# taz.de -- Deutscher Überfall auf Polen: Versöhnung mit Lücken
       
       > Dass Steinmeier der polnischen Opfer gedachte, ist richtig und gut. Nicht
       > hinnehmbar ist, dass er die Ermordung der polnischen Juden nicht
       > erwähnte.
       
 (IMG) Bild: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im polnischen Wielún
       
       Die beiden Versöhnungsreden von [1][Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
       in Polen] machen fassungslos. Sowohl in der Kleinstadt Wielun, die am 1.
       September 1939 von der Luftwaffe zerbombt wurde, als auch in Warschau,
       dessen Innenstadt die Nazi-Schergen 1944 dem Erdboden gleichmachten,
       erinnerte Steinmeier zwar an die Verbrechen der Deutschen im Zweiten
       Weltkrieg. Doch in Wieluń entschuldigte er sich nur bei den Polen: „Ich
       verneige mich vor den Opfern des Überfalls auf Wieluń. Ich verneige mich
       vor den polnischen Opfern der deutschen Gewaltherrschaft. Und ich bitte um
       Vergebung.“ Auch in Warschau erwähnte er mit keinem Wort die Juden. Wie
       kann das sein?
       
       Die Deutschen ermordeten im Zweiten Weltkrieg 90 Prozent aller polnischen
       Juden, also rund drei Millionen Menschen, außerdem rund 1,4 bis 1,6
       Millionen ethnische Polen (rund fünf bis sieben Prozent aller Polen.) 1947
       setzte das Politbüro im Zentralkomitee der Polnischen Arbeiterpartei die
       Opferzahl willkürlich auf insgesamt 6 Millionen oder 22 Prozent der
       Vorkriegsbevölkerung hoch.
       
       Die ethnischen Polen sollten sich als Opfer gegenüber den polnischen Juden
       nicht zurückgesetzt fühlen. Es war zugleich ein Versuch, den nach wie vor
       virulenten Antisemitismus im Land einzudämmen.
       
       Nach der politischen Wende 1989 wurde diese Zahlenmanipulation aufgedeckt.
       So mussten sechs Jahre später, im Jahr 1995, alle Gedenktafeln in
       NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ausgetauscht werden. Während die
       meisten Polen überzeugt waren, dass Auschwitz der zentrale Ort der
       polnischen Martyriums war, galt er weltweit längst als Symbol des
       Holocaust.
       
       Dass Steinmeier in Wieluń und Warschau der polnischen Opfer gedachte, ist
       richtig und gut. Dass er weder zum ehemaligen Ghetto in Wieluń ging, von
       dem aus 10.000 Juden ins Vernichtungslager Kulmhof am Ner gebracht und
       vergast wurden, noch in Warschau die polnischen Juden um Vergebung bat, ist
       hingegen völlig unverständlich.
       
       1 Sep 2019
       
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