# taz.de -- Proteste in Albanien: Mollis und Rauchbomben
       
       > In der Hauptstadt Tirana kommt es bei einer Demonstration der Opposition
       > gegen Korruption zu gewalttätigen Ausschreitungen.
       
 (IMG) Bild: Im Nebel: Demonstration am 11. Mai in Tirana
       
       Split taz | In der albanischen Hauptstadt Tirana sind am Wochenende wieder
       Molotowcocktails und Rauchbomben geflogen. Die Polizei antwortete mit
       Tränengas und Stockschlägen. Wie vor allen Wahlen – im Juni finden
       Kommunalwahlen statt – versucht die Opposition, durch Militanz auf sich
       aufmerksam zu machen. Die der Demokratischen Partei nahestehenden
       Demonstranten wollen die sozialistische Regierung unter Edi Rama
       herausfordern und zu Neuwahlen für das Parlament zwingen.
       
       Die Vorwürfe sind nicht neu. [1][Korruption und Vetternwirtschaft,
       Wahlmanipulationen] und fragwürdige Behördenentscheidungen auf allen Ebenen
       des gesellschaftlichen Lebens stehen im Zentrum der Kritik.
       
       Dabei wird jedoch verschwiegen, dass genau mit den gleichen Kritikpunkten
       die Sozialisten unter Edi Rama gegen die zuvor regierenden Demokraten
       angetreten waren. 2013 und 2017 trugen sie einen überragenden Wahlsieg
       davon. Die Sozialisten haben derzeit eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.
       Bereits 2014 erreichten sie, dass Albanien ein Assoziierungsabkommen mit
       der EU abschließen konnte.
       
       Seither müht sich die Regierung, die Auflagen der EU zu erfüllen. Das führt
       bisweilen zu schmerzhaften Einschnitten. Etwa im Justizsektor. Die Ende
       2017 beschlossene Justizreform wird in Brüssel als erfolgreich bewertet.
       Viele Richter und Staatsanwälte, die die Herkunft ihres beträchtlichen,
       manchmal in die Millionen Euro gehenden Privatvermögens nicht erklären
       konnten, wurden geschasst.
       
       ## Zu wenig Fachkräfte
       
       Der Kahlschlag im Justizsystem führte jedoch auch zu Problemen. Bisher
       ist es nicht gelungen, das Verfassungsgericht des Landes mit genug
       ausreichend qualifizierten Richtern zu besetzen. Viele Verfahren können
       angesichts des Richtermangels nicht stattfinden. Nachwuchsausbildung
       braucht Zeit.
       
       Genau wie andere Reformen in Gesellschaft und Wirtschaft. Es muss zudem
       genug integre Leute geben, die sie durchführen können. Die
       jahrhundertelange Fremdbestimmung im Osmanischen Reich und der
       Steinzeitkommunismus unter Enver Hoxha haben in der Gesellschaft eine
       Mentalität der Korruption und des Despotismus geschaffen, die bis heute
       tief verankert ist.
       
       Auch bei der Opposition. Nach dem Sturz des Kommunismus 1991 ging es beiden
       politischen Lagern vor allem darum, ihre Anhänger an die Fleischtöpfe des
       Staates zu bringen und damit Loyalitäten zu erkaufen. Ein wirklicher
       Systemwandel findet ansatzweise erst seit dem Beginn der
       Beitrittsverhandlungen mit der EU statt. Albanien fehlt weiter eine
       politische Streitkultur, die Kompromisse nicht als Schwäche der anderen
       Seite auslegt, sondern als konstituierendes Element der Demokratie
       versteht.
       
       Eine überparteiliche Einigung auf Reformen, die diese Forderungen erfüllen,
       wäre nach Meinung vieler Beobachter ein wichtiger Schritt in die richtige
       Richtung. Nur so hätte die für Juni 2019 angestrebte Eröffnung von
       Beitrittsverhandlungen einen Sinn.
       
       ## Gegen eine neue Stadtautobahn
       
       [2][Bei der Demonstrationsbewegung der vergangenen Tage und Monate] steht
       wie gehabt die Konfrontation der beiden politischen Lager im Vordergrund.
       Doch neu ist, dass jetzt auch Gruppen mitdemonstrieren, die keinem der
       politischen Lager zuzurechnen sind. In den vergangenen Monaten gingen zum
       Beispiel Studierende in Tirana regelmäßig gegen die hohen Studiengebühren
       und die unzumutbaren Zustände in den Studentenwohnheimen auf die Straße.
       
       Eine andere Protestbewegung will eine neue Stadtautobahn verhindern. 300
       Familien protestieren so gegen den Abriss ihrer Häuser und Wohnungen.
       Künstler und Aktivisten protestierten zudem gegen den geplanten Abriss des
       Nationaltheaters im Herzen der Stadt.
       
       Die Pläne für einen Neubau seien absolut nicht transparent, monieren sie.
       Andere Projekte wie der Bau eines Flughafens in Vlora oder von Staudämmen
       an bisher unberührten Flüssen, erregen aus den gleichen Gründen die Gemüter
       der sich entwickelnden Zivilgesellschaft.
       
       12 May 2019
       
       ## LINKS
       
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