# taz.de -- Rechtsextremismusexperte über Mordfall: „Das ist die Generation NSU“
       
       > Matthias Quent hält den Mord an Politiker Walter Lübcke für eine Zäsur.
       > Er warnt, dass sich terroristische Strukturen weiterentwickeln könnten.
       
 (IMG) Bild: Mit Gewalt erfolgreich Politik machen: Neonazi in Rostock-Lichtenhagen, 27.8.1992
       
       taz: Herr Quent, ein [1][Neonazi steht unter Verdacht], den Kasseler
       Regierungspräsidenten Lübcke erschossen zu haben. Haben wir es hier mit
       einer neuen Qualität des Rechtsterrorismus zu tun?
       
       Matthias Quent: Wenn das alles so stimmt, wonach es derzeit aussieht, dann
       haben wir den ersten vollendeten Mordanschlag auf einen Politiker durch
       radikale Rechte seit 1945. Das ist eine neue Dimension. Gleichzeitig war
       der Rechtsextremismus auch vorher schon tödlich. Die Gefahr betraf aber
       eher Migranten, Obdachlose, Geflüchtete, Linke. Die Zäsur betrifft also das
       Opfer, nicht die Gewalttätigkeit.
       
       Noch gibt es nach Aussage des Generalbundesanwalts keine Anhaltspunkte für
       eine rechtsterroristische Vereinigung, schnell ist wieder von einem
       möglichen Einzeltäter die Rede. Was halten Sie davon? 
       
       Es muss jetzt genau geprüft werden, ob der Täter bei der Tat Unterstützung
       hatte, wie er an die Waffe gekommen ist, ob da rechtsradikale Netzwerke
       eine Rolle gespielt haben. Zudem hat er ja schon zahlreiche Straftaten
       begangen.
       
       Unabhängig von der Tatbegehung muss man aber sagen, dass sich niemand im
       luftleeren Raum radikalisiert. Der Täter soll ja 2016 an die AfD gespendet
       und sich auf YouTube auch an entsprechenden Debatten beteiligt haben, er
       hat also auch aktuell Kontakte in das rechtsradikale Milieu. Die
       Vorstellung, dass man einen Politiker umbringen will, fällt ja nicht vom
       Himmel, davor stehen die entsprechenden Diskurse.
       
       Welche Rolle spielt dabei die AfD? 
       
       Einerseits ist die AfD auch ein Symptom für die Radikalisierung. Stephan
       E., den Tatverdächtigen, könnte man ja als Schläfer bezeichnen, der schon
       vor vielen Jahren im Sinne des Rechtsradikalismus massiv straffällig
       geworden ist und jetzt wieder zur Tat geschritten sein könnte.
       
       Ähnlich ist es ja bei der AfD und ihrer Wählerschaft. Auch diese Leute sind
       nicht über Nacht zu Rechten geworden. Sie waren schon vorher da. Das ist
       die erste Ebene. Die zweite ist das Agieren von Personen wie Björn Höcke,
       die gewaltverstärkend und gewaltlegitimierend wirken können, wenn sie zum
       Beispiel eine kommende Katastrophe herbeireden, gegen die man sich jetzt
       mit extremen Mitteln wehren muss.
       
       Wie hat sich die Gefahr von rechtsextremer Gewalt und rechtsextremem Terror
       seit dem NSU entwickelt? 
       
       Die Gefahr hat zugenommen, insbesondere durch die Radikalisierung des
       öffentlichen Diskurses. Es sind im Bundestag Begriffe sagbar und im
       Feuilleton Dinge lesbar, die früher dem Neonazi-Milieu vorbehalten waren.
       Das führt zu Legitimationseffekten und auch der Wahrnehmung, man müsse
       jetzt endlich handeln.
       
       Und wie haben sich rechtsextremen Strukturen entwickelt? 
       
       Das Spektrum hat sich ausdifferenziert, einerseits gibt es das Milieu der
       Neonazis, die schon in den 1990ern aktiv waren, in Verbindung mit klassisch
       neonazistischen Organisationen wie Combat 18 und der Rechtsrockszene
       beispielsweise.
       
       Dann gibt es wie in Chemnitz oder Freital im Kontext von asylfeindlichen
       Diskursen neue Tätertypen, die sich sehr schnell radikalisieren. Und wir
       haben zum Beispiel in Christchurch im März dieses Jahres gesehen, dass sich
       auch Leute im Spektrum der Neuen Rechten, der Identitären sehr schnell
       radikalisieren können.
       
       Haben die Sicherheitsbehörden den Rechtsextremismus ausreichend im Blick –
       und die richtigen Lehren aus dem NSU gezogen? 
       
       Ja und nein. Auf der Bundesebene, in der Bundesanwaltschaft und beim BKA
       hat es ein Umdenken gegeben. Auf der Landesebene aber scheint man weniger
       sensibilisiert zu sein, das haben in den vergangenen Jahren verschiedene
       Fälle gezeigt.
       
       Der mutmaßliche Täter Stephan E. ist der gleiche Jahrgang wie Uwe Mundlos,
       einer der Täter des NSU. E. ist wohl auch in den 80er und 90er Jahren
       politisch sozialisiert worden – als es eine massive Welle rechter Gewalt
       gab. Spielt das eine Rolle? 
       
       Ja, das ist die Generation NSU. Da kommt, nach allem, was man weiß, auch
       Stephan E. her. Sie haben die Erfahrung von Rostock-Lichtenhagen und der
       Einschränkung des Asylrechts gemacht, dieses: Mit Gewalt kann man
       erfolgreich Politik machen.
       
       Wir haben heute eine ganz ähnliche Situation: Wir haben Einschränkungen im
       Asylrecht, die mit Gewalt, mit Straßenprotesten hervorgerufen oder
       zumindest begleitet wurden. Wir haben in den 1990er gesehen, dass zumindest
       die Massengewalt sich auf zwei oder drei Jahre beschränkt hat, dass sich
       die radikalisierten und terroristischen Strukturen danach aber
       weiterentwickelt haben. Und es ist zu befürchten, dass das wieder passiert.
       
       19 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Toedlicher-Schuss-auf-Walter-Luebcke/!5600568
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine am Orde
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Schwerpunkt Neonazis
 (DIR) Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
 (DIR) Schwerpunkt AfD
 (DIR) Enver Simsek
 (DIR) Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) IG
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Rechtsextremismus und AfD: AfD als Matrjoschka-Puppe
       
       Es wird darum gerungen, wie man das rechte Projekt um die AfD
       charakterisieren soll – etwa konservativ, populistisch oder rechtsextrem.
       What’s right?
       
 (DIR) Gedenkbaum in Zwickau abgesägt: Die Geschichte von Enver Şimşek
       
       Irgendwer hat einen Gedenkbaum für ein NSU-Opfer entfernt. Lasst uns diese
       Leute ignorieren. Lasst uns lieber über die Opfer sprechen.
       
 (DIR) Gedenkkundgebung für Walter Lübcke: Empathie kommt von links
       
       Auf einer Kundgebung in Berlin kritisieren Linke die Hetze von Erika
       Steinbach gegen Walter Lübcke. Der CDU werfen sie vor, ihren Feind links zu
       suchen.
       
 (DIR) Rechtsradikaler unter Mordverdacht: Der unauffällige Typ von nebenan
       
       Einst war Stephan E. als militanter Neonazi polizeibekannt. Dann geriet er
       in Vergessenheit. Nun ist er des Mordes tatverdächtig.
       
 (DIR) Tödlicher Schuss auf Walter Lübcke: Das Problem heißt nicht RAF
       
       140 Todesopfer rechter Gewalt gibt es seit 1993. Dennoch verweisen nach der
       Tötung von Lübcke viele auf die 70er. Der Bezug ist geschichtsvergessen.
       
 (DIR) Ermittlungen zur Tötung von Lübcke: Kommunalpolitiker beunruhigt
       
       Sie engagieren sich gegen rechts und wurden dafür bedroht. Nun sind
       Kommunalpolitiker wegen des rechten Tatverdächtigen im Fall Lübcke besorgt.
       
 (DIR) Kommentar zum Fall Walter Lübcke: Das muss ein Wendepunkt sein
       
       Immer wieder wird auch bei schwerster rechtsextremer Gewalt gezögert, das
       Wort Terrorismus in den Mund zu nehmen.
       
 (DIR) Tödlicher Schuss auf Walter Lübcke: Das Fanal
       
       Jetzt ermittelt Karlsruhe im Fall Lübcke. Der Verdächtige war bereits als
       rechter Gewalttäter bekannt – und hatte der AfD Geld gespendet.