ausrangierten PVC-Spielzeugs in der Tannenschonung
       verklappen. „Der Kampf gegen Wildmüllen ist ein Kampf gegen Windmühlen“,
       kalauert Mick Weichelt, Leiter einer kürzlich gegründeten Spezialeinheit
       des Ordnungsamts einer Gemeinde, die nicht genannt werden möchte, „damit
       die Bürger nicht argwöhnisch werden“.
       
       Solche „Waste Watchers“ gibt es in immer mehr Kommunen. „Wegen notorisch
       klammer Kassen musste die örtliche Polizei ein paar
       Körperverletzungsermittlungen ‚ins Leere laufen‘ lassen, das frei gewordene
       Budget steht nun unserer Abteilung zur Verfügung“, erklärt Weichelt. Erste
       Anschaffung: ein riesiger Greifhakenstock mit Teleskopstange, mit dem man
       nicht nur Müllsäcke aus Strauchwerk fischen, sondern auch in flagranti
       geschnappten Delinquenten in den Hintern zwicken kann – „ein bisschen
       albern, ja, unser Humor gilt als ziemlich trashig“.
       
       Darüber hinaus werden Müllspitzel beschäftigt, Privatpersonen mit dem
       Auftrag, ihre Nachbarschaft nach Umweltsündern auszukundschaften. Erik J.
       (auf Wunsch anonymisiert) ist einer von ihnen. Seit fünf Uhr in der Früh
       sitzt er mit einem Fernglas bewaffnet hinter einer Hecke gegenüber dem Haus
       einer Familie mit exjugoslawischem Migrationshintergrund. „Keine Ahnung,
       warum mir das Amt ausgerechnet diese Leute zugeteilt hat, das nennt man
       wohl Rasterfahndungsstrategie“, zuckt Erik Jahnke mit den Schultern und
       hält sich das Fernglas vor die Augen:
       
       ## Ertappte Beschattungs-Subjekte
       
       „Oha, die älteste Tochter zieht sich schon wieder um, zum zweiten Mal
       heute. Ich muss beobachten, ob sie die Wäsche aus dem Fenster in den
       Vorgarten wirft! Vorhin habe ich genauestens protokolliert, welche
       Kosmetikprodukte sie beim Duschen benutzt hat. Wehe, ich finde diese später
       nicht in der Gelben Tonne!“
       
       Jahnke fertigt auf seinem Notizblock eine Zeichnung des circa 20-jährigen
       Beschattungs-Subjekts an, fühlt sich dann ertappt, zerknüllt den Zettel und
       lässt ihn auf die Wiese fallen, zwischen Dutzende Zigarettenkippen, die
       während seiner Observation angefallen sind. „Ich habe das Gefühl, hier eine
       gute Sache zu leisten“, sagt Jahnke. Dass er für dieses Ehrenamt nicht
       bezahlt wird, kümmert ihn kaum; als Entschädigung bekommt er einen
       Gutschein für das Abladen von 500 Kilogramm Altmetall in einem
       Naturschutzgebiet.
       
       Die Littering-Szene wird immer kreativer. Eine beliebte Masche besteht
       darin, Elektroschrott und Papierfetzen in eine Box zu legen, „zu
       verschenken“ draufzuschreiben und diese am Straßenrand abzustellen. In
       Berlin wiederum formieren sich erste „Scrapper“-Banden: Wie die sogenannten
       Juicer sammeln sie nachts mit Kleintransportern leere Elektrotretroller
       ein, jedoch nicht um sie aufzuladen, sondern um sie aus reiner Freude am
       Vermisten in die Spree zu schmeißen – oder in den Volkspark Friedrichshain,
       wo die entledigten Scooter dann allerdings als Avantgarde-Kunst
       weiterverkauft werden.
       
       Dass die Berliner Stadtreinigung inzwischen eine neunköpfige Tauchergruppe
       hat, die jeden Tag rund dreißig E-Roller aus den Gewässern der Hauptstadt
       birgt, lässt die Scrapper kalt. „We all live in an orange submarine“, heißt
       der neue Herbstschlager im Berliner Untergrund als Antwort auf die im
       Trüben fischende BSR.
       
       Woher kommt die gewachsene Lust am Verschmutzen? Einige Forscher sprechen
       ernsthaft von „Mediterranisierung“: Weil es in unseren Gefilden wärmer
       wird, hielten sich die Menschen mehr im Freien auf, und wo viele Menschen
       sind, gibt es eben viel Abfall, zum Beispiel Männer.
       
       ## Tag der Zerbrochenen Tür
       
       Eine konkurrierende Theorie besagt, der Homo sapiens sei evolutionär
       betrachtet ein Homo aquarius, ein Wasserwesen, das danach strebt, sich den
       Boden unter den Füßen seinem Urelement so ähnlich wie möglich zu machen,
       und der Ozean ist nun mal voller Einwegverpackungen.
       
       Einen nicht unerheblichen Anteil habe die Broken-Window-Theorie, mutmaßt
       Sabine Georgi, die wir am Tag der Zerbrochenen Tür in der Hochschule
       Müllrose treffen: „Wenn wir irgendwo ein eingeschlagenes Fenster sehen,
       kriegen wir sofort Bock, noch mehr Scheiben zu zertrümmern, es macht halt
       enormen Spaß! Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe hier
       eigentlich Hausverbot wegen wiederholter Sachbeschädigung …“
       
       Unweit ihrer Lieblingspilzstelle macht Rita Benke derweil einen grausigen
       Fund. Auf einem Kleiderhaufen liegt ein Satz Winterreifen. „Ich fasse es
       nicht“, seufzt die Rentnerin. „Kleidung gehört neben den Fuchsbau da
       drüben, und Gummierzeugnisse aller Art stapeln wir säuberlich vor dem
       alten Weltkriegsbunker! Das habe ich doch extra mit wasserfester Farbe an
       den Kletterfelsen gepinselt. So viel Ordnung muss sein.“
       
       Denn dass sie ein globales Vorbild in Sachen Mülltrennung sind, das lassen
       sich die Deutschen nicht nehmen – auch als Wegwerfgesellschaft.
       
       30 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Torsten Gaitzsch
       
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