# taz.de -- 50 Jahre Harlem Cultural Festival: Vergessenes schwarzes Woodstock
       
       > Tausende Schwarze und Weiße feierten am Samstag das „Black Woodstock“.
       > 1969 ging es um Malcolm X, heute protestieren sie gegen den „Clown“
       > Trump.
       
 (IMG) Bild: Kein Sex, keine Drugs und kein Rock ‚n‘ Roll, dafür Empowerment: das Harlem Cultural Festival
       
       New York taz | Die Luft ist so feucht und heiß wie vor 50 Jahren. Manche
       Songs stammen von denen, die 1969 beim „Harlem Cultural Festival“ in diesem
       Park dabei waren. Aber die Stevie-Wonder-, die Gladys-Knight- und die
       Hugh-Masekela-Stücke kommen dieses Mal als Rap und HipHop daher. Die
       Musiker, die an diesem 17. August auf der Freilichtbühne stehen, waren
       damals noch gar nicht geboren.
       
       Sie haben andere Tote – statt um „Dr. King“ und „Malcolm X“ trauern sie um
       braune und schwarze Teenager, die von Polizisten erschossen worden sind.
       Und ihr größter Schrecken ist nicht mehr der Vietnamkrieg, sondern [1][das
       „orange Monster“ im Weißen Haus].
       
       „Black Woodstock“ heißt die Veranstaltung. Auf den Tag genau ein halbes
       Jahrhundert danach und am Schauplatz von einst ist sie der Versuch,
       [2][eines der bestgehüteten Geheimnisse der Musikgeschichte] zu lüften. In
       Woodstock ist der Versuch gescheitert, in diesem Jubiläumsjahr ein Konzert
       mit jungen Stars zu organisieren. Aber in Harlem, wo sich 50 Jahre lang
       niemand an das Originalfestival erinnert hat, klappt es.
       
       „Wir sind auch jetzt wieder in einem Moment von kultureller Veränderung“,
       sagt Neal Ludevig, der das Harlemer Konzert organisiert hat. „auch heute
       erleben wir Drohungen gegen Bürger- und Menschenrechte und müssen uns
       engagieren.“ Er ist einer der wenigen Weißen auf der Bühne. „Macht euch
       frei von mentaler Sklaverei“, zitiert Mit-Organisatorin Angela Gil den
       schwarzen Nationalisten Marcus Garvey. Dann tritt Jazz-Trompeter Keyon
       Harrold, der aus Ferguson stammt, ans Mikrofon und spielt ein Klagelied,
       das er für den 18-jährigen Michael Brown geschrieben hat, der vor fünf
       Jahren auf einer Straße seiner Stadt von einem Polizisten erschossen wurde.
       
       ## Armut und Drogen und Einsamkeit
       
       „Als Künstler muss ich das tun“, sagt der 38-Jährige. Gastgeber Talib
       Kweli, HipHop-Künstler aus Brooklyn, ist ein urbaner Dichter auf der Bühne,
       er singt über Armut und Drogen und Einsamkeit in der großen Stadt.
       Zusätzlich agitiert er per Twitter seine mehr als eine Million
       Twitter-Follower mit Dutzenden von täglichen politischen Tweets. „Künstler
       müssen gefährlich sein“, sagt er. „Leere, dekadente Musik“ lässt ihn kalt.
       Aber HipHop ist für ihn soziale Gerechtigkeit. Die 36-jährige
       Avantgarde-Sängerin Georgia Anne Muldrow aus Los Angeles interpretiert
       Songs von Nina Simone. Ihr jüngstes Album hat die Kalifornierin „Black Love
       and War“ genannt.
       
       Ein solches Verständnis von engagierter Kunst hatten auch die schwarzen
       Soul-, Blues-, Jazz- und Funkmusiker, die ein halbes Jahrhundert zuvor an
       dem „Harlem Culture Festival“ teilnahmen. Sie verstanden sich sowohl als
       Musiker als auch als Aktivisten. Im Sommer 1969 pilgerten fast 300.000
       Menschen zu ihnen in den Park im Zentrum von Harlem, der damals noch Mount
       Morris hieß und inzwischen nach Marcus Garvey umbenannt worden ist.
       
       Anders als [3][auf dem Acker in Woodstock] kamen bei dem Festival in Harlem
       alle Altersgruppen zusammen, inklusive Kinder und Großeltern, Priester und
       radikale Linke. Die Älteren trugen Krawatten für die Männer und Hüte für
       die Frauen. Die Jüngeren kamen mit Schlaghosen und Afros. Auch die
       Menschenmenge in Harlem wollte Peace und Love und ein Ende des Krieges.
       Aber ihnen ging es um mehr. Sie verlangten Gleichheit in ihrem eigenen
       Land.
       
       Das Festival in Harlem, das sich über sechs Sonntage ab Ende Juni hinzog,
       war eines der größten Kulturereignisse in der schwarzen Community. Es war
       Seelenbalsam nach der Serie von politischen Morden und nach den
       Zerstörungen von schwarzen Stadtteilen quer durch das Land. Das Publikum
       ließ sich von den positiven Vibes und der Aufbruchstimmung, die die
       Künstler verbreiteten, anstecken.
       
       ## Die Mondlandung und ein schwarzer Präsident
       
       Am 20. Juli, als die Nachricht von der Mondlandung in ein Konzert platzte,
       brach es in spontante Rufe aus: „Heute der Mond, morgen vielleicht wir.“ Am
       17. August sang Nina Simone ihr aufmunterndes: „To be young, gifted and
       black“ und deklarierte: „Wir sind mitten in einer Revolution.“
       
       Moderater, aber ebenso eindringlich sprach „Pop“ von den Staple Singers
       direkt die Jüngsten in der dichten Menschenmenge an, von denen manche auf
       Bäume geklettert waren: „Ihr wollt einen Job und bekommt ihn nicht. Und Ihr
       wisst, warum.“ Dann riet der Gospel-Sänger aus Mississippi: „Lernt, was das
       Zeugs hält! Vielleicht wird einer von euch eines Tages Präsident der USA.“
       
       In dem Park kamen die verschiedenen Gruppen der schwarzen Bewegung
       zusammen. „Die Weißen hatten die Jahrmärkte und Landwirtschaftsmessen auf
       dem Land“, erinnert sich der langjährige Kongressabgeordnete aus Harlem,
       der Demokrat Charles Rangel, „aber wir hatten keine Kühe. Stattdessen
       hatten wir die größten Jazz-Musiker der Welt.“
       
       Ebenfalls im Park waren die schwarz gekleideten Ordner von der
       revolutionären Organisation Black Panthers. Sie sorgten für die Sicherheit
       von Künstlern und Publikum, nachdem die New Yorker Polizei den Schutz
       abgelehnt hatte. „Natürlich wussten wir, dass die Polizei trotzdem
       undercover dabei sein würde“, sagt Cyril Innis, alias Brother Bullwhip,
       „aber wir haben gern geholfen.“
       
       ## Musik heilte Menschen
       
       1969 war ein besonders „hartes Jahr“ für schwarze Aktivisten wie ihn. Unter
       anderem waren 21 Mitglieder seiner Organisation angeklagt, Bombenanschläge
       geplant zu haben: „da war Musik nötig, um Menschen zu heilen“. Der heute
       74-Jährige versteht sich weiterhin als „Panther“. Angesichts des „Clowns“
       im Weißen Haus wäre er gern 50 Jahre jünger.
       
       Es war ein „Moment, der eine Generation definiert“, fand der Filmemacher
       Hal Tulchin, der 50 Stunden von dem Harlem Cultural Festival aufgezeichnet
       hat. Aber die Welt erfuhr fast nichts davon. Die globale
       Medienaufmerksamkeit konzentrierte sich auf die – mehrheitlich weißen –
       Jugendlichen aus der Mittelschicht, die sich gleichzeitig 160 Kilometer
       weiter in Woodstock versammelt hatten.
       
       Ihre Joints, ihr Sex, ihre Tänze gingen um die Welt. Für Tulchins Material
       vom Harlem Cultural Festival interessierte sich selbst dann kein
       Fernsehsender, als er es unter dem Label „Black Woodstock“ anbot. Bis heute
       ist der größte Teil seiner Filme unveröffentlicht.
       
       „Die Welt wird Woodstock verherrlichen und Harlem vergessen“, stellte im
       Oktober 1969 die führende schwarze Zeitung der Stadt New York Amsterdam
       News fest. Und lieferte auch gleich die Erklärung: „Die schwarze Community
       zählt für die weiße Presse nur, wenn es Aufstände oder größere Störungen
       gibt.“ Bei dem Festival in Harlem hatte es weder das eine noch das andere
       gegeben.
       
       ## Harlem hat sich verändert
       
       Ein halbes Jahrhundert später machen sich die jungen HipHopper das Label
       „Black Woodstock“ problemlos zu eigen. Der musikalische Direktor des
       Konzerts, Bandleader Igmar Thomas, hofft, dass „eines Tages doch noch der
       Film über Black Woodstock erscheint“.
       
       Aber die Veteranen von 1969 reagieren verstört auf das neue Label. Es gab
       doch auch kein „weißes Woodstock“, sagt Jan Grenier, die sich im Rückblick
       als „Hippie-Groupie“ bezeichnet. Am 17. August 1969 war die damals
       16-Jährige eine der wenigen Weißen bei dem Harlem Cultural Festival und sie
       stand an einem Seitenzugang zur Bühne, um ihren Stars ganz nah zu sein.
       Dieses Mal sitzt sie in der ersten Reihe des Publikums und geht mehrfach
       mit dem Handy ganz nah an den Bühnenrand, um zu filmen.
       
       Der inzwischen 72-Jährige Gitarrist Freddie Stewart war damals auch dabei.
       Er ist der einzige „Veteran“, der 50 Jahre danach in Harlem auf der Bühne
       steht. Am 17. August 1969 war seine Band Sly and the Family Stone die
       einzige, die sowohl in Woodstock als auch in Harlem spielte. Sie schafften
       das Kunststück, weil sie im Hubschrauber über die hoffnungslos verstopften
       Landstraßen zwischen Woodstock und New York flogen.
       
       Seit seinem Auftritt vor einem halben Jahrhundert hat sich Harlem
       verändert. Es ist immer noch eine Hochburg schwarzer Kultur, aber im Zuge
       der Gentrifizierung sind immer mehr Weiße in den Stadtteil gezogen. Von
       jenen, die 1969 dabei waren, sind viele in die billigere Bronx oder in die
       Vorstadt verdrängt worden.
       
       Manche sind als Rentner auch in die Südstaaten gezogen, nach Alabama,
       Georgia und South Carolina, von wo ihre Eltern um die Jahrhundertwende in
       der Großen Migration nach New York gekommen waren. Das Publikum dieses Mal
       ist so gemischt wie das neue Harlem. Als der Gitarrist mit „Thank You
       (Falettinme Be Mice Elf Agin)“ einen der großen Funk-Hits seiner Band von
       damals spielt, tanzen Tausende Junge und Alte, Weiße und Schwarze.
       
       19 Aug 2019
       
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