# taz.de -- US-Elektronikproduzent Huerco S: Nur Sound, sonst nichts
       
       > Der US-Ambient-Produzent und DJ Huerco S bestreitet beim Festival Berlin
       > Atonal einen Abend mit Künstlern seines Labels. Ein Porträt.
       
 (IMG) Bild: Schattiger Typ: Huerco S alias Brian Leeds vor der Skyline in Kansas City
       
       Kunst ist auch Ware – und Waren müssen Zwecke erfüllen. Fahrstuhlmusik etwa
       wurde parallel zum Bau der ersten Wolkenkratzer erfunden, damit Menschen,
       die nach oben fahren, nicht in Panik geraten. Später wurde aus Muzak
       Ambient. Heute steht dieser Begriff synonym für instrumentale elektronische
       Sounds ohne Beat, dafür weitgehend atmosphärisch klingend. Ambient soll
       vergessen lassen, dass überhaupt Musik läuft.
       
       Auch die Klangwelt des US-Produzenten Huerco S. firmiert unter diesem
       Rubrum. Während Ambient beim Einsortieren im Plattenladen sinnvoll
       erscheint, könnte Huerco S., der eigentlich Brian Leeds heißt und im
       Mittleren Westen der USA aufgewachsen ist, von den Eigenschaften, die ihm
       zugeschrieben werden, nicht weiter entfernt sein. Statt einzulullen zieht
       Huerco S.’ Musik in den Bann, rüttelt auf, zwingt zum [1][Hinhören].
       
       Ein Sound, der dazu auffordert, Zusammenhänge zu suchen, wo noch keine
       sind, und Kontexte aufzulösen, wo welche waren. So wabern die aus etlichen
       Partikeln zusammengesetzten Klanggebilde schwerelos umher, ohne Zeit und
       Raum, bevor sie sich zu subtilen Loops entwickeln, deren Anfang und Ende
       unbestimmt bleiben. Es ist Musik, zu der sich schweben lässt, sie schraubt
       die Herzfrequenz herunter und aktiviert zugleich alle Sinne.
       
       ## Seinsvergessenheit auf dem Dancefloor
       
       Bewusst spielt Brian Leeds mit der Seinsvergessenheit auf dem Dancefloor.
       Während der Endzwanziger unter seinem in der globalen Club-Szene berühmten
       Alias Huerco S. auf Alben wie „Colonial Patterns“ (2013), [2][„For Those Of
       You Who Have Never (And Also Those Who Have)“] (2016) beatlose Musik
       komponiert, legt er als DJ Tracks zwischen House und Techno auf.
       
       Kontexte zu wechseln, fällt ihm schwer. „In den Siebzigern, als in New York
       Disco losging, standen DJs nie im Zentrum“, sagt er im Interview auf einer
       Parkbank in Berlin-Kreuzberg. Damals habe es die Musik gegeben und die, die
       zu ihr tanzen. Heute ginge es in den Clubs zu wie beim Rockkonzert, DJs
       müssen als Stars performen. Er werde nervös, wenn Scheinwerfer auf ihn
       gerichtet seien. [3][„Das Beste wäre Dunkelheit und keine Bühne]“, sagt er
       und nimmt einen Schluck Mate, um „wach zu werden“.
       
       Leeds, der am liebsten nachts arbeitet, „weil die Welt stiller ist“, musste
       ausnahmsweise früh raus, um sich in die Schlange vor dem Bürgeramt
       einzureihen. Die Berliner Servicewüste ist nichts gegen den täglichen
       Existenzkampf in New York, wo alles ein bisschen rauer, anonymer und vor
       allem teurer ist als in der deutschen Hauptstadt. Der Grund, weshalb Leeds
       vor Kurzem aus dem Big Apple, wo er die letzten sieben Jahre gelebt hat,
       hierher gezogen ist? „Ich brauchte Tapetenwechsel, weil mein Leben dort
       stagnierte.“ Außerdem habe er viele Gigs in Europa, es sei „einfacher, von
       Berlin nach Kopenhagen zu reisen“. Hier könne er sich ein Studio leisten,
       um mehr Arbeitsroutine zu bekommen. Bisher produzierte Huerco S. zu Hause.
       
       ## Spirit bewahren
       
       Wie kann jemand in einer Zeit, in der gefühlt alle drei Minuten neue Musik
       erscheint, Spirit bewahren? Leeds schaut ins Leere und seufzt: „Die
       Herausforderung ist, fokussiert zu bleiben – und künstlerische Visionen zu
       entwickeln.“ Selbstreflexion, aber auch Bescheidenheit, spiegelt sich in
       Leeds’ Werk wider. Sein Debütalbum „Colonial Patterns“, ein
       impressionistisches Werk mit 14 Stücken („Canticoy“, „Fortification III“),
       ist inspiriert von der präkolonialen US-Geschichte. Leeds erzählt, dass er
       in der Kleinstadt Emporia im Bundesstaat Missouri aufwuchs. „Ein Ort, an
       dem nichts daran erinnert, dass dort einst indigene Stämme gelebt haben.“
       Die Musik auf dem Album sei der Darstellungsversuch, wie die Welt dort
       ausgesehen haben könnte, wenn die Kolonisierung Nordamerikas nicht passiert
       wäre. Leeds hoffe, dass er damit ein Bewusstsein für die bis heute
       ignorierte Geschichte erhöhen kann.
       
       Dafür, dass er von indigener Geschichte bis zum Schulabschluss nichts
       gewusst hat, schämt er sich. „Es gab Indianer-Kultur, auch bekannt als
       „Mississippi-Kultur“, die sich auf etliche Bundesstaaten ausdehnte.
       Zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert gab es östlich von St. Louis eine
       städtische Siedlung namens Cahokia, die vorwiegend aus pyramidenartigen
       Häusern bestand. Dort lebten bis zu 100.000 Menschen. „Eine elaborierte
       Kultur, von der die wenigsten US-Bürger gehört haben. Geschichte wurde
       weißgewaschen.“
       
       Überspitzt gesagt, geht es der US-Regierung, die rassistisch gegen
       Immigranten, Queers, Afroamerikaner*innen und Andersdenkende hetzt,
       nicht um Historisches. Leeds ist mulmig zumute, weil sich die Migration
       nach Deutschland anfühle wie Eskapismus. „US-Politiker verstehen einfach
       nicht, dass das Land, in dem sie leben, nie ihr eigenes war.“
       
       Wer behauptet, dass der Sound von Huerco S. durch seine Randlage nicht
       dabei hilft, multidimensionalen politischen Entwicklungen etwas
       entgegenzustellen, dem begegnet Leeds mit einem Gegenargument: Er fragt, ob
       die Zeitung taz etwas mit der politischen Aktionsform der „temporären
       autonomen Zone“ zu tun habe. Das, was auch Clubmusik kann: Einen Raum der
       Inklusion schaffen. Beim Berliner Festival Atonal Festival wird Leeds einen
       Abend mit Künstlern seines Labels „West Mineral Ltd.“ kuratieren. Dass das
       im kompakten Ohm stattfindet, ist ein glücklicher Zufall: Es ist Leeds’
       Lieblingsclub in Berlin. Dort gebe es nichts, was ablenke, keinen
       Chill-out-Bereich, kaum Licht, nur die Musik.
       
       28 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=i5_L5YdMXHo
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=7Cc-0beyRXE
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=fn9jZ3jRy7I
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Rhensius
       
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