# taz.de -- 80. Jahrestag des Überfalls auf Polen: Unvollständige Entschuldigung
       
       > Zum 80. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs spricht
       > Bundespräsident Steinmeier in Warschau. Den Holocaust erwähnt er dabei
       > mit keinem Wort.
       
 (IMG) Bild: Frank-Walter Steinmeier auf dem zentralen Piłsudski-Platz in Warschau
       
       Warschau taz | In ganz Polen heulen am 1. September um 4.45 Uhr die
       Sirenen. Sie markieren den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Nicht nur in der
       Ostseestadt Danzig, in der Kleinstadt Wieluń zwischen Łódź und Wrocław und
       in Polens Hauptstadt Warschau gedenken die Menschen der Opfer des Krieges.
       An seinem Ende waren weltweit rund 60 Millionen Menschen tot – im Kampf
       getötet, ermordet, verhungert oder an Krankheiten und Auszehrung gestorben.
       
       Das deutsch besetzte Polen wurde auch zum Tatort der Schoah, des deutschen
       Völkermords an 6 Millionen europäischen Juden. In den Vernichtungslagern
       Auschwitz-Birkenau, Kulmhof am Ner, Treblinka, Sobibor, Belzec und Majdanek
       ermordete die SS auch 90 Prozent aller Juden Polens, rund 3 Millionen
       Menschen.
       
       Zum [1][80. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs] lud Polens
       Präsident Andrzej Duda rund 30 Delegationen aus EU- und Nato-Staaten ein,
       darunter auch den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und
       den US-Präsidenten Donald Trump.
       
       Anders als 2009 wurde dieses Mal der russische Präsident Wladimir Putin
       ausdrücklich nicht eingeladen. Offiziell weil Russland weder EU- noch
       Nato-Mitglied ist, in Wirklichkeit aber wegen der aggressiven Politik
       Russlands gegenüber Polens Nachbarn Ukraine. Ein solcher „Gast“ ist in
       Polen nicht willkommen.
       
       ## Merkel hatte überraschend Kommen angekündigt
       
       US-Präsident Donald Trump hingegen, dessen Besuch von den Medien bereits
       mit vielen Sonderseiten in den Mittelpunkt der Gedenkfeiern gestellt wurde,
       musste sein Kommen kurzfristig absagen wegen des Hurrikans „Dorian“, der
       sich der Küste des US-Staates Florida näherte. An seiner Stelle kam Mike
       Pence, der stellvertretende US-Präsident. Überraschend hatte dann auch
       Bundeskanzlerin Angela Merkel noch ihr Kommen angekündigt, ohne aber auf
       die Rednerliste aufgenommen zu werden.
       
       „Es gibt keinen anderen Platz in Europa, auf dem es mir so schwerfällt,
       meine Stimme zu erheben und in meiner deutschen Muttersprache das Wort an
       Sie alle zu richten“, sagte Steinmeier auf dem zentralen Piłsudski-Platz in
       Warschau. In der Zeit der deutschen Okkupation Polens war er umbenannt in
       „Adolf-Hitler-Platz“ und rundum mit Hakenkreuzfahnen beflaggt. Hinter dem
       angrenzenden Sächsischen Garten richteten die Nazis [2][das größte Getto
       Europas] ein, in das nicht nur die 350.000 Juden Warschaus gepfercht
       wurden, sondern weitere 100.000 aus den Orten rings um Warschau und sogar
       aus anderen Ländern. Von hier aus fuhren die Züge ins Vernichtungslager
       Treblinka.
       
       Doch Steinmeier erwähnt die Juden und den Holocaust mit keinem Wort. Zwar
       bekennt er sich in Warschau zur historischen Schuld Deutschlands: „Dieser
       Krieg war ein deutsches Verbrechen. Davon zeugt die Geschichte dieses
       Ortes. Vom ersten Tag des Krieges an nahmen die Deutschen Warschau unter
       Beschuss. Jahrelang wüteten sie in dieser Stadt. Sie machten ganze
       Stadtviertel dem Erdboden gleich, deportieren ihre Bewohner, ermordeten
       Männer, Frauen und Kinder. Polen, seine Kultur, seine Städte, seine
       Menschen – alles Lebendige sollte vernichtet werden.“
       
       Insgesamt ermordeten die Deutschen von 1939 bis 1945 rund 1,4 Millionen
       ethnische Polen, das waren 6 bis 8 Prozent der Bevölkerung. Es war vor
       allem die Intelligenz, die Widerstand leistete oder leisten konnte. Auch
       Stalin ermordete vor allem die polnische Intelligenz. Im
       Hitler-Stalin-Pakt hatten die beiden Diktatoren Polen unter sich
       aufgeteilt. Ein souveräner polnischer Staat sollte nie wieder entstehen.
       
       „Wir werden nicht vergessen“, sagt Steinmeier. „Wir vergessen die Wunden
       nicht, die Deutsche Polen zugefügt haben. Wir vergessen das Leiden der
       polnischen Familien ebenso wenig wie ihren Mut zum Widerstand. Wir werden
       niemals vergessen. Nigdy nie zapomnimy!“
       
       Monika Krawczyk, die Vorsitzende des Jüdischen Gemeindebundes, die auch
       oberste Vertreterin der weltlichen Juden Polens ist, wundert sich: „Warum
       kommt ihm das Wort „Jude“ nicht durch die Kehle? Was hindert ihn daran,
       über die Schoah zu reden und über den Widerstand der Juden?“
       
       Steinmeiers Redepassage über den deutschen Kaiser Otto, der im Mittelalter
       als Gast und Pilger barfuß nach Polen gekommen sei, und Steinmeier selbst,
       der nun ebenfalls „barfuß“ als Deutscher und „beseelt vom Geist der
       Versöhnung, den Polen uns geschenkt hat“, vor den Polen stehe, kommentiert
       sie bitter. „Ein Schuster, der barfuß nach Polen kommt? Ein Profi, der die
       Geschichte der Besetzung Polens kennen sollte, entschuldigt sich nur bei
       den einen Opfern und vergisst die anderen. Was soll ich dazu sagen? Mir
       fehlen die Worte.“
       
       1 Sep 2019
       
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